Von Kasachstan
in die Südsee
Wie ich mal
eben vom Weg
abkam
Katharina Bahn
Impressum
Reisesplitter
Von Kasachstan in die Südsee –
Wie ich mal eben vom Weg abkam
von Katharina Bahn
erschienen im
Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH
Osnabrücker Str. 79, 33649 Bielefeld
© Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH
1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Gestaltung:der Verlag
Lektorat:der Verlag
Alle Fotos, soweit nicht anders angegeben:
Katharina Bahn (Instagram: reise_katha)
ISBN 978-3-8317-3342-2
ISBN pdf978-3-8317-5170-9
ISBN epub978-3-8317-5171-6
ISBN mobi978-3-8317-5172-3
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Für alle, die bereits gegangen sind, obwohl sie gerne noch ein bisschen geblieben wären.
Januar – Fresst meinen Sternenstaub
Februar – Wasserschildkröten-Curry
März – Vom Nahen Osten in den nahen Osten
April – Camping mit Welpenschutz
Mai – Getrockneter Quark
Juni – 5835 Kilometer mit dem Zug
Juli – Der zweite große Crash
August – Ein Defibrillator in der Wüste
September – Eine Leiche im Keller
Oktober – Chainsaw Girl
November – O Tannenbaum bei 35°C
Dezember – Champagner und Leberkäse
Fresst meinen Sternenstaub
Ein ohrenbetäubender Schrei zerreißt die Stille meiner Zwei-Zimmer-Wohnung. Eine schrille weibliche Stimme, so laut, dass selbst das Dröhnen der Flugzeuge vom nahegelegenen Frankfurter Flughafen übertönt wird. Amüsiert beäuge ich die Quelle des Krachs: den Taschenanhänger in meiner Hand, der kaum größer als ein Autoschlüssel ist. Wie kann ein so unscheinbares Teil bloß solch ein grauenhaftes Geräusch von sich geben? Bevor ich meine Nachbarn auf den Plan rufe, stecke ich den winzigen Metallstift in die dafür vorgesehene Öffnung und das Gerät verstummt.
Diesen Taschenalarm hat mir mein Onkel geschenkt. Ich soll ihn zur Sicherheit in den nächsten Monaten mit mir rumschleppen. An einer Seite ist ein Schlüsselring zur griffbereiten Befestigung an der Handtasche oder am Rucksack. Auf der anderen Seite steckt der Metallstift, verlängert mit einem silbernen Kettchen. Es ist so gedacht, dass man im Falle eines Überfalls oder einer anderen Gefahrensituation die kleine Kette mit einem Ruck aus dem Anhänger reißt. Der dadurch aktivierte Schrei soll den Angreifer im besten Fall vertreiben oder zumindest andere Menschen auf sich aufmerksam machen. Höchst praktisch also. Zur Krönung ist der Anhänger mit einem dekorativen Muster geschmückt. Trotzdem verschwindet das Teil weit unten in meinem 65-Liter-Rucksack.
Meine Vernunft habe ich vergleichbar tief unten vergraben. Besser gesagt, ist sie mir abhandengekommen – mit dem Entschluss, ein Jahr Auszeit zu nehmen. Und einen Ausflug mit einem Land-Rover zu machen. Durch Zentralasien. Für neun Monate. Mit einem wildfremden Menschen.
