Ich schüttelte den Kopf. »Du bist noch zu jung«, sagte ich.
»Nein, ich bin ein Mann.«
»Bedeutet dir Vina soviel?«
Er starrte mich an und wußte nicht, was er sagen sollte.
»Ich würde dich auch so begleiten – du bist mein Kapitän.«
»Du bleibst hier«, sagte ich entschieden.
Er zog das Schwert, das ich ihm gegeben hatte.
»Prüfe mich!« verlangte er.
»Steck das Schwert wieder zurück«, sagte ich. »Es ist eine Waffe für Männer.«
»Verteidige dich!« rief er.
Meine Klinge sprang aus der Scheide, und ich parierte seinen Schlag. Er war viel schneller zum Angriff übergegangen, als ich erwartet hatte.
Männer liefen zusammen. »Es ist nur Spaß«, sagte einer.
Ich ließ meine Klinge vorschnellen, doch der Junge parierte meinen Schlag. Ich war beeindruckt, denn ich hatte ihn nicht treffen wollen.
Auf dem schwankenden Deck begannen wir uns zu umkreisen, und unsere Schwerter klirrten gegeneinander. Nach etwa einer Ehn steckte ich meine Waffe in die Scheide zurück. »Ich hätte dich jetzt viermal töten können«, sagte ich.
Fisch senkte sein Schwert und starrte mich gequält an.
»Aber«, sagte ich, »du hast schon viel gelernt. Ich habe gegen Krieger gekämpft, die weitaus weniger schnell waren als du.«
Da lächelte er, und einige Männer schlugen sich beifällig mit der rechten Hand gegen die linke Schulter.
Fisch war überall beliebt. Wie hätte er auch sonst das erste Ruder in dem Boot übernehmen können, das mich in den Ratssaal brachte? Wie wäre er in das Boot gelangt, das mich zum Rundschiff trug? Auch ich mochte den Jungen. Im Gegensatz zu den anderen sah ich in ihm einen Ubar.
»Du darfst nicht mitkommen«, sagte ich. »Du bist zum Sterben noch zu jung.«
»In welchem Alter ist ein Mann für den Tod alt genug?« fragte er.
»Wenn du jetzt mitgehst«, sagte ich, »bist du ein Narr.«
»Jeder Mann hat das Recht, sich auch einmal wie ein Narr zu benehmen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich zögernd.
»Dann sollten wir jetzt losfliegen. Der Vogel ist ausgeruht.«
»Bringt einen Umhang für den jungen Narren«, wandte ich mich an einen Seemann. »Und auch einen Waffengurt.«
»Ja, Kapitän!« rief der Mann.
»Glaubst du, daß du dich stundenlang an einem Seil festhalten kannst?«
»Natürlich, Kapitän«, erwiderte er.
Sekunden später breitete der Tarn seine Flügel in den Sturm und wurde vom Deck der Dorna gerissen. In schwindelerregenden Kreisen gewann er an Höhe. Der Junge hatte seine Füße gegen einen Knoten des schwankenden Seils gestemmt, und seine Hände krampften sich um das Hanf. Tief unten schaukelte Dorna in den mächtigen Wellen, weiter hinten lagen die Schiffe unserer Flotte, die mit blitzenden Rudern vor dem Sturm dahinjagten.
Die Schiffe aus Cos und Tyros waren nicht mehr zu sehen.
Terence aus Treve, der Söldnerführer, hatte sich geweigert, mit seinen Tarns vor der Flotte nach Port Kar zu fliegen. Vielleicht hatten die aufständischen Ubars andere Tarntruppen zu Hilfe geholt, mit denen sich Terence nicht auf einen Kampf einlassen wollte.
Der Vogel wurde vom Sturm herumgeworfen, aber er war stark. Wir konnten nicht direkten Kurs nach Port Kar einschlagen, sondern mußten uns seitlich vor der Sturmfront bewegen, in der Hoffnung, bald in ein ruhigeres Gebiet zu kommen. Fisch pendelte durchnäßt am Ende des Seils.
Schließlich wurden Regen und Wind schwächer, und plötzlich schimmerte das Thassa unter uns in kühlem Sonnenlicht. Wir hatten das Unwetter hinter uns gelassen. In der Ferne sahen wir eine Felsküste und dahinter Grasland und Savanne, die in große Wälder überging.
Ich ließ den erschöpften Tarn zwischen den Bäumen landen. Fisch sprang rechtzeitig ab. Der Vogel schüttelte seine Flügel aus, ehe ich ihm den Admiralsmantel überstreifte. Der Junge und ich zündeten ein Feuer an, an dem wir unsere Kleidung trocknen und uns wärmen konnten.
