Ernst von Wolzogen
Die kühle Blonde
Erster Band
Bersiner Sittenbild in zwei Bänden
Saga
Erstes Kapitel.
Nach dem Theater.
Die Vorstellung im „Deutschen Theater“ war zu Ende. Wagen auf Wagen rasselte durch die enge Durchfahrt nach der Schumannstrasse, und auf dem schmalen Bürgersteige drängten sich die Fussgänger. Ein frostiger Wind trieb ihnen einen feinen Regen ins Gesicht, welcher, trotzdem man sich noch im Oktober befand, schon mit einigen vorzeitigen Schneeflocken vermischt war. Die Damen nahmen ihre Kleider auf, die Herren klappten die Kragen ihrer Ueberzieher in die Höhe und hatten Mühe, mit ihren Schirmdächern dem bösen Wetter Trotz zu bieten. An der Pferdebahnhaltestelle in der Karlstrasse entwickelte sich ein rücksichtsloser Kampf um den Vortritt, sobald ein neuer Wagen anhielt. Schon mehrmals hatte der kurze Bescheid des Schaffners: „Nur noch vorn Platz, meine Herrschaften!“ die drängende Menge wieder zurückgescheucht, als sich drei Menschen von dem Haufen loslösten, um die Richtung nach der Friedrichstrasse einzuschlagen. Der eine war ein grosser, starker Herr in einem langen, formlosen Ueberrock, der ein kleines, ebenso formloses Filzhütchen tief in die Stirn gezogen hatte. Dicht an seine rechte Seite geschmiegt schritt eine Dame, das Haupt durch eine Kapuze und einen schwarzen Spitzenschleier vermummt, und zur Rechten der Dame ging ein kleinerer Herr in einem kurzen Paletot, den Cylinder auf dem Kopfe, und bemühte sich, mit seinem Schirm das Gesicht der Dame vor den kalten, prickelnden Regentropfen zu schützen.
„Da haben wir’s!“ rief dieser letztgenannte ganz vergnügt, „vor dem Cirkus hält auch keine Droschke mehr! Du siehst, Cousinchen, alle Umstände vereinigen sich, um mir Recht zu geben. Es kann dir unmöglich gut bekommen, wenn du nach einem so nervenaufregenden Kunstgenuss gleich nach Hause fährst und etwa gar ungegessen zu Bette gehst. Ich wenigstens würde heute nacht kein Auge zuthun können, ehe ich nicht einen soliden Schlaftrunk zu mir genommen hätte. Ich bin, weiss Gott, als alter Theaterbesucher doch einigermassen kugelfest, aber diese letzte Scene der Adelheid — Donnerwetter, so was habe ich noch kaum erlebt! — Das nenn’ ich mit Kartätschen schiessen. So was müsste polizeilich verboten werden.“ Mit einem kurzen, nicht eben natürlichen Gelächter schloss er seine laut und fliessend hervorgesprudelte Auseinandersetzung.
Die Dame entgegnete nichts, sondern schmiegte sich nur noch enger an ihren älteren Begleiter.
Der grosse Herr hatte auch nur ein etwas unwilliges Brummen als Antwort auf den schwachen Scherz des Jüngeren bereit. Dann wandte er sich zu ihm und rief ihm über den Kopf der Dame hinweg zu: „Nu ja, nu ja, wir sind eben Provinzler, die Lori und ich. Unsereiner kriecht hinter den warmen Ofen, wenn er so unter der Traufe gestanden hat — und das braucht Zeit, bis ihm die alte Haut wieder trocken auf dem Leibe sitzt! Ihr Grossstädter schüttelt euch bloss tüchtig und fahrt ein paarmal mit dem Schnabel durch die Federn, wie die Gänse, wenn sie aus dem Wasser kommen, und dann seid ihr wieder kreuzfidel!“
„Na, höre mal, lieber Onkel —, ich danke für den Vergleich!“ lachte der junge Mann. „Aber freilich, einem Pommern darf man das nicht übel nehmen. Du kommst ja aus dem Paradies der Spickgänse — da gehört natürlich dieses edle Geschöpf zur höchsten Aristokratie der Tierwelt. Ich darf mich also nur geschmeichelt fühlen, nicht wahr?“
„Hm! Na — du weisst zu parieren!“ versetzte der Oheim vom Lande und dann fügte er hinzu: „Ich wäre dir allerdings dankbar, lieber Günther, wenn du uns zu einer anständigen echten Bierquelle führen wolltest. Ich muss gestehen, ich habe auf diese Erschütterung meines inwendigen Menschen einen kolossalen Durst bekommen. Lori, mein Kind, du hast doch nichts dagegen?“
„Wie du willst, Papa!“ flüsterte die junge Dame mit einem leichten Seufzer.
