Balduin Möllhausen - Das Mormonenmädchen Zweiter Band
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Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen Zweiter Band
Zweiter Band
1
Im Atelier
In vielen, ja in den meisten Fällen bietet das Atelier eines Malers das Bild einer gewissen genialen Unordnung, die indessen nicht unangenehm berührt, weil gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf angefangene und fertige Gemälde hingelenkt wird, hier, um mit reger Phantasie die noch nicht ausgeführten Gedanken des Künstlers zu errathen, dort, um laut zu bewundern oder auch im Stillen zu tadeln.
Wo nun in größeren amerikanischen Städten Künstler ihre Werkstätten aufgeschlagen haben, da tritt diese Unordnung noch mehr in den Vordergrund, weil eben der Mangel an geeigneten Räumlichkeiten sie zwingt, jedes kleinste Fleckchen, mit sehr wenig Rücksicht auf Symmetrie, zu benutzen und die Gegenstände, die nicht neben einander Plan haben, über einander aufzustapeln.
So war es auch in Falk’s Häuslichkeit, die, obgleich er sich ganz nach dem äußersten Ende der Stadt zurückgezogen hatte, wo die Wohnungen noch verhältnißmäßig billig vermiethet wurden, ihm kaum gestattete, eine größere Gesellschaft bei sich aufzunehmen.
Seine Häuslichkeit bestand nämlich nur aus zwei Gemächern: einer Kammer, in welcher sein einfaches Bett stand, und einer großen Stube, die ihren Zweck zugleich als Wohnzimmer und Atelier erfüllte.
Letztere wurde durch zwei große Fenster erhellt; doch concentrirte sich das Licht gewissermaßen nur auf einen Punkt, während der übrige Theil des Gemaches in einer milden Dämmerung lag, weil das eine Fenster ganz, das andere dagegen nur zur Hälfte mit grünen kattunen Gardinen dicht verhangen worden war.
Ein altes Sopha, ein Wiegenstuhl, vier gewöhnliche hölzerne Stühle, ein kleiner und ein großer Tisch bildeten die ganze Stubeneinrichtung. Dieselbe verschwand indessen fast gegenüber den Staffeleien von verschiedener Größe, den Kisten und Kasten, den Bilderrahmen, den skeletähnlichen hölzernen Modellen von Menschen und Thieren, den wattirten Büsten und sonstigen Gegenständen, welche, auf dem Fußboden umherstehend und liegend, kaum noch einen Durchgang durch das Gemach frei ließen.
Welche Farbe den Wänden einst aufgetragen worden war, oder ob sie überhaupt einen Anstrich erhalten hatten, konnte man nicht entscheiden, man hätte sich denn die Mühe nicht dürfen verdrießen lassen, einen Theil der größeren, auf dickes Papier entworfenen Skizzen von den Mauern zu entfernen, um unter denselben nach der Lösung dieses Räthsels zu forschen. Denn was nicht mit dergleichen Skizzen beklebt und benagelt worden war, das hing voller Gypsabdrücke von Händen, Füßen und Gesichtern, oder war auch so bestaubt, daß es sogar dem bedeutendsten Farbenkünstler schwer geworden wäre, daselbst sich wiederholende Schattirungen und Zeichnungen von Tapeten oder Schablonenmalereien zu entdecken.
Auf Kisten und Kasten nun endlich, auf Tischen und Stühlen und selbst auf dem Sopha lagen und standen alle diejenigen Kleinigkeiten umher, die eigentlich den höheren Maler verrathen. Hier sah man einen Berg ausgedrückter Farbenblasen, dort eine ähnliche Anhäufung halb geleerter oder noch strotzend voller; auf einer andern Stelle wieder ruhten nachbarlich neben einander ein Bündel theils frisch gebrauchter, theils sorgfältig gereinigter Pinsel und eine blecherne Kaffeemaschine. Ein Stuhl war ganz bedeckt mit zahllosen bunten Zeichenstiften; auf einem andern brüstete sich in ihrem mosaikartigen Farbenschmuck die Palette, während der dürre Malstock mit seinen kleinen ausdruckslosen Köpfchen sich gemächlich an den kleinern Tisch lehnte, auf welchem eine ganze Auswahl von Skizzenbüchern, Zeichenmappen und losen Papierblättern von allen Formen und Größen über einander geschichtet war.
So sah es also in Falk’s Atelier aus. Alles, was zu seinem Geschäft, oder vielmehr seiner Kunst gehörte, hatte in dem beschränkten Raume seinen Platz gefunden. Sogar ein paar Hüte und ein Rock erfreuten sich in diesem Chaos von Dingen verhältnißmäßig gesicherter und geschützter Stellen, indem ein Hut das kahle, ohrenlose Haupt des hölzernen Menschenskelets schmückte, der andere auf dem nach oben gedrehten Hinterfuße des Modellpferdes hing, der Rock aber mit einem kühnen Faltenwurf um die Schultern desselben wurmstichigen Menschen geschlungen worden war.