»Wir fliegen nach Anbruch der Dunkelheit in die Stadt«, sagte ich.
»Natürlich«, erwiderte er.
Fisch und ich standen nun im düsteren Saal meines Hauses, wo noch am Abend zuvor meine Siegesfeier stattgefunden hatte. Unsere Schritte hallten laut auf den Fliesen.
Wir hatten den Tarn draußen auf dem Hof gelassen, der an mein Hafenbecken grenzte. Keine Tarnkämpfer hatten uns aufgehalten, und die Stadt selbst lag im Dunkeln.
Wir hatten blank gezogen und sahen uns um. Niemand war uns in den Korridoren begegnet, auch in den vielen Räumen war keine Menschenseele.
Jetzt hörten wir einen gedämpften Laut aus der Ecke des dunklen Saals. Zwei Mädchen knieten dort am Boden. Sie waren geknebelt, und jemand hatte ihnen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Es waren Vina und Telima.
Fisch wäre am liebsten sofort losgestürzt, doch ich hielt ihn zurück. Wortlos bedeutete ich ihm, sich seitlich vom Saaleingang zu postieren, wo er nicht gesehen werden konnte.
Ärgerlich ging ich dann auf die beiden Mädchen zu. Ich ließ sie nicht frei. Sie hatten sich gefangennehmen und als Köder verwenden lassen. Vina war noch jung, aber Telima war erfahren genug und hätte es besser wissen müssen.
Ich fuhr ihr mit den Fingern durch das Haar. »Dummes Mädchen!« sagte ich leise.
Sie versuchte mir zu sagen, daß Männer in der Nähe waren, um mich anzugreifen. Verzweifelt wand sie sich in den Fesseln und sah mich angstvoll an.
Laut sagte ich: »Na, dann wollen wir euch mal befreien.«
Im nächsten Augenblick schrillte in einem Korridor ein Pfiff, gefolgt vom Trappeln zahlreicher Füße. Fackeln tauchten auf.
»Auf ihn!« rief Lysius, der seinen Helm mit dem Sleenhaar trug. Doch Lysius selbst ging nicht mit zum Angriff über. Mehrere Männer stürzten auf mich zu. Insgesamt waren etwa vierzig Gestalten aufgetaucht.
Mit schneller Bewegung trat ich ihnen entgegen, wobei ich ständig meine Position veränderte und die Männer hinter mir herlockte, dann wieder zurücktrieb. Nach Möglichkeit blieb ich dabei in der Nähe der Mädchen, so daß die Männer mit dem Rücken zum Saaleingang kämpfen mußten.
So sah nur ich den Schatten hinter ihnen, der im Halbdämmer und im flackernden Licht der Fackeln blitzschnell herumhuschte, eine Klinge in der Hand. Im nächsten Augenblick hatte die Gestalt einen Helm aufgesetzt und war nun von den anderen nicht mehr zu unterscheiden. Schon sanken einige Männer mit durchschnittener Kehle zu Boden.
Ich selbst besiegte neun Krieger, bis wir neues Geschrei hörten und weitere Fackeln auftauchen sahen.
Im nächsten Augenblick war der Saal von Licht erfüllt. Fisch schlug sich auf meine Seite, um Rücken an Rücken mit mir weiterzukämpfen.
»Du hättest doch bei der Flotte bleiben sollen, Sklave«, sagte ich.
Ich sah, wie der Junge mit blitzschnellem Stoß seine Klinge führte und schon wieder kampfbereit war, ehe sein Opfer zu Boden gesunken war.
»Du hast vorzüglich zu kämpfen gelernt, Sklave«, sagte ich.
Männer kamen durch den Korridor, doch nun auch von der Seite, selbst durch die Küchentüren drängte eine Gruppe Krieger herein.
Jetzt sind wir verloren, dachte ich. Verloren.
Wütend registrierte ich, daß die Gruppe, die aus der Küche kam, von Samos aus Port Kar angeführt wurde.
»Du steckst also doch mit den Feinden Port Kars unter einer Decke!« rief ich. Doch zu meiner Verblüffung wandte er sich gegen unsere Angreifer, begann auf unserer Seite zu kämpfen. Nun bemerkte ich auch, daß einige Männer seiner Gefolgschaft in meinen Diensten standen, während ich andere nicht kannte.
»Rückzug!« brüllte Lysius im Kampfgetümmel.
Seine Männer wichen kämpfend zurück. Wir trieben sie zum Saalausgang, wo wir die Doppeltüren zuwarfen und sie mit schweren Eisenstäben sicherten.
Samos schwitzte. Der Ärmel seiner Tunika war zerrissen. Blut lief ihm über das Gesicht, befleckte sein weißes Haar und den Goldring in seinem Ohr.
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