Die Dorna ruckte an ihren Ankern. Wir hatten sie kurz gelichtet und das Schiff in den Wind schwingen lassen, um dann erneut zu ankern, aber trotzdem bockte die Dorna in der unruhigen See. Ihre Planken ächzten, und ich hörte das Knirschen der Bolzen und Eisenhaken und das Klirren der Ketten, die hier und dort ihr Gerüst stützten.
Meine fünfte Angriffswelle, die Flotten, die von den Flanken her vorgehen sollten, standen im Norden unter dem Kommando von Nigel und im Süden von Chung. Die Schiffe, die den ehemaligen Ubars der Stadt unterstanden, waren ausnahmslos Tarnschiffe.
Doch die fünfte Angriffswelle war noch nicht zu sehen.
Dagegen sah ich aus dem Südwesten die Reserveflotte aus hundertundfünf Tarnschiffen näherkommen, gefolgt von den zehn breiten Rundschiffen, deren Fracht geheimgehalten worden war.
Ich fragte mich, ob ich den Ubars Nigel und Chung hätte vertrauen sollen.
Das Kommandoschiff der Reserve schloß in Signalnähe zur Dorna auf. Durch das Fernglas sah ich drüben auf dem Ruderdeck Antisthenes stehen, dessen Namen stets als erster auf der Kapitänsrolle des Rats gestanden hatte.
Die anderen Schiffe glitten hinter dem Kommandoschiff in eine vierfach gestaffelte Formation. Und zwischen ihnen, tief im Wasser liegend, die kleinen Sturmsegel eingeholt, warteten die zehn Rundschiffe, die Holzfrachter aus dem Arsenal. Trotz ihrer Breite lagen sie unruhig im aufgewühlten Wasser.
Wieder richtete ich das Glas nach Westen, wo sich Rauch über den Horizont wälzte.
Ich erkannte nun, daß die Tarnschiffe aus Cos und Tyros dem Kampf mit meinen Rundschiffen auswichen und sich in ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit auf meine Rammschiffe konzentrierten. Die langsamen Rundschiffe, weitgehend den Gewalten des Windes überlassen, wurden als Gegner kaltgestellt.
Ich lächelte. Chenbar war ein vorzüglicher Admiral. Er kämpfte einen Kampf, den er kannte. Er wollte seine Überlegenheit gegen meine Tarnschiffe einsetzen und sich die Rundschiffe für später aufheben, wenn sie von vier oder fünf Rammschiffen gleichzeitig attackiert werden konnten. Die Rundschiffe waren natürlich zu langsam, um meinen Tarnschiffen die schnelle, entschlossene Unterstützung zu gewähren, die sie sicher bald brauchen würden.
Ich ließ das Glas zuschnappen und behauchte meine Finger. Es war sehr kalt, und es war mir, als sei das Ergebnis der Schlacht bereits an der großen Tafel des nördlichen Horizonts angeschlagen, düster, bedrohlich, davor die brennenden und qualmenden Schiffswracks.
Der Wind peitschte mir ins Gesicht.
Dann hörte ich unter mir einen Schrei, gefolgt von lautem Jubel. Der Mann am Bug der Dorna, das Fernglas an den Augen, schwenkte seine Kappe durch die Luft. Die Ruderer unter mir brüllten und winkten ebenfalls.
Ich öffnete mein Fernglas. Von Norden und Süden näherten sich die Flotten meiner fünften Angriffswelle. Wie Messer schnitten sie durch das Wasser.
Ich brüllte mit meinen Leuten.
Chung hatte nordwärts gegen den Wind vorrücken müssen. Nigel, der sich mit den Meeresverhältnissen auskannte, hatte seine Schiffe, die vor dem Wind segeln konnten, zurückgehalten, damit die beiden Angriffspunkte der Zange gleichzeitig zuschlugen, wie von einer einzigen Hand gelenkt.
Ich ließ das Fernglas fallen, das mir an einer Schnur um den Hals hing, steckte das letzte Stück Tarskfleisch in den Mund und kletterte kauend die Strickleiter hinab. Unten angekommen sprang ich von der letzten Sprosse an Deck und winkte Antisthenes zu, der etwa hundert Meter entfernt auf dem Ruderdeck seines Schiffs stand, des Flaggschiffs meiner Reservestreitkräfte. Er ließ sofort eine Signalflagge setzen.
Ich stieg auf das Ruderdeck der Dorna.
Erstaunte Rufe wurden laut – auf der Dorna wie auf anderen Schiffen –, als die Decksplanken der zehn Rundschiffe angehoben und entfernt wurden.