Der arme gefühllose Bursche sah recht komisch aus mit dem schiefgerückten Strohhut und dem dominoartig niederhängenden Ueberrock; und um den komischen Ausdruck noch zu erhöhen, hielt er, wahrscheinlich noch von seiner letzten Sitzung her, die beiden langfingerigen Hände wie segnend von sich gestreckt, während seine Beine, Dank irgend einem zufälligen Stoß, wie die Arme eines altmodischen Telegraphen, das eine vorwärts, das andere rückwärts wiesen.
Doch, wie schon oben angedeutet, wer in das Atelier eintrat, übersah gewiß alle diese seltsamen Zusammenstellungen und die unvergleichliche Unordnung und beeilte sich, in den Schein des durch das halbverhangene Fenster fallenden Lichtes zu gelangen, um von dort aus das große, mit einem prächtigen Goldrahmen umgebene Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches, obwohl schon beendigt und gefirnißt, von dem Eigenthümer offenbar mit großem Vorbedacht wieder auf die Staffelei gestellt und in die günstigste Beleuchtung gerückt worden war.
Andere, ebenfalls schon fertige Bilder standen etwas abseits, gleichsam als Beweis, daß die Hauptaufmerksamkeit gerade auf das zuerst erwähnte hingelenkt werden solle.
Dasselbe war ein Seestück und stellte eine schroffe, felsige Küste dar, an welcher sich das vom Sturm aufgewühlte Meer schäumend und brandend brach. Zahllose Möven umschwärmten die vom Sprühwasser überschütteten thurmähnlichen Klippen, eben so den Rest eines Mastbaums, der aus dem Gischt einer sich überstürzenden Woge emporragte, während im Hintergrunde sich neue wetterleuchtende Wolken aufthürmten, und niederbrausende Strichregen am fernen Horizont ein einsames Segel fast bis zur Unkenntlichkeit verschleierten.
Das Bild zeigte eigentlich nur Atmosphäre, Felsen und Wasser, aber es zeigte Wahrheit, und darum war es verständlich und schön, und wenn man auf dasselbe hinschaute, dann befreundete man sich unwillkürlich mit dem Künstler, der so Schönes zu schaffen vermochte. —
An dem Nachmittage, an welchem Falk den Lieutenant Weatherton und Raft erwartete, herrschte eine ungewöhnliche Ordnung in dem Atelier, indem auf dem Sopha und aus einem Stuhl, durch Zusammenschieben und Uebereinanderpacken der Sachen, so viel Platz gewonnen war, daß drei Personen, ohne sich gegenseitig viel zu hindern, bequem sitzen konnten.
Weatherton war wirklich eingetroffen und hatte, wie Falk vorhergesehen, den alten Bootsmann mitgebracht.
In dem Augenblick, in welchem wir einen Blick in das Atelier werfen, mußte der Besuch sich schon längere Zeit bei dem Künstler befunden haben; denn aus der nachdenkenden Stellung, in welcher die beiden jungen Leute, die sich schnell mit einander befreundet hatten, auf dem Sopha saßen, ging hervor, das Falk mit seinem Bericht zu Ende gekommen war, das Erzählte ihren Geist aber noch ernst und rege beschäftigte.
Jim Raft, der erst auf des Künstlers ausdrücklichen Wunsch den einzigen leeren Stuhl für sich in Anspruch genommen hatte, saß vor ihnen an dem Tisch. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit war er Falk’s Mittheilungen gefolgt, hatte sich dabei aber doch nicht enthalten können, das Tau- und Segelwerk einer kleinen Modellfregatte, die nicht ohne Absicht vor ihn auf den Tisch gestellt worden war, etwas zu ordnen. Es entschlüpfte seinen Lippen wohl hin und wieder ein leises ungeduldiges »Goddam,« wenn die schwachen Fäden an den zierlich geschnitten Masten sich als zu wenig haltbar für seine mächtigen Fäuste auswiesen, oder wenn Falk einzelne Punkte in seiner Erzählung besonders hervorhob; weiter ging indessen seine Betheiligung an der Unterhaltung nicht, und mochten auch, wer weiß was für Pläne und Gedanken in seinem Kopfe herumschwirren, seinem eisenharten Gesicht war nichts anzumuten, und nur das Blauwerden seiner furchtbaren Narbe deutete zuweilen auf eine vorübergehende innere Erregung. —
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