So fand denn der gute Schwiegervater, als er um die Vesperstunde sich einstellte, recht verstimmte Gesichter vor. Er schob die trübe Laune der Renards auf die Trauer und war ängstlich bemüht, auch von seiner Unterhaltung alle Glanzlichter, auch des harmlosesten Humors, fern zu halten, gewissermassen einen Kreppschleier achtungsvoller Trübseligkeit darüber zu breiten. Gisbert, der seines Schwiegervaters Unterhaltung schon in gewöhnlichen Zeiten nicht gerade hervorragend amüsant fand, wurde heute durch seine unvermeidlichen Aufklärungen über die umstürzlerischen Bestrebungen des Freimaurertums dermassen nervös gemacht, dass er ihn einigemal mit recht unehrerbietigen, fast höhnischen Aeusserungen unterbrach.
Als der Freiherr gegangen war, konnte sich Lori nicht enthalten, ihrem Manne ziemlich heftige Vorwürfe zu machen. Darauf hatte er ihr gar keine Antwort gegeben, sondern sich mit finster gerunzelter Stirn in sein Zimmer zurückgezogen und die Thür laut hinter sich zugeschlagen.
Fast unmittelbar danach klingelte es wieder, und das Mädchen meldete Herrn Döhmke an. Gisbert knurrte einen Fluch vor sich hin — aber es ging doch nicht wohl an, den alten Herrn, der sich aus Treptow bis nach Moabit hinaus bemühte, zurückzuweisen! Zum Schutze gegen seine schlimme Laune, die ihn leicht auch dem alten väterlichen Freunde gegenüber zu unvorsichtigen Aeusserungen verleiten konnte, kam ihm plötzlich der Einfall, sein Kind zu Hilfe zu rufen. Während Vater Döhmke in das Wohnzimmer geführt wurde, rannte er nach der Kinderstube, nahm, ohne ein Wort zu sagen, das grosse, schwere Mädchen auf seinen Arm und trat so dem Besuche entgegen. Und Lori, die gerade beschäftigt gewesen war, das nicht eben lernlustige Kind buchstabieren zu lassen, folgte mit verwundertem Kopfschütteln ihrem Manne in den Salon nach. Sie fuhr ein klein wenig zusammen, als sie Döhmke erkannte. Da Gisbert sie zu bleiben aufforderte, so bemühte sie sich, eine möglichst liebenswürdige Miene aufzusetzen — es lag ihr ja auch selbst daran, ihm die Meinung zu benehmen, als ob sie etwa auf die alten Freunde ihres Mannes hochmütig herabsehe. Gisbert suchte seine Unruhe dadurch zu bemeistern, dass er die kleine Eva fortwährend an sich drückte, streichelte und küsste.
Der Alte leitete das Gespräch damit ein, dass er sich wegen seiner Nichtbeantwortung der Todesanzeige entschuldigte.
„Nich wahr, mein Junge, so ’ne Redensarten, wie man bei der Jelejenheit zu schreiben pflegt, die können einem doch man wenig Trost bringen? Ich hab’s wenigstens mit alten Freunden immer so jehalten: erst ’ne Weile janz in Ruhe lassen un denn ’mal hinjehen und de Hand drücken und — denn aber von was anderem reden. Hab’ ich da nich recht?“
Damit streckte er Gisbert die Hand entgegen, welche dieser — etwas erleichtert aufatmend — lebhaft ergriff.
„Ja freilich hast du recht, Onkel Döhmke,“ rief Gisbert eifrig, „so habe ich’s unter Männern auch am liebsten. Ich dachte schon, du hättest mir am Ende mit deinen Geldern auch deine Gunst entzogen, weil du seit dem Tage, wo ich dir dein Depot ausgeliefert hab’, gar nichts von dir hören liessest. Ich dachte schon ... haha! ... nimm mir’s nicht übel ... na, wie gesagt, es ist schön von dir, dass du gekommen bist! Nochmals herzlichsten Dank!“ Und wieder reichte er dem Alten die offne Hand über den Tisch entgegen, in welche dieser jedoch mit merklich geringerer Herzlichkeit einschlug.
