Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Die Falkner vom Falkenhof
Historischer Roman
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Impressum
Ich sprach zur Taube: „Flieg und bring im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel –“
Die Taube sprach: „Es ist zu weit.“
E. Geibel nach Francois Coppée
„Bravo! Bravo! Da Capo!“ Ein wahrhaft frenetischer Applaus rauschte und brauste durch die weiten Räume des Opernhauses zu X. und übertäubte fast die wilden, teuflischen Klänge des Orchesters, das eine seltsame, originelle Weise spielte.
Es war die erste Aufführung der neuen Oper eines unbekannten und ungenannten Komponisten, der fantastischen Oper „Satanella“, deren Text dem Publikum eine jener rätselhaften „Teufelinnen“ der alten Zeiten vor Augen führte, die aus ihrem unterirdischen Reich heraufgekommen war, um durch ihre Schönheit einen „minnigen Sänger“ zu bestricken und in den Tod zu treiben. Vom wütenden Volke aufgegriffen, wird sie als Hexe zum Scheiterhaufen geschleppt und an den Pfahl gebunden. Unter den Klängen eines prachtvollen Chors wird der Holzstoß entzündet, und Rauch und Flammen steigen empor, um die Teufelin zu vertilgen von der Erde. Da plötzlich teilen sich die Flammen, Satanella schüttelt lachend die Fesseln von ihren Händen, das graue Büßer- und Sterbehemd fällt von den Schultern, und sie selbst steht in Höllenpracht gekleidet vor dem entsetzten Volk. In wilden Dithyramben singt sie ihr bestrickendes Zauberlied, und mit dem jauchzenden Schluss: „Lebt wohl, ich kehre zurück zu euch, so lang die Schönheit Siege feiern wird, so lange Männerherzen sich noch betören und betrügen lassen –“, sinkt Satanella hinab in die sie verschlingende Erde.
Diesem Schlusse jauchzte das Publikum zu; es konnte sich nicht satthören an der mächtigen, süßen und metallreichen Stimme der fremden Sängerin, die eigens gekommen war, um die Satanella zu singen; es konnte sich nicht sattsehen an dem wunderbar malerischen Schlussbild mit dem brennenden Scheiterhaufen, den mittelalterlichen Stadtmauern mit ihren Türmen und Erkern, dem entsetzt zusammengedrängten Volke und der Gestalt der Satanella auf dem Holzstoß.
Sie war in der Tat von wunderbarer Schönheit, diese fremde Sängerin, Senora Dolores Falconieros – eine schlanke, geschmeidige Gestalt mit dem leuchtenden Rothaar Tizians, das in üppigen Wellen herabfiel auf das scharlachrote Seidengewand, das sie umschloss. Und in dem blutlosen und doch lebensfrischen Antlitz brannten große, strahlende, samtschwarze Augen, deren Glanz noch gehoben wurde durch die sich über der feinen römischen Nase schließenden dunklen Brauen, durch die langen seidenartigen Wimpern.
Wie sie dort stand auf der Bühne inmitten des rot glühenden Feuers, im roten Gewand und im roten Haar, aus dem ein zweigezacktes Brillantdiadem blitzte und funkelte, mit der wundersam bestrickenden Stimme ihr in seltsamem Rhythmus sich bewegendes Teufelinnenlied singend und dazu ein Flammen sprühendes Zepter schwingend, dessen Feuerregen bis ins Parkett hinab flog, da bot sie ein Bild, das mit begreiflicher dämonischer Macht die herbeigeströmten Hörer zu brausendem Beifall entfachte. Immer wieder musste Satanella aus den Tiefen der Hölle, der Versenkung, heraufsteigen und mit dankendem Lächeln grüßend ihr verkohlendes Zepter schwingen.
Das Schicksal der neuen Oper war entschieden. Der berühmte blonde Tenorist als „minniger Sängerheld“ und die durch den Intendanten entdeckte und sofort berühmt gewordene Fremde hatten der herrlichen Musik den Odem des Lebens eingehaucht und ihr Weihe erteilt, hinauszutönen in alle Welt.
