»Wir stammen aus Treve«, sagte Terence.
»Gib mir einen Tarnstab«, sagte ich.
Als ich das Instrument in der Hand hielt, warf ich meine Robe ab und legte einen Windschutz um. Es hatte zu schneien begonnen.
Die Tarns waren verhüllt aufs Meer gebracht worden. Da sie instinktiv das Meer mieden, wußte ich nicht, was passieren würde, wenn sie nun über dem Wasser aufsteigen mußten. Vielleicht weigerten sie sich, das Schiff zu verlassen. Vielleicht gebärdeten sie sich vor Wut oder Angst wie verrückt. Mancher Reiter war schon von seinem Vogel getötet worden, der nicht aufs Meer hatte fliegen wollen. Aber ich hoffte, daß sich die Tarns außer Sichtweite des Landes in ihr Schicksal ergeben würden.
Meine Ungewißheit konnte nicht mehr lange dauern.
Ich sprang in den Sattel des Tarn. Er schrie auf, als ich mir den breiten purpurnen Sicherheitsgurt um die Hüfte legte. Der Tarnstab hing an meinem rechten Handgelenk. Ich legte mir den Windschutz über das Gesicht.
»Wenn ich den Vogel lenken kann«, sagte ich, »folgt ihr mir und achtet auf meine Anweisungen.«
»Laß mich als erster fliegen«, sagte Terence aus Treve.
Ich lächelte. Wie konnte ein ehemaliger Tarnkämpfer aus Ko-ro-ba einem Erzfeind, einem Mann aus Treve, die Führung überlassen? Da ich ihm dies nicht sagen konnte, lautete meine Antwort einfach: »Nein.«
Um den Sattelknauf war ein Paar Sklavenfesseln und ein Stück Schnur gewickelt. Beides stopfte ich mir in den Gürtel. Dann zog ich am ersten Zügel.
Der Tarn sprang mit mächtigem Flügelschlag aus dem Laderaum. Er verhielt auf dem Deck des Rundschiffs, hob und senkte unschlüssig die Flügel, sah sich um und warf dann mit mächtigem Kampfgeschrei den Kopf zurück. Die anderen Tarns unter ihm wurden unruhig und rasselten mit ihren Ketten.
Der peitschende Schneeregen brannte mir auf dem Gesicht.
Wieder zog ich den ersten Zügel, und schon saßen wir auf der langen, schrägen Vormastrah. Der Tarn hatte den Kopf erhoben, und jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Er sah sich verwirrt um. Ich drängte das Tier nicht.
Ich tätschelte ihn am Hals und redete beruhigend auf ihn ein, dann zog ich am ersten Zügel. Der Vogel bewegte sich nicht. Seine Klauen umfingen die Rah. Ich gebrauchte den Tarnstab nicht, sondern wartete einige Zeit, streichelte den Vogel und redete ihm gut zu.
Und plötzlich stieß ich einen Schrei aus, zog hart am ersten Zügel. Der Tarn folgte seinen Reflexen und seinem Instinkt und schwang sich in die Lüfte, stieg in die tobenden Elemente. Ich saß wieder auf dem Rücken eines Tarn! Der Vogel gewann an Höhe, bis ich den ersten Zügel losließ; dann kreiste der Tarn. Seine Bewegungen waren so sicher, als befinde er sich über den vertrauten Abgründen der Voltai-Berge.
Ich testete seine Reaktionen auf die Zügel. Der Vogel war bestens ausgebildet und befolgte meine Befehle ohne Zögern. Und plötzlich wurde mir klar, daß der Tarn vor Erregung und Freude zitterte, daß er das neue und fremde Element genoß, in dem er sich befand.
Schon sah ich, wie unter mir andere Tarns fertiggemacht wurden. Reiter stiegen in die Sättel. Ich sah, wie Tarns auf die Decks der Rundschiffe hüpften, wie die geknoteten Seile an den Sätteln festgemacht wurden und wie kampferfahrene Seeleute ihre Plätze einnahmen, fünf Mann je Seil. Jeder Tarnreiter trug am Sattel außerdem eine brennende Schiffslaterne und Ledertaschen mit Tonflaschen, die mit Lappen verkorkt waren. Die Behälter enthielten Tharlarionöl, und die Lappen, die den Verschluß bildeten, waren mit dem leicht brennbaren Öl getränkt.
Kurz darauf waren hinter mir etwa hundert Tarns in der Luft, und unter jedem Vogel hingen an einem kräftigen Seil fünf ausgewählte Kämpfer.
Ich sah, daß die Flotten meiner fünften Angriffswelle unter Chungs und Nigels Kommando ihren Zangenangriff angesetzt hatten und in heftige Kämpfe verwickelt waren.
