Ein Donnergepolter an die Haustür, das wie ein auf Holz geschlagener Generalmarsch klang, unterbrach diese neuen Zweifel, und da der Major gerade dahinter stand, so machte er die Tür einfach auf. Es waren der Bäcker und der Briefträger, die in dieser energischen Weise Einlass begehrten und ihre Ware bezw. Post einfach auf den Major und seine Gattin abluden. Während Frau Thussi noch im Zweifel war, wo sie mit den Wecken hin sollte, und der Major standhaft seine Unterschrift für einen chargierten Brief an den Chasseur-Kapitän verweigerte, erschien zum Glück der Herr des Hauses und machte der eigentümlichen Situation seiner Gäste ein erwünschtes Ende. Lieblich sah er nicht aus, der Cherub! Sein goldenes Gelock hing ihm verrauft um das verschlafene Gesicht, aus dem der Katzenjammer zum Himmel schrie, seine Füsse steckten in lebhaft bunten Pantoffeln und seinen Leib umhüllte ein schmutzstarrender alter Überzieher mit heraufgeschlagenem Kragen, den er wegen gänzlich mangelnder Knöpfe keusch über dem Leibe zusammenhielt.
„Nein, was die Herrschaften aber früh auf sind,“ sagte er nach Erledigung von Bäcker und Briefträger mit verschleierter Stimme.
„Fünf Minuten nach neun — nennen Sie das früh?“ fragte der Major.
„Aber wer steht denn ummer nein schon auf!“ entgegnete der Cherub mit leichtem Tadel. „Die Angiolina ist ja noch nit amal aus den Federn!“
Nun begriff der Major die rätselhafte Rede der Frau Purzel von gestern abend, als sie das Frühstück um acht Uhr für einen Scherz hielt! Und er fragte sich mit sinkenden Lebensgeistern und knurrendem Magen, wie er es in diesem gastlichen Hause zuwege bringen sollte, bis um zehn früh zu schlafen oder ohne Frühstück zu bleiben?
Die Angiolina, das heisst das Zimmermädchen, aber war besser als ihr Ruf, denn sie erschien eben auf der Bildfläche, ungewaschen, unfrisiert, aber freundlich lächelnd und bildhübsch. Eilig klapperte sie mit ihren „soccoli,“ den landesüblichen Holzpantoffeln mit hohem Absatz die Treppe herab und versprach „subito, subito“ das Frühstück, denn die Damen auf Nr. 2 wollten ja nachher bald abreisen. Das erweckte den Cherub zu der Erinnerung, dass er ja einen Wagen zur Bahn zu besorgen habe, und weil mit Ausnahme der Vizinalbahnen sich alle Eisenbahnen durch die Unfreundlichkeit und Rücksichtslosigkeit auszeichnen, nicht zu warten, so verduftete er in seine innersten Gemächer, um nach einer hastigen Toilette seinen Pflichten als Wirt zu genügen.
Der Major aber und seine Gattin, nachdem sie einen Blick in den durchaus für ein Frühstück unvorbereiteten Speisesaal geworfen, traten in den Garten hinaus und betrachteten stumm die landschaftliche Herrlichkeit, die sich in vollem Sonnenschein vor ihnen ausdehnte. Wenn der Mensch ordentlich gefrühstückt hat, macht sich so etwas entschieden besser und darum ertappte sich der gute Major auch auf der Frage an das Schicksal, warum der Schöpfer in ein so paradiesisches Land solche schlampige, unpünktliche und verschlafene Geschöpfe gesetzt — aber was half alles Hadern? Klappernd vor innerem und äusserem Frost pinscherten die armen Opfer ihres gläubigen Vertrauens in die wohlgeregelte Ordnung einer „erstklassigen“ italienischen Familienpension in dem reifbedeckten Garten hin und her, bis nach einer guten halben Stunde Angiolina strahlend mit der Meldung kam, dass der Tee „schon“ fertig sei. Nicht gerade sehr zum Essen gereizt durch Angiolinas Aussehen, den wenig verlockend gedeckten Tisch in dem hundekalten, ungeheizten Speisesaal, folgten sie dem ersehnten Rufe — der Tee an sich war ja gut, aber er war natürlich mit lauem Wasser in der kalten Kanne gebrüht (ein so häufig gemachter Fehler), und verdiente daher trotz seiner persönlichen Güte den Namen einer ruppigen Tunke.
„Trinken wir lieber morgen Kaffee,“ schlug Frau Fuchs vor. „Den werden sie ja vielleicht kochen, dann ist er doch aber wenigstens warm!“ Ach, wie bescheiden wird der Mensch doch unterwegs!