„Na ja, na ja, is jut, mein Junge,“ wies Döhmke Gisberts etwas aufdringliche Biederkeit zurück. Und dann, mit dem Handrücken über den grauen Halsbart streichend und Gisbert mit misstrauischem Seitenblick streifend, fuhr er fort: „Du, übrigens, sag ’mal — was dachtest du denn eijentlich — von wejen der Rückjabe des Depots? Ich versteh’ nich recht, was du sagen wollt’st?“
Gisbert wurde unruhig: „Nu ja — ich meinte nur so ... Die Geschichte kam so plötzlich, dass ich das Gefühl hatte, es hätte mich jemand bei dir verdächtigt und du wolltest mich so gewissermassen durch eine Kassenrevision überraschen.“
„So, so! I, das ist ja merkwürdig!“ grunzte Döhmke dazwischen. „Na, weisst du, davon wollte ich eijentlich heute nich reden.“
„Aha! Also doch!“ rief Gisbert, indem er Eva von seinen Knieen gleiten liess, um dann aufzuspringen und nervös im Zimmer hin und her zu laufen. „Meine Ahnung war also doch richtig — ich sehe es ja deinen Mienen an!“
„So—o?“ dehnte der Alte und begann nun auf einmal Lori zu fixieren, die verlegen und ängstlich der gefährlichen Wendung des Gespräches folgte. „Ich hätte allerdings über eine gewisse Sache mit dir zu reden, die ... die nicht jerade ... aber damit wollen wir lieber warten, bis wir ’mal unter uns Knaben sind. Reden wir von was andrem. — Nich wahr, Frau Doktor? — Na, Sie wohnen ja hier auch recht hübsch.“
Lori erhob sich und machte Miene, sich zurückzuziehen mit den Worten: „Wenn die Herren etwas zu besprechen haben ...“
„Nein, bitte, bleib’ nur hier, Lori,“ fiel Gisbert ein, indem er seine Frau wieder auf ihren Stuhl drückte. Und dann zu Döhmke gewandt: „Sie weiss alles — wir haben keine Geheimnisse voreinander — nicht wahr, Schatz?“ Er lachte kurz auf, und es klang etwas wie Ironie aus diesem Lachen.
Der Alte machte ein langes Gesicht und rief verwundert: „Was? — Sie wissen alles — Sie?!“
Lori legte die Hände gefaltet auf den Tisch und erwiderte mit warmem Nachdruck, mit ihren grossen Augen den Blick des Alten fesselnd: „Ja, Herr Döhmke, ich weiss in der That alles — und ich bin Ihnen herzlich dankbar dafür, dass Ihr Entschluss, Ihr Geld aus Gisberts Unternehmungen herauszunehmen, zur Aussprache zwischen uns beiden geführt hat. Ich bin so froh, dass sich mein Mann von dieser Gesellschaft, diesen Geschäften zurückgezogen hat, die so viele Versuchungen im Gefolge haben.“
„Na ja, ja, ja,“ schnitt ihr Gisbert ziemlich heftig das Wort ab, „thu mir nur die Liebe und fange nicht wieder an zu predigen! Es ist ja ganz gut, dass wir einmal reinen Tisch gemacht haben — darin hat sie ganz recht.“
Mit diesen Worten blieb er vor Döhmke stehen, versenkte die Hände in die Hosentaschen und wiegte sich, mit seinen Schlüsseln rasselnd, auf den Haken. „Willst du dir nicht eine Cigarre anstecken?“ lenkte er dann nach einer kleinen Pause des Nachdenkens plötzlich ab und lief hinaus, um das Rauchgerät zu holen.
„Ja, wollen Sie mir nich sagen, wovon Sie eijentlich reden?“ begann Döhmke, sobald er mit Lori allein war.
Und Lori versetzte eilig: „Sie wissen wohl noch gar nicht, dass Gisbert grosse Verluste an der Börse gehabt hat? Es kam ihm damals sehr ungelegen, dass Sie Ihr Geld zurückzogen. Das ist ja auch der Grund, weshalb wir uns so einschränken müssen. Aber glauben Sie mir, ich bin herzlich froh darüber. Es ist so etwas Unreines bei aller Spekulation — und mein Mann ist doch im Grunde eine so offene Natur — ihm wird auch wohler sein, wenn er sich erst in seine neue, rein geistige Arbeit so recht vertieft hat. Glauben Sie nicht auch, dass er bei seinem Talente als Schriftsteller etwas leisten muss?“
„O ja, warum nich! Ich verstehe nur immer noch nich recht, was mein Jeld mit seinen Verlusten zu thun haben soll.“
Gisbert trat mit den Cigarren ein und hörte Döhmkes letzte Worte. Während er dem Alten Feuer anbot und dann auch sich selber eine Cigarre ansteckte, sagte er ziemlich mürrisch: „Na, weisst du, Onkelchen, du hast doch in deinem Leben genug mit Geschäftsleuten zu thun gehabt, wenn du dich auch selber nicht mit so etwas abgegeben hast. Die Sache ist einfach die, dass ich damals gerade einen grossen Coup vorhatte. Der Erfolg war ziemlich sicher — ich hatte dein Geld mit hineingesteckt.“
„So, so, davon hast du mir ja jar nischt jesagt,“ warf Döhmke dazwischen. „Du weisst doch, dass ich mir jewagte Spekulationen verbeten hatte! Mir hast du ja auch man einmal im Jahre ’n Konto aufjestellt, wo lauter schöne, sichere Staatspapiere, Pfandbriefe und Prioritäten drauf figurierten.“
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