Der Tarn ist ein Landvogel, der aus dem Gebirge stammt, wenn es auch buntgefiederte Dschungeltarns gibt. Die Tarns, die dicht gedrängt in den Laderäumen der Rundschiffe saßen, trugen Kopfhauben. Als sie nun plötzlich Wind und Kälte spürten, warfen sie die Köpfe hoch, schlugen mit den Flügeln und zerrten an ihren Fußfesseln.
Einem Tier wurde die Haube abgenommen, die Schnüre, die seinen Schnabel hielten, fielen. Der Tarn stieß seinen Kriegsschrei aus, einen Schrei, der sogar die heulenden Winde des Thassa übertönte.
Den Männern lief ein Schauder der Angst über den Rücken.
Es ist sehr schwierig, einen Tarn über das offene Meer zu lenken. Ich wußte nicht, ob sie sich über dem Wasser kontrollieren ließen. Im allgemeinen lassen sie sich nicht einmal unter Anwendung eines Tarnstabs vom Land fortbringen.
Ich nahm mein Fernglas von der Schulter und reichte es einem Seemann. Dann wandte ich mich an einen Offizier. »Laß ein Boot zu Wasser.«
»Bei dieser See?«
»Mach schon!« rief ich.
Das Boot wurde ins Wasser gesetzt. An einem der Ruder, als gehörte er dorthin, saß der Sklavenjunge Fisch. Mein Rudermeister übernahm die Steuerung.
Von Lee näherten wir uns dem ersten der großen Rundschiffe, dessen Deck ich erkletterte.
»Du bist Terence, Söldnerführer aus Treve?«
Der Mann nickte.
Treve ist eine Banditenstadt in den unzugänglichen Voltai-Bergen. Kaum jemand kennt ihre genaue Lage. Vor Jahren hatten die Tarnkämpfer Treves sogar der Tarnkavallerie Ars Widerstand geleistet. In Treve kennt man keine Landwirtschaft, sondern lebt im Herbst von den Überfällen auf die Ernte anderer. Man ernährt sich von Plünderung. Die Bürger Treves sollen zu den stolzesten und rücksichtslosesten auf Gor gehören. Sie lieben die Gefahr. Ihre Stadt ist angeblich nur auf dem Rücken eines Tarn erreichbar. Ich hatte einmal ein Mädchen gekannt, das aus dieser Stadt kam – Vika aus Treve.
»Du hast in den zehn Rundschiffen hundert Tarns mit ihren Reitern?«
»Ja«, sagte er, »und wie verlangt, ist an jedem Tarn ein Knotenseil befestigt, an dem sich fünf Seeleute aus Port Kar festhalten können.«
Ich blickte in den offenen Laderaum des Rundschiffes. Der gefährliche gebogene Schnabel des Tarn hob sich mir entgegen. Funkelnde Augen starrten mich an. Es schien ein guter Vogel zu sein; ich bedauerte trotzdem, daß ich meinen Ubar des Himmels nicht hier hatte.
»Und ich erhalte hundert Stein Gold für den Einsatz der Vögel und meiner Männer?« fragte Terence aus Treve nochmals.
»Richtig«, versicherte ich ihm.
»Ich möchte gleich bezahlt werden«, meinte der Söldnerführer aus Treve.
Ich zog blank und hielt ihm meine Klinge gegen die Kehle.
»Meine Sicherheit ist der Stahl«, sagte ich.
Terence lächelte. »Wir aus Treve verstehen solche Sicherheit.«
Ich senkte das Schwert. »Von allen Tarnkämpfern in Port Kar«, sagte ich, »und von allen Söldnerführern hast du allein das Risiko nicht gescheut – den Einsatz von Tarns über dem Meer.«
Es gab noch einen Mann, der diese Gefahr nicht gescheut hätte – doch er war mit seinen tausend Leuten seit Wochen nicht in der Stadt. Der Söldnerführer Ha-Keel, der an goldener Kette eine abgegriffene, diamantenbesetzte Tarnmünze um den Hals trägt, eine Münze aus Ar. Wie ich erfahren hatte, waren seine Streitkräfte im Augenblick in der Nähe von Tor beschäftigt, die Überfälle gewisser Wüstenstämme zu unterbinden, die mit Tarns großes Unheil anrichteten. Die Dienste Ha-Keels und seiner Männer standen dem Meistbietenden zur Verfügung; ich weiß, daß er einmal durch Zwischenmänner den Anderen gedient hatte, die mit den Priesterkönigen um die Vorherrschaft auf dieser Welt kämpfen. Ich kannte Ha-Keel aus dem Haus des Kaufmanns Saphrar in Thuria.
»Ich fordere die hundert Stein«, sagte Terence, »egal, wie das Unternehmen ausgeht.«
»Natürlich«, sagte ich. »Hundert Stein sind kein hoher Preis bei dem Risiko. Dabei ist der Heimstein Port Kars nicht der deine.«
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