Jenny Karpe - Zwei Kontinente auf Reisen

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| Nominiert für den Deutschen Phantastik-Preis in der Kategorie «Bester Debütroman» |
Auf einem Felsen mitten im Meer liegt Kiras und Aarons Heimat. Nichts geht hier mit rechten Dingen zu: Die Sterne bewegen sich nie, täglich bebt der Boden und die Bewohner leben in ständiger Angst, dass ihre Insel zerbricht.
Ausgerechnet die verfeindeten Völker Ruan und Amerika müssen sich dieses Stück Land teilen. Als sie eine Grenze ziehen, trennen sie auch die Freunde Kira und Aaron. Für die Rettung ihrer Heimat müssen die beiden alle Regeln brechen und eine Reise ins Ungewisse auf sich nehmen, von der jede Wiederkehr ausgeschlossen scheint.

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Jenny Karpe

Zwei Kontinente auf Reisen

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Inhaltsverzeichnis Titel Jenny Karpe Zwei Kontinente auf Reisen Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 01

Kapitel 02

Kapitel 03

Kapitel 04

Kapitel 05

Kapitel 06

Kapitel 07

Kapitel 08

Kapitel 09

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

Impressum neobooks

Kapitel 01

Die Insel am anderen Ende des Meeres zerfiel. Mit brachialer Gewalt trennte ein unsichtbarer Riese Stücke davon ab, als wäre das Land nur ein trockener Kuchen, den es zu verspeisen galt. Donnernd und schäumend versank das Gestein in den Fluten. Die Abendsonne tauchte die fallenden Körper in rote Schatten.

Kira hatte längst begriffen, dass sie nichts tun konnte, trotzdem wollte sie sich nicht abwenden. Die Insel erinnerte sie an einen gigantischen Pilz aus Stein. Von dessen Schirm rutschten allmählich die Gebäude einer Kleinstadt. Das Mädchen hatte sich schon manches Mal gefragt, wie stabil der niedrige, dürre Hals dieser Insel sein konnte. Die Antwort schnürte ihr die Kehle zu.

Kira wollte näher herangehen, doch die Füße berührten bereits den Rand ihrer Heimat. Viele Meter unter ihnen trug der Ozean einige Überreste der Nachbarinsel an die Klippen. Das bedrohliche Tosen übertönte beinahe die Stimmen der Erwachsenen, die sich seit den Morgenstunden auf dem Marktplatz gegenüberstanden, um einander lautstark zu beschimpfen. Einige Gassen trennten sie von Kira, weshalb sie die zerbrechende Insel vermutlich nicht hörten. Allerdings war es wahrscheinlicher, dass sie zu abgelenkt waren.

Sie überlegte, ob die Erwachsenen verstummen würden, wenn sie tatsächlich neben ihr stünden und sehen könnten, wie ihre Nachbarn starben. Auch ihre Insel hatte schon gebebt, aber bislang hatte sie gehalten.

Mittlerweile konnte das Mädchen die Ruinen und das Gestein kaum voneinander unterschieden. Es beunruhigte sie, dass sie keine Hilferufe hören konnte, daran war das brüllende Meer schuld. Die Menschen, die gemeinsam mit den Trümmern in die Tiefe fielen, waren bloß Schemen. Nun brach ein gewaltiges Stück von der Insel ab. Gischt stob auf, als der Felsbrocken auf den Ozean traf.

In einer Mischung aus Furcht und Faszination legte Kira den Kopf schief. Einer ihrer langen roten Zöpfe rutschte über die rechte Schulter. Sie waren ungleichmäßig geflochten, viel zu eilig. Ihre Eltern hatten heute nicht viel Zeit für sie erübrigen können. Vielleicht fragten sie sich nicht einmal, wohin ihre Tochter verschwunden war. Kira knetete ihre Finger und schürzte nachdenklich die Lippen. Ihre alten, schwarzen Lackschuhe waren von Staub bedeckt, einer der knielangen Strümpfe hatte den Halt verloren und war bis zum Knöchel hinabgerutscht. Die hellblaue Bluse lugte zerknittert aus dem grauen Rock, in den sie gestopft worden war.

Wie lange ihre Eltern brauchen würden, um sie an der schmalen Klippe zwischen den Häuserschluchten zu finden? Es war wohl die beste Lösung, zum Marktplatz zurückzukehren, um ihnen die Suche zu ersparen. Anderseits würden sie ihr sowieso nicht glauben, wenn sie von der sterbenden Insel berichtete. Außerdem war das Chaos viel zu faszinierend.

Der steinerne Pilz in der Ferne verlor in diesem Moment die Hälfte seines Schirmes. Sie konnte Straßen erahnen, die für Sekundenbruchteile zu einem Murmellabyrinth wurden. Menschen, Bäume und viele kleine Gegenstände rutschten abwärts und schlugen gegen die Gebäude, bevor alles in sich zusammensackte.