Nun folgte ich mit den Tarnkämpfern nach – zu einem Zeitpunkt, da der Gegner die Stärke dieses Flankenangriffs noch gar nicht erfaßt haben konnte.
In dem Durcheinander der kämpfenden Tarnschiffe unter uns, mit denen die Rundschiffe aufzuschließen versuchten, erblickte ich das Flaggschiff von Cos und Tyros, das durch einen Ring von vierzig Tarnschiffen geschützt wurde. Es war ein großes Schiff, im Gelb von Tyros gehalten, mit über zweihundert Rudern – Chenbars Schiff.
Außer seinen Ruderern, die ausnahmslos Freie waren, enthielt es etwa hundert Bogenschützen und weitere hundert Seeleute, Artilleristen, Hilfspersonal und Offiziere.
Ich zog den vierten Zügel. Mein Tarn senkte sich herab und landete am Heck des Schiffs. Ich sprang sofort aus dem Sattel und zog mein Schwert. Verwirrt erwiderte Chenbar, Ubar von Tyros, meine Geste und zog ebenfalls seine Klinge.
Ich entfernte den Windschutz von meinem Gesicht.
»Du!« rief er.
»Ja«, sagte ich. »Bosk aus Port Kar.«
Unsere Klingen trafen aufeinander.
Hinter uns hörte ich lautes Geschrei, die Geräusche von Männern, die sich von ihren Tarnseilen an Deck fallen ließen, Waffengeklirr. Auch zischten Armbrustpfeile durch das Schneetreiben.
Eine Gruppe Vögel verharrte über dem Deck, und die Männer ließen sich von den Seilen fallen. Die Tarns wirbelten davon, und die nächste Gruppe flog an. Nachdem sämtliche Krieger abgesprungen waren, schwenkten die Vögel mit ihren Reitern am schwarzen drohenden Himmel ab. Nun wurden die öldurchtränkten Lunten entzündet und aus dem Himmel auf die Decks der Schiffe aus Cos und Tyros geschleudert. Ich rechnete nicht damit, daß unsere Brandbomben allzu großen Schaden anrichteten, verließ mich aber auf das Zusammentreffen dreier Faktoren: auf die psychologische Wirkung eines solchen Angriffs, auf die Angst vor den Flankenflotten, deren Größe man noch nicht hatte abschätzen können, und auf die plötzliche Ausschaltung des Flaggschiffs mit dem Anführer Chenbar.
Ich glitt auf dem eisüberzogenen Deck aus und wehrte Chenbars Klinge dicht vor meinem Hals ab. Dann sprang ich wieder auf und setzte den Kampf fort. Wir gingen in den Clinch, hielten unsere Schwertarme mit den freien Händen gepackt.
Ich warf Chenbar gegen die Reling; er prallte mit Rücken und Kopf gegen das Heckspriet. Ich hörte einen Krieger hinter mir, der jedoch von einem meiner Leute abgefangen wurde. Waffengeklirr ertönte von allen Seiten. Ich fürchtete schon, Chenbar das Rückgrat gebrochen zu haben, ließ die Schwerthand des Admirals aus Tyros los und versetzte ihm einen Faustschlag in den Magen. Als er nach vorn zuckte, riß ich meine Rechte los und hieb ihm mit der Faust ins Gesicht. Dann wirbelte ich herum. Meine Männer hinderten die Soldaten des Gegners daran, auf das Ruderdeck des Schiffs zu klettern. Chenbar war betäubt in die Knie gegangen. Ich zog eine Sklavenfessel aus dem Gürtel und legte sie Chenbar an. Dann zerrte ich den Mann zu den Klauen meines Tarn. Mit dem Seil von meinem Gürtel machte ich die Sklavenfessel am rechten Fuß des Vogels fest.
Chenbar versuchte schwerfällig sich aufzurichten, doch ich setzte ihm einen Fuß in den Nacken und drückte ihn wieder zu Boden.
Dann sah ich mich um.
Meine Männer drängten die Schiffsbesatzung über die Reling ins kalte Wasser. Die gegnerischen Soldaten waren völlig überrumpelt worden und wehrten sich kaum noch. Außerdem waren meine Männer um etwa hundert Schwerter überlegen.
Die feindlichen Soldaten schwammen zu ihren anderen Tarnschiffen hinüber, die nun aufschlossen, um uns zu entern.
Armbrustpfeile begannen über das Deck des Flaggschiffs zu sirren.
»Haltet die Gefangenen über die Brustwehren!« rief ich.
Da dröhnte eine Stimme über das Wasser: »Nicht schießen!«
Nun kehrte der erste Tarn zum Flaggschiff zurück; er hatte seine Feuerbomben abgeworfen. Fünf Männer ergriffen das Seil und wurden in Sekundenschnelle vom Schiff gehoben.
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