„Ja, liebes Fräulein, die Lage ist sehr schön, aber ich habe doch noch einige Wünsche,“ sagte Frau Fuchs, direkt aufs Ziel losgehend. „Erstens mal hat man vergessen, den Fussboden sauber zu machen — o ja, gekehrt ist er wohl, aber nicht gewaschen.“
„Doch, man hat ihn letzte Ostern erst mit Soda und Seife geschrubbt,“ erwiderte Fräulein Purzel liebenswürdig.
„Sicherlich, da Sie es sagen — aber man sieht es nicht mehr,“ erwiderte Frau Fuchs ebenso. „Könnte man die Dielen — uns zu Gefallen, nicht einmal ausser der Zeit waschen lassen? Wir legen sehr viel Wert darauf.“
„Gewiss — aber es ist so ungewöhnlich,“ meinte Fräulein Purzel zögernd, „und,“ setzte sie sanft hinzu, „und es hat auch gar keinen Wert, denn man tritt doch wieder auf den Boden und dadurch wird er wieder schmutzig.“
„Na, das ist unsre Sache — dann wird er eben wieder gewaschen,“ erklärte Frau Fuchs zum unbegrenzten Staunen ihrer Wirtstochter. „Ferner, sehen Sie einmal, die Fenster sind nicht geputzt und die Gardinen sind ja kohlschwarz vor Staub, hier in dieser ist auch ein sehr hässliches Loch.“
„O, Angiolina kann die Scheiben morgen etwas abwischen, wenn Sie Wert darauf legen,“ meinte die hübsche Centa bereitwillig. „Die Gardinen wird man nächste Ostern wieder waschen, wie es sich gehört — man lässt sie doch überall ein Jahr hängen. Dann wird man über das Loch mit Stärke einen Gardinenfetzen pappen und anbügeln. So machen wir’s immer — es ist sehr kommod —“
„Sehr! Aber inzwischen —“
„O, dann steckt man’s mit einer Stecknadel zu —“ und sie liess dem Wort die Tat folgen. „Ecco — là — sieht’s so nicht wieder hübsch aus?“ fragte sie voll naiven, freudigen Stolzes, der die gute Frau Fuchs einfach starr machte.
„Dann wäre hier die Decke auf dem Sofa — es ist ein Loch hineingerissen,“ sagte sie nach einem Momente der Sammlung.
„Ja, das hat ein Herr gerissen, der im Sommer hier wohnte. Ist’s nicht schrecklich, wie leichtsinnig manche Gäste einem die besten Sachen ruinieren?“ fragte Fräulein Purzel mit sanftem Vorwurf. „Die Dame, die zuletzt hier war, hat das Loch immer stopfen wollen und nun hat sie’s doch nicht getan. Ja, ja, man kann sich schon gar nicht darauf verlassen, was einem die Leute versprechen!“
Wieder hatte Frau Fuchs mit einem Anfall von Fassungslosigkeit zu ringen.
„Und hier dieser Fauteuil,“ sagte sie dann, „der Sitz ist doch eigentlich ganz zerlumpt —“
Den Kopf seitwärts geneigt, betrachtete Fräulein Purzel tiefsinnig lange das fragliche Objekt.
„Das kommt vom vielen Draufsitzen,“ löste sie dann das Problem mit grosser Bestimmtheit. „Aber,“ fuhr sie freudestrahlend fort, „man sieht es nicht, wenn man sich drauf setzt.“
„Nein — dann sieht man es allerdings nicht,“ murmelte der Major verblüfft über diese einfache Lösung.
„Wünschen Sie sonst noch etwas?“ fragte Fräulein Purzel liebenswürdig.
„Ja,“ rief Frau Fuchs, sich von ihrer Verblüffung erholend, „sehen Sie dies Deckchen hier auf dem Nachttisch — es ist entsetzlich schmutzig!“
„Nur auf der oberen Seite,“ war die liebreiche Erwiderung nach erfolgter Inspektion. „Man dreht es um — so, da ist es noch ganz rein. Man darf solche Stickereien nicht zu oft waschen, sonst verliert die Farbe. Ich habe der Angiolina gleich gesagt, sie sollte die Decke umdrehen, aber sie ist so vergesslich, die brutta ragazza — Sie ahnen nicht, wie vergesslich sie ist! So, nun ist alles in Ordnung!“
„Nein,“ rief Frau Fuchs sich verzweifelt gegen diese harmlose Auffassung wehrend, „nichts ist in Ordnung! Hier z. B. in diesem Bett, da hat das Oberlaken einen grossen Riss!“
„O la la!“ machte Fräulein Purzel kopfschüttelnd. „Den hat gewiss die Angiolina gerissen! Nun, zum Glück trifft er ja auf den Überschlag und bei Tage liegt die Bettdecke darüber, da sieht man ihn nicht!“
„Und die Waschkrüge sind beide zerschlagen und wir haben keinen Kleiderschrank im Zimmer!“ rief Frau Fuchs, ihre letzte Kraft zusammennehmend.
