Der Major Fuchs und seine Frau also taten nichts dergleichen, sondern sie unterhielten sich im Speisezimmer der Pension Bellavista ganz gut mit ihren neuen Bekannten. Ein prüfender Blick auf die Tafel hatte Frau Thussi belehrt, dass überflüssiger Luxus hier vermieden wurde, besonders bezüglich reiner Tischwäsche, die in der Pension Malepartus ihren Stolz ausgemacht. Heut’ war Donnerstag und das Tischtuch hier lag sicher schon seit dem Sonntag auf — nein, rein war’s nicht mehr, dafür aber wies es stellenweise ganz hübsche Löcher auf, die zu stopfen es Frau Thussi ordentlich in den Fingern kribbelte. Aber freilich — die Töchter des Hauses mussten ja Jutevorhänge besticken, da konnten sie sich natürlich nicht mit so nebensächlichen Dingen wie Wäscheflicken einlassen.
„Auf was warten wir denn eigentlich?“ fragte der Major naiv, als ihm das „Herumgestehe“ anfing zu lange zu dauern. „Es hat doch längst schon geläutet.“
„Na, der alte Bummler, der Purzel, ist eben noch nicht da,“ belehrte ihn der ungarische Rittmeister. „Das ist auch solche verflixte Mode, dass wir auf den immer warten müssen! Aber sehen Sie, vom andern Ende der Stadt, wo er Stunden gibt, bis hierher gibt’s gerade sechzehn Kneipen, und da er von Haus aus Trompeter ist — na, Sie wissen ja, dass die Blasinstrumente Durst machen.“
„Aha, auf die Art!“ lächelte der Major verständnisvoll. „Was ist er für ein Landsmann? Klingt nicht grade italienisch, der Name Purzel!“
„Ein Bayer ist er, der nach beendeter Dienstzeit bei dem Trompeterchor seines Regimentes eine Italienerin heiratete und mit ihr nach hier auswanderte. Sie war eine intelligente Person und hat die Pension ins Leben gerufen. Nach ihrem Tode hat der Purzel dann das alte Geschöpf geheiratet — aha, da ist er ja endlich — hoffentlich nicht zu sehr illuminiert!“
„Du, Thussi — der Cherub!“ tuschelte der Major seiner Frau ins Ohr. Um Herrn Purzel mit einem Cherub zu verwechseln, dazu gehörten entschieden die Augen der Liebe, die bei Fuchsens, vorläufig wenigstens, nicht vorhanden sein konnten. Infolge dieses Mangels sahen sie also nur einen grossen, schlanken Menschen mit schlechter Haltung und lang wallenden goldblonden Locken und einem ebensolchen Christusbarte, über dem eine dicke Kartoffelnase in rötlichem Glanze leuchtete. Die wässerigen kleinen Schweinsaugen des Cherubs aber hatten einen gutmütigen Ausdruck und ein freundliches Lächeln zeigte die charakteristischen Trompeterfalten in seinen Wangen.
„Bitt’ tausendmal um Pardon, dass i mi a bisserl verspätet habe,“ sagte er atemlos. „Hab’ die Ehr’, Herr Major, freut mi, dass Sie mein Haus beehren. Zu Tisch, wenn’s den Herrschaften recht ist! Schön’s Wetter — Barometer steigt — hab’ mir grad den kleinen Umweg gemacht, um nachzuschauen und den Herrschaften die gute Nachricht zu bringen.“
„Aha!“ tuschelte der ungarische Kapitän, „auf dem Platz, wo das grosse Barometer steht, ist die „Osteria alle megliore fontane,“ wo’s den besten Roten gibt. Dort kann Freund Purzel schlecht vorbei! Daher also die Verspätung!“
Man nahm nun Platz um den übrigens mit den herrlichsten Früchten besetzten Tisch, und Frau Fuchs bemerkte mit Staunen, dass die schon länger im Hause weilenden Gäste sogleich eine fieberhafte Tätigkeit entwickelten, indem sie mit ihren Servietten, denen man das auch ansah, Teller, Bestecke und Gläser zu putzen begannen, ohne sich nur im geringsten damit vor dem Wirte zu genieren, der den Vorsitz bei der Tafel führte. Die spanische Gräfin zeigte dabei sogar in lebhaften Gebärden das erreichte Resultat ihrer Arbeit ihrem Gatten und der vis-a-vis sitzenden Frau Welten, die sich mit dem Hinweis auf das ihrige revanchierte. Heiter lächelnd sah Herr Purzel zu und kramte dabei die neuesten Neuigkeiten aus den Abendblättern aus.
„Du, August — wenn sie das bei uns gemacht hätten, ich wäre gestorben,“ flüsterte Frau Fuchs ihrem Gatten ganz entgeistert zu. „Das ist ja nicht mal der Frau Niedermüller eingefallen!“
„Geschweige der Frau Stolle!“ murmelte der Major, indem er sich in dem vagen Gefühl, dass es doch nötig sein müsste, der Bewegung seiner Tischgenossen anschloss, nur sehr schüchtern und verstohlen sekundiert von seiner besseren Hälfte, deren ganzes Innere sich gegen ein solches Verfahren vor der Öffentlichkeit sträubte. Aber auf Reisen schlägt man manches in den Wind, was einem daheim unmöglich wäre, und zu Frau Thussis Entsetzen fing ihr August nach leichtfertiger Männerart auch schon damit an.