Ich mache eine Bestandsaufnahme. Es ist das letzte Januarwochenende. Vor wenigen Tagen ertönte für mich vorerst das letzte Mal das Piepsen der Stechuhr in meinem Büro. Meine Wohnung habe ich zu Ende März gekündigt und bis dahin untervermietet. Mein kleiner Peugeot ist verkauft. Auch einige meiner Möbel haben bereits einen neuen Eigentümer. Für den Rest sowie meine persönlichen Besitztümer habe ich die Einlagerung organisiert. Ich breche meine Zelte stückchenweise ab. Auch mit meiner Gefühlswelt räume ich nach und nach auf – so habe ich kürzlich ein letztes Mal den Mann getroffen, der mir im vergangenen Sommer das Herz gebrochen hat. Ich bin bereit für neue Abenteuer und mache mich frei von Altlasten. Es kann losgehen. Gestern Abend habe ich meine Vorfreude mit ein paar Freunden begossen. Cocktails, Bier und Weißwein an einem Abend zu trinken, ist eine blöde Idee. Ich bin 29 Jahre alt und habe das noch immer nicht begriffen. Jetzt liege ich verkatert und zerknautscht auf dem Sofa und versuche dringend, wieder unter die Lebenden zu gelangen. Mein Untermieter für die nächsten acht Wochen zieht heute Abend ein – wie auch mein Reisepartner ist er ein Wildfremder und ich will ihm nicht vollkommen zerstört gegenübertreten.
An dieser Stelle sollte ich ein paar Monate zurückspulen. Im Frühjahr bin ich auf einer Dienstreise mit dem Zug unterwegs. Die Wartezeit am Bahnhof vertreibe ich mir in einem Zeitschriftenladen. Mir fällt ein Reisemagazin ins Auge, von dessen Titelseite mich breit ein Chilene anlächelt. Spontan kaufe ich es. Ich war noch nie in Südamerika. Seit Wochen beschäftigt mich die Idee, eine größere Reise zu machen. Eine Weltreise? In ein anderes Land, um eine neue Sprache zu lernen? Kündigen? Eine Auszeit nehmen? Südamerika? Indien? Thailand? Kanada? Ein Sonnensystem voller Ideen schwirrt in meinem Kopf umher. Manche Planeten darin geraten in meine Umlaufbahn und verlassen sie gleich wieder, andere bleiben hängen und kreisen dauerhaft in meinem Kosmos. Ich erhoffe mir von dem Magazin neue Inspirationen.
Die Umstände stimmen – ich bin ungebunden und mein Leben hat sich nach einigen aufreibenden Jahren wieder zufriedenstellend normalisiert. Ich finde zurück zu neuer Energie. Durch den Verkauf meines Elternhauses konnte ich einen brauchbaren Geldbetrag auf die Seite legen. In mir schlummert etwas. Die Sehnsucht nach „weit weg“. Reiselust – für mich kein Fremdwort. Mit 18 Jahren habe ich meine erste Fernreise nach New York City angetreten. Wenige Jahre später habe ich mit Abschluss eines Hotel- und Tourismusmanagement-Studiums mein Hobby zum Beruf gemacht.
An besagtem Bahnhof treffe ich zufällig einen Arbeitskollegen. Wir sitzen uns im Zug gegenüber. Nach einer kurzen Unterhaltung blättere ich in meinem neu erworbenen Reisemagazin und lande bei den Kleinanzeigen: Reisepartner gesucht. Ich bleibe bei einer Annonce hängen. Für zwei lange Sekunden höre ich nur noch mein eigenes Herz in Zeitlupe pochen:
„Biete eine Mitfahrgelegenheit in einem Land-Rover von ca. Anfang März bis Ende November nach Asien und wieder zurück. Die Route wird in etwa folgende Länder enthalten: Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Russland, Mongolei, China, Nordindien, Nepal, Tadschikistan, Iran, Oman, Türkei. Eins der großen Highlights dieser Tour wird das Durchfahren des Karakorum sein. Mitreisende (m/w, 25-40) sollten weltoffen, unkompliziert und humorvoll sein. Paul (Mitte 30, E-Mail: paul@zentralasien.de)”
Bei der Hälfte der Länder bin ich nicht einmal sicher, wo sie genau liegen. Was das Karakorum ist, weiß ich nicht. Und ich habe nur eine vage Vorstellung, wie ein Land-Rover aussieht. Ich bin begeistert!
Nervös blicke ich zu meinem Kollegen, um dann sofort wieder wegzusehen. Ich befürchte, dass meine Pläne in großen Buchstaben auf meiner Stirn stehen. Heimlich mache ich ein Foto von der Anzeige und schicke es per WhatsApp an meine Schwester: „Soll ich dem mal schreiben?“
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