Etwa eine Stunde später hatte sich ein kleiner, aber gewählter Kreis in dem künstlerisch ausgestatteten Salon des Direktors der Akademie der Künste, Professor Balthasar, zusammengefunden. Der Hausherr, ein über die Grenzen Europas hinaus bekannter geistvoller Maler in der Blüte der Jahre, liebte es, nach dem Theater einen kleinen Kreis um sich zu versammeln, in dem er und seine liebenswürdige Gattin aufs Trefflichste für die leibliche und geistige Unterhaltung ihrer Gäste sorgten.
Um den runden Tisch, dessen silbernes Teegerät von Frau Balthasar gewandt und lautlos gehandhabt wurde, saßen etwa sechs Personen mit Einschluss des Hausherrn und der Hausfrau. Da war der hochberühmte geniale Historienmaler Richard Keppler, der feinsinnige Dichter N., die berühmte Schauspielerin Luise R., der Legationsrat Freiherr von Falkner. Ein Platz war noch leer – er harrte eines verspäteten Gastes.
„Mir summt die Melodie des Teufelinnenliedes noch im Kopf – ich kann sie nicht loswerden“, meinte Professor Balthasar.
„Das macht der dämonische Einfluss dieser Musik – es ist ein echtes rechtes Teufelswerk!“, rief die Schauspielerin.
„Ja, aber das Werk eines genialen Teufels“, entgegnete Keppler.
„Das ist das rechte Wort dafür“, sagte der Legationsrat, eine hohe, gebietende Erscheinung mit dunklen Augen, dunklem Haar und gleichem Vollbart, „die ›Satanella‹ ist ein Werk, das aus jedem Takt einen Born von Genialität sprudeln lässt, aber eine Genialität, die ich herzlos nennen möchte, weil sie nicht das Herz, sondern nur den Geist berührt und anregt. Der Komponist ist zweifellos ein Genie, aber er ist nicht von Gottes Gnaden, sondern von Luzifers.“
„Und versteht doch so warme Herzenstöne anzuschlagen“, nahm sich Frau Balthasar des unbekannten Meisters an, „ich erinnere Sie nur an das süße Liebeslied des Troubadours im zweiten Akt.“
„O ja, es schmeichelt sich dem Gehör ein, aber nicht dem Herzen“, erwiderte Falkner kühl, „es bezaubert, aber es ergreift nicht. „
„Nun, dann erkläre ich mich befriedigt durch den Zauber, den das Liebeslied enthält!“, rief Keppler. „Warum sollen wir armen Sterblichen uns nicht einmal bezaubern lassen? Wir können nur vom Glück sagen, wenn unser Herz dabei nicht Schaden leidet. „
„Sie mögen recht haben, Keppler“, erwiderte der Legationsrat ruhig, „die Individualitäten sind ja so verschieden. Für mich ist die Musik keine Musik, wenn sie nur blendet und berauscht. So erkläre ich offen auf die Gefahr hin, für einen Vandalen gehalten zu werden, dass für mich die Mehrzahl der antiken Statuen nichts sind als alte Marmorblöcke, deren blöde Augen uns Epigonen recht dumm anstarren, und dass das schönste Antlitz, aus dem kein Herz spricht, mich entsetzlich gleichgültig lässt. So die Musik der ›Satanella‹. Ich bewundere den elektrischen Strom der Genialität, der durch ihre Takte pulst, aber ich liebe sie nicht, weil nicht ein einziger warmer, menschlicher Herzschlag sie durchzittert.“
Während der Legationsrat sprach, hatte sich einer der Türvorhänge geteilt, und in seinem Faltenrahmen erschien, nur von Frau Balthasar bemerkt, eine dunkle Frauengestalt mit rotem Tizianhaar – Dolores Falconieros. Sie legte lächelnd den Finger auf die Lippen, zum Zeichen, dass sie noch unbemerkt bleiben wolle, und stand noch so, als Professor Balthasar entgegnete: „Nun wohl, aber was der Musik fehlt, gaben die Darsteller ihr.“
„Wie wunderbar schön sang unser Heldentenor den Minnesänger, wie seelenvoll“, rief die Schauspielerin.
„Und wie herrlich war die Falconieros in der Titelrolle“, setzte Keppler hinzu, „es war eine unvergleichliche Leistung.“
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