Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Der „Pension Malepartus“ anderer Teil.
Tragikomische Erlebnisse
geschildert
Mit Illustrationen
nach Original-Zeichnungen von Fritz Koch.
Fünfte Auflage.
Saga
Major Fuchs auf Reisen
German
© 1914 Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517543
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Du Thussi, sagte der Major a. D. August Fuchs, indem er auf seiner erregten Promenade durch das lange, schmale, ungemütliche Hotelzimmer vor dem Sofa stehen blieb, auf dem seine bessere Hälfte mit unglücklichem Gesicht und allen Anzeichen physischer Erschöpfung sass. „Du, Thussi, jetzt erkläre dich mal, ob die Wohnung dir gefällt!“
„Welche Wohnung, August?“ fragte Frau Thusnelda Fuchs, indem ein tiefer Seufzer ihre behäbige, runde Gestalt durchzitterte. „Wir haben in drei Tagen sechsundvierzig Wohnungen gesehen und 130 Treppen bezw. Etagen dazu erstiegen und wenn das noch drei Tage so fort geht —“
„Eben deswegen frage ich, ob die Wohnung, von der wir eben gerade herkommen, dir gefällt!“ fragte der Major ungeduldig.
„Ach August,“ erwiderte Frau Thussi matt und resigniert, „die Vorderstuben sind ja nicht übel, aber das grässliche Schlafzimmer hinten heraus, wo weder Licht noch Luft herein kann und das Essen aus der Küche durchgetragen werden muss —“
„Na also! Sie gefällt dir nicht,“ unterbrach der Major die weitere Topographie der eleganten Stadtwohnung, „mir gefällt sie auch nicht, ich finde den ganzen Menschenstall einfach scheusslich und damit wären wir ja glücklich wieder so weit, wie vor drei Tagen, nur dass wir von dem Treppengekletter fertig sind. Wohnungen suchen verdirbt entschieden den Charakter, Thussi, ich wenigstens bin ganz geneigt, all den Besitzern dieser infamen Löcher, die man uns für schweres Geld zum Mieten angeboten hat, den Hals umzudrehen. Nun pass auf, jetzt werd’ ich dir mal was sagen und dir einen Vorschlag machen.“
Der Major zog einen Stuhl vor den Sofatisch und nahm seiner Frau gegenüber Platz, die ihn erwartungsvoll ansah.
„Lass uns zunächst mal rekapitulieren,“ fuhr der Major fort. „Du weisst, ich bin ein methodischer Mensch und liebe die Ordnung. Na also: Wir haben seit meiner Verabschiedung schlecht und recht von meiner Pension, aber ruhig und in Frieden gelebt und an nichts Böses gedacht. Da vermacht dein maliziöser Onkel, der Hofmarschall, dir das Jagdschloss Malepartus, und da das Ding so wie es steht, unverkäuflich ist, und wir auch sonst nicht wissen, was wir damit anfangen sollen, so kommst du auf die grossartige Idee, eine Fremdenpension darin zu gründen. Wir richten also aus eignen kleinen Mitteln und aus Pump das Haus aufs bequemste ein und eröffnen darin die ‚Pension Malepartus.‘ Bon! Wir reüssieren, wir haben das Haus voll Gäste — und was für Gäste! und ehe ein paar Monate verstrichen sind, finden wir für den ganzen Krempel einen solventen Käufer und die Summe, die Malepartus uns bringt, versetzt uns in die Reihe der Kapitalisten und in die unangenehme Notwendigkeit, uns eine Wohnung zu suchen, et nous voilà! Und nun komme ich zu dem, was ich eigentlich sagen will. Als der Herr Alex Bachleitner, nachdem er wochenlang seine grosse Schnüffelnase in jeden Besenwinkel der Pension Malepartus gesteckt hatte, mit seinem Kaufpropos zu mir kam, sagte er mir mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liess, dass ich mich zum Pensionshalter eignete wie der Igel zum Taschentuch, und dass ich die ganze Geschichte falsch angefangen hätte und auf dem eingeschlagenen Wege nie auf einen grünen Zweig kommen würde. Recht wird der Herr Alex Bachleitner, Wohlgeboren, ja wohl haben, aber geärgert hab’ ich mich über das, was er mir gesagt hat, schlagrührend, und das kannst du mir auch nicht verdenken, Thussi, denn es ist niemals angenehm, wenn einem haarklein bewiesen wird, dass man ein Esel ist. Aber