Niemand wusste genau, ob Kiras Heimat auch wie ein Pilz aussah. Unzählige Male hatte sie danach gefragt, immer wieder gab es ausweichende Antworten. Bekannt war nur, dass die Insel zu hoch war, um hinunter ans Meer zu gelangen. Außerdem war sie zu klein für zwei Völker.

Mitten in den lauter werdenden Stimmen und dem Getöse der alles verzehrenden Fluten ertönte ein Knirschen. Kira fuhr herum und entdeckte einen Jungen, der ein oder zwei Jahre älter war als sie. Sie kannte ihn nicht, aber seine dunklen Haare verrieten ihr, dass er wahrscheinlich ein Ruaner war.

»Wow«, entfuhr es ihm. Er blieb hinter Kira stehen und starrte auf die zerfallende Insel. Ein Wohnhaus rutschte ab und versank zwischen den Wellen. »Wir sollten den Erwachsenen Bescheid sagen!«

»Dann geh doch.« Kira blickte stur geradeaus und betete, dass der Junge kehrtmachte und sich als Lügner beschimpfen ließ. Stattdessen sprach er unbeirrt weiter.

»Meinst du, das kann auch mit uns passieren?« Er zeigte mit beiden Händen auf die Insel, als würde eine nicht ausreichen. Seine Stimme war nervig, und das lag nicht nur daran, dass er laut sprechen musste. Kira blähte die Backen und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Dabei bemerkte sie einen schwarzen Ohrring an seinem linken Ohr, was sie eigenartig fand. Verschorfte Schrammen an seinen Handgelenken und den Knien unterhalb der blauen Shorts ließen sie vermuten, dass er oft stürzte. Der Gedanke ans Fallen erinnerte Kira an die Frage des Jungen.

»Bestimmt passiert das mit uns, wenn die Erwachsenen so weitermachen!«, rief sie und wandte den Blick wieder ab. Sie glaubte tatsächlich, dass ihre Insel zerbrechen konnte. Ihre Eltern sprachen manchmal vom Kippen, wenn sie glaubten, dass Kira im Hinterhof spielte und nicht zuhörte.

»Ich finde das total übertrieben«, kommentierte er laut. »Mein Vater ist auch dabei, aber ich glaube, er ist der Einzige, der …«

»Sei bitte mal ruhig, ja?« Kira trat weiter vor, ohne den Blick von der Insel zu lösen. Sie näherte sich einem kleinen Vorsprung zu ihrer Rechten, der mit vertrockneten Grasbüscheln übersät war. Der Wind pfiff hier so stark, dass alle anderen Geräusche übertönt wurden. Nur die nervige Stimme des Jungen wollte nicht verstummen.

»Für wen hältst du dich, hm? Du bist bestimmt … erst sieben Jahre alt?«

»Ich bin acht!«, brüllte Kira. In der Ferne stürzte ein weiterer Brocken in die See. Offenbar hatte der unsichtbare Riese nicht vor, etwas von der Insel übrig zu lassen – er wurde sogar noch gefräßiger.

»Und ich bin schon zehn!«, rief der Junge, ohne seinen Platz zu verlassen. »Du solltest auf mich hören!«

»Du weißt doch, Amerikaner hören nicht auf Ruaner«, murmelte sie den Lärm hinein. Sie hatte das von ihrem Vater, er betonte das bei jeder Gelegenheit. Seit die Diskussionen auf dem Marktplatz andauerten, konnte sie ihn am Frühstückstisch kaum ertragen. In gewisser Weise war es ein Glücksfall, dass die Erwachsenen heute so früh zu Streiten begonnen hatten, dass sie morgens nicht einmal essen konnten. Kira überlegte, welches der beiden Völker die Debatte zuerst unterbrechen würde, weil alle hungrig wurden.

»Hey, Aaron! Da steckst du!«

Ein gebräunter Junge mit krausem Haar tauchte zwischen den Ruinen auf. Kira verlor jegliche Hoffnung, das Spektakel in Ruhe beobachten zu können. Bevor Aaron etwas erwidern konnte, schrie der andere Junge auf. Kira glaubte zunächst, dass er gestolpert war, doch als sie sich umdrehte, stand er noch immer verdattert auf beiden Füßen.

»Die Insel! Die bricht ja zusammen!«

Seine Stimme war noch greller als Aarons. Kira hielt sich demonstrativ die Ohren zu, nahm ihre Hände aber herunter, als Aaron den Mund öffnete.

»Ja, Marv!«, rief dieser genervt. »Die Erwachsenen haben es noch nicht bemerkt!«

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