Der alte Herr klopfte zärtlich die feine, schmale Hand der Tochter, die so fest auf seinem Arme ruhte. Er beugte sich zu ihrem Ohr hinab und sagte besorgt: „Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen, Kind, es hat dich zu sehr angegriffen.“
„Nein, Papa, nein, ich danke dir tausendmal. Es war herrlich! Es ist nur so schrecklich, gleich darauf in den Lärm hinaus zu müssen und unter die schwatzenden Menschen! Achtet nur gar nicht auf mich. Man muss sich ja an so etwas gewöhnen.“
„Das ist wahr, mein Liebling!“ erwiderte der Vater, indem er ihren Arm an sich drückte, „für dich ist das eine gute Abhärtungskur — wie der hohe Reichstag für mich!“
Fast unaufhörlich fortplaudernd geleitete der Neffe — er nannte sich Günther von Schlichting und war seines Zeichens Referendar beim Kammergericht — seinen Onkel, den Rittergutsbesitzer und Reichstagsabgeordneten Freiherrn von Drenk und seine Base Lori nach dem „Restaurant Friedrichstadt“, welches an der Ecke der Friedrichs- und Mittelstrasse, in dem Hause der Bodega-Compagnie, das mit zahlreichen Fenstern auf beide Strassen hinausgehende erste Stockwerk einnimmt.
Leonore war zum erstenmal von ihrem Vater nach der Reichshauptstadt mitgenommen worden, zum erstenmal betrat sie heute ein solches grosses Restaurant. Als die schwüle, von Tabaksqualm und Speisendunst durchsättigte Luft ihr beim Eintritt so heiss und schwer entgegenschlug, wäre sie am liebsten sogleich wieder umgekehrt. Wie alle Leute, die vom Lande oder aus der Kleinstadt kommen, hatte sie das Gefühl, als ob alle diese fremden, plaudernden und lachenden, kauenden und schluckenden Menschen an ihrer bescheidenen Person einen wer weiss wie lebhaften Anteil nähmen, und als sie ihren weiten Mantel ablegte und den Kopf von seinen Hüllen befreite, stieg ein so ängstliches Gefühl der Befangenheit in ihr auf, wie wenn sie der Mittelpunkt der unverschämten Neugier eines gaffenden Haufens wäre. Und dabei hatten doch nur einige von den Herren am benachbarten Tische flüchtig nach ihr umund aufgeblickt.
Freilich, was sich da aus dem plumpen Fahrmantel mit dem alten schottischen Muster, aus der garstigen Kapuze entwickelte, war wohl des Aufschauens wert. Lori von Drenk besass eine überaus zierliche, mittelgrosse Figur von vollendetem Ebenmass der Formen, welche ein schlichtes, aber gut sitzendes schwarzes Seidenkleid zur schönsten Geltung brachte. Ein weisser, schlanker Hals, von einem losen Tüllschleier anmutig umrahmt, nicht von einem jener militärisch steifen Stehkragen eingezwängt, trug ein zierliches blondes Köpfchen, sehr einfach und sittig frisiert.
Als sie an dem kleinen Tisch am Fenster Platz nahm, drückte einer der Herren am Nebentische rasch seinen goldnen Kneifer auf die Nase und betrachtete sie mit unbefangenster Aufmerksamkeit. Lori bemerkte es bald genug und fühlte, wie ein jähes Rot ihre Wangen überhauchte. Sie sah, wie der Herr seinen Genossen etwas zuflüsterte, wie alle sich nach ihr umwandten und wie sie dann lächelnd ihre Meinungen austauschten.
Lori war keine herausfordernde Schönheit. Ihre Züge waren weich und zart, die Nase etwas zu zierlich; Mund und Kinn überaus mädchenhaft, frisch und lieblich; die Augen gross, dunkelblau, aber still und verständig, durchaus nicht schmachtend im Ausdruck. Ein guter Beobachter konnte wohl aus dem Blicke dieser Augen herauslesen, dass Lori nicht die schwanke, willenlos hingegebene Natur besitze, welche die zarte Blumenschönheit ihres Gesichtes anzudeuten schien.
„Nun, was sagen Sie, grosser Mann, ist das nicht ein entzückendes Geschöpfchen?“ fragte der Herr mit dem goldnen Kneifer seinen Nachbarn, einen auffallend grossen Mann mit einem langgestreckten starken Kopf und einem Paar kleiner heller Augen unter der hohen Stirn.
Dieser paffte gleichgültig den Rauch seiner Cigarre von sich, warf noch einen raschen, scharfen Blick nach Lori hinüber und sagte dann achselzuckend: „Eine kühle Blonde! Es ist die langweiligste Sorte von Schönheit, die ich kenne. Ich wette mit Ihnen, dass sie den ganzen Abend über nicht einmal ordentlich lachen wird!“
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