ich bin wenigstens ein Esel mit einem gewissen Ehrgeiz, und wenn der Kerl, der Bachleitner mit seinem süffisanten Lächeln, seiner Schnüffelei, seiner Cyrano de Bergerac-Nase und seinen Sülztatzen mir nicht so unsympathisch wäre, dann würde ich bei ihm ein bissel in die Schule gegangen sein. Kurz, Thussi, ich gestehe es dir ein in dieser feierlichen Stunde, dass die Geschichte mich alpt und dass ich darauf brenne, Studien zu machen, um zu erfahren, wo und wieso ich als Inhaber der Pension Malepartus auf dem Holzwege war, und wie man es anfangen muss, um eine Fremdenpension fachgemäss zu führen und damit auf besagten grünen Zweig zu kommen. Da unsere Mittel es uns nun erlauben und unsere Zeit erst recht, so möchte ich dir den Vorschlag machen: stellen wir unsere Möbel auf einen Speicher und gehen wir eine Zeitlang auf Reisen! Na, was sagst du denn dazu?“
„Aber natürlich, August, ich bin ganz einverstanden!“ erwiderte Frau Thussi, über das ganze runde Gesicht lächelnd, indem sie eine Liste zerriss, auf der noch ein halbes Hundert zu vermietender Wohnungen aufgezeichnet standen, und die noch mindestens 200 zu erklimmende Stockwerke repräsentierten. „Reisen wir also! Nur August — du hast doch nicht gar im Sinne, eine neue Pension zu gründen?“
„Nee, Thussi!“ lachte der Major behaglich, indem er die Fetzen der Liste mit sichtlichem Vergnügen in den Papierkorb trug. „Aber, nicht wahr, das verstehst du, dass man wissen will, wo das falsche Ende sitzt? Du hast ja mit mir am gleichen Strange gezogen — ’s wird dir also auch Spass machen zu sehen, wie’s eigentlich gemacht werden muss. Versteh’ mich recht: nicht das Hotelwesen will ich studieren, sondern die gemütliche, behagliche Familienpension in ihrer enger gezogenen Grenze. Im Hotel ist man eine Nummer, die von dem mehr oder minder wohlregulierten Uhrwerk des Personals in schematischer Ordnung bedient und erledigt wird — eine Individualität des Gastes wie des Wirtes kommt im Hotel nicht zur Geltung. Anders die Familienpension. Dort ist der Gast nach meinen Begriffen keine Nummer, sondern ein Mensch, der das Behagen des eigenen Heims unter fremdem Dache sucht und finden soll, um unter diesen angenehmen Bedingungen das Land und die Gegend, die er besucht, kennen zu lernen. Und andererseits soll es, nach meiner Auffassung, das Bestreben des Pensionsgebers sein, einem Gaste das Leben unter seinem Dache zu einem möglichst angenehmen zu machen, das Gewicht auf familiäres Zusammenleben zu legen und den Eindruck hervorzurufen, als ob man einen Kreis bildete, in dem alle Gäste eingeschlossen sind. Der Bachleitner, siehst du, Thussi, der ist Hotelier, gelernter Hotelier, und legt natürlich seinen Massstab an. Was weiss ein Hotelier vom Familienleben seiner Gäste untereinander? Das hat er vielleicht auch nicht gemeint, als er mir auseinandersetzte, welch blühender Esel ich gewesen bin — er betonte wohl mehr das wirtschaftliche — aber gleichviel, ich will mir die Sache mal ansehen, wie es gemacht werden muss, um mit einer Familienpension nach der ideellen wie nach der materiellen Seite zu reüssieren. Um den Anfang zu machen: ich habe hier einige ausserordentlich wohlempfohlene Adressen, denen der ‚Stern‘ in meinem Reiseführer das Relief der Gediegenheit zum Überfluss verleiht. Der Winter steht vor der Tür — brechen wir denn auf nach einem wärmeren Himmelsstrich! Da hätten wir z. B. am See von Brissago die Adresse einer solchen warm empfohlenen Familienpension — die ‚Villa Bellavista,‘ deren Inhaber ein Deutscher, Herr Purzel, ist, der seinen Gästen neben idyllischer Lage alles Behagen des eignen Heims verheisst, bei freundlichstem Familienleben und vorzüglicher Verpflegung. Wenn’s dir also recht ist, Thussi, dann brechen wir dahin auf — die Frage, ob noch Platz ist, erledigt ja schnell ein Telegramm.“
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