Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.
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Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band
I
Ich sprach zur Taube: »Flieg' und bring im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel –« –
Die Taube sprach: »Es ist zu weit.«
Bravo! Bravo! Da capo!
Ein wahrhaft frenetischer Applaus rauschte und brauste durch die weiten Räume des Opernhauses zu X. und übertäubte fast die wilden, diabolischen Klänge des Orchesters, das eine seltsame, originelle Weise spielte.
Es war die erste Aufführung der neuen Oper eines unbekannten und ungenannten Komponisten, eine phantastische Oper, »Satanella« genannt, deren Libretto dem Publikum eine jener rätselhaften »Teufelinnen« der alten Zeiten vor Augen führte, die aus ihrem unterirdischen Reich heraufgekommen war, um durch ihre Schönheit einen »minnigen Sänger« zu bestricken und in den Tod zu treiben. Von dem wütenden Volke aufgegriffen, wird sie als Hexe zum Scheiterhaufen geschleppt und an den Pfahl gebunden. Unter den Klängen eines prachtvollen Chores wird der Holzstoß entzündet, und Rauch und Flammen steigen empor, die Teufelin zu vertilgen von der Erde. Da plötzlich teilten sich die Flammen, Satanella schüttelt lachend die Fesseln von ihren Händen, das graue Büßer- und Sterbehemd fällt von ihren Schultern, und sie selbst steht in Höllenpracht gekleidet vor dem entsetzten Volk. In wilden Dithyramben singt sie ihr bestrickendes Zauberlied, und mit dem jauchzenden Schluß: »Lebt wohl, ich kehre zurück zu euch, so lang die Schönheit Siege feiern wird, so lange Männerherzen sich noch bethören und betrügen lassen –« sinkt Satanella hinab in die sie verschlingende Erde.
Diesem Schlusse jauchzte das Publikum zu und konnte sich nicht satt hören an der mächtigen, süßen und metallreichen Stimme der fremden Sängerin, welche eigens gekommen war, um die »Satanella« zu singen, und konnte sich nicht satt sehen an dem wunderbar malerischen Schlußtableau mit dem brennenden Scheiterhaufen, den mittelalterlichen Mauern der Stadt mit ihren Türmen und Erkern, dem entsetzt zusammengedrängten Volke und der Gestalt der Satanella auf dem Holzstoße.
Und sie war in der That wunderbar schön, diese fremde Primadonna, Señora Dolores Falconieros – eine schlanke, geschmeidige Gestalt mit dem leuchtenden Rothaar Tizians, das in üppigen Wellen herabfiel auf das scharlachrote, seidene Gewand, das sie umschloß. Und in dem blutlosen und doch lebensfrischen Antlitz brannten große, strahlende, sammetschwarze Augen, deren Glanz noch gehoben wurde durch die sich über der feinen römischen Nase schließenden dunklen Brauen, durch die langen, seidenartigen Wimpern.
Und wie sie dort stand auf der Bühne inmitten des rotglühenden Feuers, im roten Gewand und roten Haar, in dem ein zweigezacktes Brillantdiadem blitzte und funkelte, mit der wunderbar bestrickenden Stimme ihr in seltsamem Rhythmus sich bewegendes Teufelinnenlied singend und dazu ein flammensprühendes Scepter schwingend, dessen Feuerregen bis ins Parkett hinabflog, da bot sie ein Bild, das mit leichtbegreiflicher, dämonischer Macht das herbeigeströmte Auditorium zu jenem frenetischen Beifall entfachte, welches immer wieder und wieder die »Satanella« veranlaßte, aus den Tiefen der Hölle, den Versenkungen, hinaufzusteigen, und mit dankendem Lächeln grüßend ihr verkohlendes Scepter zu schwingen.
Das Schicksal der neuen Oper war entschieden. Der berühmte blonde Tenorist als »minniger Sängerheld« und die durch den Intendanten entdeckte und sofort berühmt gewordene Fremde hatten der herrlichen Musik den Odem des Lebens eingehaucht und die Weihe erteilt, hinauszuziehen in alle Welt.
Etwa eine Stunde später hatte sich ein kleiner, aber gewählter Kreis in dem künstlerisch ausgestatteten Salon des Direktors der Akademie der Künste, Professor Balthasar, zusammengefunden. Der Hausherr, ein über die Grenzen Europas hinaus bekannter geistvoller Maler in der Blüte seiner Jahre, liebte es, nach dem Theater einen Kreis um sich zu versammeln, in welchem er und seine liebenswürdige Gattin die Honneurs machten und für leibliche und geistige Unterhaltung ihrer Gäste aufs Trefflichste sorgten.