Das Erscheinen der Suppe unterbrach die Beschäftigung ante festum und erfüllte die Atmosphäre mit starkem Knoblauchduft. Infolge dieser Ankündigung verzichtete die Mehrzahl der Gäste auf die Einleitung zum Diner, während nur die Südländer, die jene Würze meist sehr lieben, und der Ungar einiges Weniges davon nahmen und den grösseren Rest stehen liessen.
„Wie? Sie mögen Knoblauchsuppe nit?“ fragte Herr Purzel überrascht. „Ja, da hob’ns aber unrecht! Da wissen’s nit, was gut is. Jetzt, für a Knoblauchsuppen, da lass i mein Leben. Grad extra hab’ i mir’s für heut’ bestellt. Ah, das schmeckt!“
Und die Gäste der Pension Bellavista genossen den Vorzug und das Glück, ihren Wirt, den Cherub Purzel, nicht nur den einen Teller Suppe, sondern auch einen zweiten und dritten mit sichtlichem Behagen ausschlürfen zu sehen und so auf das, was da kommen sollte, zu warten unter Ausübung der himmlischen Tugend der Geduld.
„Donnerwetter — das hätte mir einfallen sollen!“ dachte sich der Major seinerseits.
Na, Herr Purzel erklärte sich schmatzend vor Behagen endlich für befriedigt und nun durften die Gäste auch darankommen. Die weiteren Gerichte waren bei primitivster Servierung indes vortrefflich gekocht — die Dame, welche die Kochlehrerin gespielt, musste es also gut verstanden haben, und Frau Purzel konnte ein entschiedenes Talent für die Kunst Brillat-Savarins nicht abgesprochen werden — dagegen war nichts einzuwenden.
Dagegen war es weniger angenehm, dass der Salon, in den man sich nach beendetem Diner begab, stark nach den gehabten Genüssen duftete, weil die Kammerjungfer der Gräfin dort gespeist hatte, und darum war es auch entschieden deplaciert, wenn nicht direkt falschen Tatsachen huldigend, als Frau Welten sich an das Piano setzte und mit schöner Altstimme davon sang, „dass der Flieder betäubend in der schwülen Sommernacht duftete.“ So etwas lässt sich, wenn man die Nase voll Knoblauch hat, schwer suggerieren, aber was nimmt der Kulturmensch in seiner Höflichkeit nicht alles hin, ohne zu zucken!
Trotz dieser Vergewaltigung seines besseren Wissens durch die Macht des Gesanges stieg der Major, als alle sich zurückzogen, nur ungern in seine kalte ungemütliche Bude von Schlafzimmer mit seiner Thussi hinauf. Auf der Treppe begegnete ihnen Frau Purzel und teilte ihnen mit, dass die Damen morgen früh abreisen würden, Fuchsens das Zimmer also alsbald haben könnten. Dann erkundigte sie sich, wann die Herrschaften zu frühstücken wünschten und als der Major, weil er „ausschlafen“ wollte, als besonders späte Stunde acht Uhr nannte, da meinte Frau Purzel lächelnd: „Sie scherzen, mein Herr!“ Fuchsens legten auf diese eigentümliche Antwort kein Gewicht, sagten „gute Nacht“ und machten, dass sie in die kalten, sich zäh anfühlenden Betten kamen, ohne diese einer besonderen Inspektion zu unterziehen.
Der Schlaf kommt aber in fremden Zimmern und Betten, in denen man vergebens nach der richtigen, vertrauten Kuhle sucht, nicht so rasch wie daheim — dann betete nebenan die Gräfin mit ihrer Cameriera lange, lange Litaneien mit monotonem Gemurmel, oft unterbrochen durch lebhafteste weltliche Einfälle — endlich auch plätscherte der See mit ungewohntem Geräusch gegen die Mauern der Gartenterrasse und im Hause war ein ewiges Gerenne, Geklappre und Geplappre — kurz, die Glockenspiele der zahlreichen Kirchen von Stadt und Umgebung hatten längst die Mitternacht eingeläutet, als die guten Fuchsens endlich einschliefen. Die Konsequenz dieser ungewohnt späten Zeit war natürlich ein gründliches Verschlafen, denn als der Major mit dickem Kopf erwachend auf die Uhr sah, zeigte diese auf halb neun. Zwar, im Hause war alles noch totenstill und so ruhig, dass der Major seinen Säger ans Ohr hielt, um sich zu vergewissern, dass er auch ging. Doch das Ticktack war tadellos in Ordnung, und nun beeilte sich das würdige Paar, in die Kleider zu kommen, was die Kellertemperatur des Zimmers entschieden förderte. Ob die Gräfin nebenan schon gebetet hatte? Thussi, die eher wach gewesen, behauptete „nein,“ und als die beiden bald zum Speisesaal herabstiegen, machten sie die Entdeckung, dass das ganze Haus noch im Schlummer liegen musste. Sollte des Majors Uhr, die nun auf neun zeigte, dennoch —
Читать дальше