Eine eingehende Befragung Angiolinas brachte Fuchsens die heilige Versicherung, dass ihr neues Zimmer sicherlich bis Mittag bereit sein würde — in einer Stunde stünden die Fräuleins Purzel ja „schon“ auf und würden dann beim Aufräumen gewiss einmal mithelfen. Frau Thussi erkundigte sich, wie es denn mit dem Scheuern der Dielen wäre, die leider im ganzen Hause roh waren, denn die gute Seele legte keinen Wert darauf, sich in dem feuchten Dunst eines frischgescheuerten Zimmers mit tödlicher Sicherheit einen solennen Schnupfen zu holen. Andererseits aber legte sie wieder grossen Wert auf die gründliche Reinigung dieses von Fremden vorher bewohnten Raumes. Doch das begriff Angiolina ganz und gar nicht — man scheuerte die Zimmer alle Jahre in der Woche vor Ostern — wozu denn dann drei Wochen vor Weihnachten schon? Das wäre ja etwas ganz Unerhörtes, ganz Ungewohntes — sie wolle es der Signorina sagen und die Padrona fragen, aber wozu denn in aller Welt ein Zimmer scheuern, das doch erst letzte Ostern mit grüner Seife und einer fast neuen Bürste gewaschen worden war? Und kopfschüttelnd über die sonderbaren Ideen der immer nur „Waschen! Waschen!“ verlangenden, verrückten Tedeschi, klapperte sie auf ihren soccoli in die Küche zurück.
Im Schreine ihres Herzens die Hoffnung ad acta stellend, machten Fuchsens sich nach ihrem unbefriedigenden Frühstück auf den Weg zu einem Gange durch die Stadt — das war besser, als hier zu frieren oder Trübsal zu blasen. Angeregt und erfrischt kamen sie um ein Uhr zum Lunch zurück — das war jedenfalls bereit, das Zimmer natürlich nicht. Merkwürdigerweise war auch der Cherub zur Stelle, und die vortreffliche Mahlzeit wirkte insoweit günstig auf Fuchsens, dass sie sich ohne Murren gleich darauf zur Schiffslände begaben, um durch eine kleine Dampferfahrt das Warten auf ihr Zimmer abzukürzen.
Als sie so gegen fünf Uhr zurückkehrten, verkündigte die ihnen vor dem Hause beschäftigte Angiolina — das arme Mädel hatte noch nicht Zeit gehabt, mit Seife und Kamm ihre Toilette zu vervollständigen — dass das Zimmer bereit sei: „Una stanza bellissima!“ setzte sie begeistert hinzu und führte die gleichfalls begeisterten Fuchsens gleich in ihr neues Reich. Nun, ja — die Sonne leuchtete noch hell hinein in das Zimmer und das war schon hundertmal besser als das dumpfe, finstre Loch, in das sie vor vierundzwanzig Stunden gesperrt worden waren, und durch die zwei Fenster hier hatten sie die herrlichste Aussicht über den See, auf dem der Sonnenuntergang gerade alle Farben des Spektrums und noch Hunderte von Mischungen zauberte —
Gross war das Zimmer eben nicht und die Einrichtung war von einer rührenden Einfachheit. Auf der Chaiselongue lag eine üppig bestickte Jutedecke, in deren Mitte ein anständiges Dreieck klaffte, und der gute Major wunderte sich, wer das gerissen haben konnte, weil doch sicher niemand so leichtsinnig sein konnte, sich auf dieses Möbel zu setzen, wenn er oder sie die Kleider mit Jutefasern nicht bedeckt haben wollte, die sich so schwer herausbürsten lassen. Der neben dem Tisch stehende Lehnsessel bewies, dass er zum Sitzen bevorzugt worden war, denn sein ehedem üppiger Plüschbezug war auf dem Sitze kreisrund total herausgesessen und flatterte sonnenblumenartig um das Loch in der Mitte. Ein zweiter, auch etwas defekter Rohrstuhl, ein mit überreich gesticktem, aber fürchterlich schmutzigem Deckchen belegter Nachttisch zwischen den beiden Betten, und eine kleine Waschkommode vollendeten die Einrichtung, wenn man die beiden spucknapfgrossen Waschschüsseln nicht mit rechnete und die dazu gestellten, aber einer andern Sorte angehörigen Krüge, von denen dem einen der Henkel und dem andern die Schnauze fehlte.
Frau Thussi überflog mit kundigem Hausfrauenauge diese und andre Details und wechselte dann mit ihrem Manne einen Blick, der Bände sprach. Aber kurz entschlossen sagte sie dann zu der diese Herrlichkeiten verzückt betrachtenden Angiolina, dass sie Frau Purzel zu sprechen wünsche und zwar gleich. Angiolina verschwand also und Frau Fuchs setzte sich, immer noch in Hut und Mantel erwartungsvoll auf den Rohrstuhl, während der Major zum Fenster hinaussah — sprechen taten die beiden nicht und wozu auch? Die Tatsachen redeten ja. Nach einer Weile klopfte es und Fräulein Centa Purzel erschien, einen Strähn Strickgarn um den Hals. Sie entschuldigte ihre Mutter, die in der Küche beschäftigt sei und nicht abkommen könnte und fragte, ob die Herrschaften noch etwas wünschten und ob das Zimmer ihnen gefiele, es sei eins der besten im Hause.
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