Um den runden Tisch, dessen silbernes Theegerät von Frau Balthasar lautlos und gewandt gehandhabt wurde, saßen etwa sechs bis acht Personen mit Einschluß des Hausherrn und der Hausfrau. Da war der hochberühmte, geniale Historienmaler Richard Keppler, der feinsinnige Dichter N., die berühmte Schauspielerin Luise R., der Legationsrat Freiherr von Falkner. Ein Platz war noch leer – er harrte eines verspäteten Gastes.
»Mir summt die Melodie des Teufelinnenliedes noch im Kopf – ich kann sie nicht loswerden,« meinte Professor Balthasar.
»Das macht der dämonische Einfluß dieser Musik – es ist ein rechtes, echtes Teufelswerk,« rief die Schauspielerin.
»Ja, aber das Werk eines genialen Teufels,« entgegnete Keppler.
»Das ist das rechte Wort dafür,« sagte der Legationsrat, eine hohe, gebietende Erscheinung mit dunklem Auge und Haar und gleichem vollen Bart, »die ›Satanella‹ ist ein Werk, das aus jedem Takte einen Born von Genialität sprudeln läßt, aber eine Genialität, die ich herzlos nennen möchte, weil sie nicht das Herz, sondern nur den Geist berührt und anregt. Der Komponist ist ein Genie, das ist über jeden Zweifel erhaben, aber er ist kein Genie von Gottes Gnaden, sondern von denen Lucifers.«
»Und versteht doch so warme Herzenstöne anzuschlagen,« nahm sich Frau Balthasar des unbekannten Meisters an, »ich erinnere Sie nur an das süße Liebeslied des Troubadours im zweiten Akt.«
»O ja, es schmeichelt sich dem Gehör ein, aber nicht dem Herzen,« erwiderte Falkner kühl, »es bezaubert, aber es ergreift nicht.«
»Nun, dann erkläre ich mich befriedigt mit dem Zauber, den das Liebeslied enthält,« rief Keppler, »warum sollen wir armen Sterblichen uns nicht einmal bezaubern lassen? Wir können nur von Glück sagen, wenn dabei unser Herz nicht Schaden leidet.«
»Sie mögen recht haben, Keppler,« sagte der Legationsrat ruhig, »die Individualität eines jeden ist ja so verschieden. Für mich ist die Musik keine Musik, wenn sie nur blendet und berauscht. So erkläre ich offen, auf die Gefahr hin, für einen Vandalen gehalten zu werden, daß für mich die Mehrzahl der antiken Statuen nichts sind, als alte Marmorblöcke, deren blöde Augen uns Epigonen recht dumm anstarren, und daß das schönste Antlitz, aus dem kein Herz spricht, mich entsetzlich gleichgültig läßt. So die Musik der ›Satanella‹. Ich bewundere den elektrischen Strom der Genialität, der durch ihre Takte pulsiert, aber ich liebe sie nicht, weil nicht ein warmer, menschlicher Herzschlag sie durchzittert.«
Während der Legationsrat sprach, hatte sich die eine der Portieren geteilt und in ihrem Faltenrahmen erschien, nur von Frau Balthasar bemerkt, eine dunkle Frauengestalt mit rotem Tizianhaar – Dolores Falconieros. Sie legte lächelnd den Finger auf die Lippen zum Zeichen, daß sie noch unbemerkt bleiben wollte, und so stand sie noch als Professor Balthasar entgegnete:
»Nun wohl, aber was der Musik fehlt, das gaben ihr die Darsteller!«
»Wie wunderbar schön sang unser Heldentenor den Minnesänger, wie seelenvoll,« rief die Schauspielerin.
»Und wie herrlich war die Falconieros in der Titelrolle,« setzte Keppler hinzu, »es war eine unvergleichliche Leistung.«
»Gewiß, unvergleichlich in der Darstellung der grausamsten Herzlosigkeit,« sagte Falkner spöttisch, »mir war's, als spielte diese Satanella ihr eigenstes Selbst – nicht einen warmen Herzenston vermag diese Fremde anzuschlagen, eben weil sie es nicht kann, weil auch sie nur ganz Genie ist. Ich mag diese herzlosen Frauen nicht.«
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