„Ja, man hat hier keinen Platz für einen Schrank — an den Türen kann Papa noch ein paar Haken einschrauben, dann wird es wohl gehen,“ erwiderte die Tochter des Cherubs entgegenkommend. „Und die Krüge sind nicht zerschlagen, nur etwas angeschlagen — die gehen noch lange so. Angeschlagenes Porzellan hält immer am längsten. Sehen Sie, das macht die Angiolina, wenn sie das Wasser holt! Das geht nur so: eins — zwei — drei und dabei klirrrr — gegen die Wasserleitung. Ja, ja, diese Mädchen!“
Frau Fuchs kannte die deutsche Jeremiade gegen die Dienstboten auswendig und unterbrach daher die italienische kurzweg. „Die elektrische Leitung ist auch unterbrochen — man kann nicht läuten,“ sagte sie pflichtgemäss den nächsten Defekt aufdeckend.
„Ja, die Klingeln gehen im ganzen Hause nicht,“ gab Fräulein Purzel bereitwilligst zu. „Papa will sie nächstes Frühjahr alle herstellen lassen, denn für den Winter, wo fast keine Gäste da sind, lohnt es sich nicht. Wenn Sie etwas brauchen, dürfen Sie nur ‚Angiolina‘ zur Tür hinausrufen!“
„Sehr einfache Lösung der Klingelfrage,“ murmelte der Major, und das stachelte seine Frau zum letzten Versuch an.
„Man kann die Tür nicht zuschliessen,“ sagte sie matt. „Es ist überhaupt gar kein Schlüssel da!“
„Nein, der ist schon lange verloren,“ gab Fräulein Purzel mit einer eloquenten „futschikato — perduto“ Handbewegung zu. „Aber Sie können ganz unbesorgt sein — Sie sind auch unverschlossen im Hause so sicher, wie auf der Bank im eisernen Geldschrank, wie Papa zu sagen pflegt. Wir selbst schlafen immer bei offenen Türen! Also, das wäre alles? nicht wahr? Es freut mich, dass Sie zufrieden sind mit Ihrem Zimmer. Die Gäste sind alle immer so zufrieden bei uns — freilich, die Zimmer sind so schön und bequem, Mama kocht so gut und Papa ist so liebenswürdig! Wünschen Sie etwa eine Lampe? Gut, Angiolina wird gleich eine bringen. Guten Abend.“
Und damit ging sie in heitrer Ruhe und die guten Fuchsens sahen sich wortlos eine ganze Weile an.
„Du, Thussi,“ sagte der Major nach einer Weile, „das Mädel hat nicht etwa unverschämt sein wollen — i, keine Spur! Das war innige, feste Überzeugung und glänzende Ignoranz dessen, was wir Hyper-Kulturmenschen unter ‚Komfort‘ verstehen. Ganz harmlose Seelen sind das hier im Hause, harmlos und dreckig. Das ist ein nationaler Naturzustand, wobei sie keine Ahnung haben, dass er andern als solcher auffällt und gegen den Strich geht. Hast du diesen Zettel neben dem stummen Knopf der elektrischen Klingel bemerkt? Es ist der gleiche wie unten im Entree und ersucht die Gäste in vier Sprachen, Zimmer und Sachen nicht zu beschmutzen. Das ist eine ganz gerechtfertigte Ermahnung, denn wenn die Gäste gerade so wären, wie die Wirte, dann müsste das Haus statt ‚Bellavista‘ längst schon ‚Pension Porcile‘ heissen. So aber sind die Gäste infolge dieser viersprachlichen Ermahnung hübsch brav, na, und desto besser kann die Familie sich nach dieser Richtung ausleben.“
Frau Fuchs musste unwillkürlich lachen.
„Du hast recht, Alter,“ sagte sie, „wir müssen die Sache von der humoristischen Seite nehmen, sonst wär’s nicht zum Aushalten. Schliesslich gibt’s ja auch noch das schöne Wort ‚Ausreissen‘ in der deutschen Sprache. Aber es ist kalt hier und der Ofen — traust du dem Ofen grosse Dinge zu, August?“
„Thussi,“ erwiderte der Major mit erhobenem Zeigefinger, „greife mir diesen Ofen nicht an, diesen lieben, ‚eisernen, Hund‘ meiner Junggesellentage! So lange er brennt, bringt er dich auf der ihm zugekehrten Seite zum Braten, während dir auf der andern Seite die Kiefern vor Kälte klappern. Und mit seinem Erlöschen klapperst du dann auf beiden Seiten. Das Rohr führt auch direkt in die freie Natur, die dadurch ihren Löwenanteil von der Heizung bezieht. Der Mensch muss nicht alles allein für sich haben wollen, Thussi, und nirgends wird der Zweck der Heizung so sehr verkannt, als im Süden.“
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