Manchen Frauen liegen die Aufgaben der Mutterschaft mehr, anderen weniger. Manche Frauen haben ein super Händchen für Babys, andere fahren im Umgang mit Jugendlichen zu ihrer Hochform auf. Auch die innere Verbundenheit ist nicht zu jedem Kind gleich. Bei einem Kind besteht eine Seelenverwandtschaft, ein anderes wird man nie richtig verstehen können. Glücklicherweise bietet der Ehemann meistens eine Ergänzung bei der Betreuung der Kinder. Und weil die Kinder erstaunlich anpassungsfähig sind, holen sie sich bei dem jeweiligen Elternteil intuitiv das, was sie brauchen.
Mütter sind ein Leben lang Lernende, und deshalb ist es gut, wenn sie sich auch außerhalb der Familie Rat holen, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Entspannen Sie sich also und nehmen Sie Abschied von Ihren zu hohen Ansprüchen an sich selbst!
Supermütter in der Bibel?
Menschen, die nach den Werten des christlichen Glaubens leben möchten, setzen sich nicht selten unter einen erhöhten Druck, denn sie möchten nicht nur den Menschen, sondern auch Gott gefallen. Sie haben als Ideal verinnerlicht, dass in einem christlichen Umfeld alles harmonisch abläuft. Ein Blick in die Familiensagas des Alten Testaments zeigt allerdings eine ganz andere Realität. Haben Ihre Kinder schon mal eins ihrer Geschwister ermordet? Die Urmutter Eva musste genau das verkraften, als ihr Sohn Kain seinen Bruder Abel aus Eifersucht erschlug. Welch eine Tragödie!
Später begegnen wir Rebekka. Sie liebte ihren Sohn Jakob mehr als seinen Zwillingsbruder Esau, und sie schreckte nicht davor zurück, ihren Mann zu belügen und ihrem Lieblingssohn das Familienerbe zu erschleichen. Esau war darüber so wütend, dass er seinen Bruder ermorden wollte, und so musste Jakob lange Zeit im Exil leben. Erst viele Jahre später versöhnten sich die beiden Brüder. Wie konnte Rebekka so parteiisch sein?
Leider hat Jakob selbst aus seiner eigenen tragischen Geschichte nicht viel gelernt, denn er zog seine beiden jüngsten Söhne Josef und Benjamin den zehn älteren Söhnen vor. Er verwöhnte seine kleinen Lieblinge, kleidete sie in exquisite Gewänder und erließ ihnen die Arbeit. Schließlich waren die älteren Söhne über diese Vorzugsbehandlung so erzürnt, dass sie Josef kurzerhand nach Ägypten in die Sklaverei verkauften und ihrem Vater erzählten, dass ihr kleiner Bruder von einem wilden Tier getötet worden sei. 9
Unglaublich! Dagegen ist heutzutage die durchschnittliche Familie trotz der alltäglichen Reibereien ein Hort von Frieden und Sicherheit.
Selbst Maria entsprach nicht dem Mutterideal. In der Bibel finden wir Hinweise, dass sie ihren besonderen Sohn Jesus nie richtig verstehen konnte.
Werden diese Eltern verurteilt? Nein, ihre Fehler werden nur sachlich erwähnt und als normaler Bestandteil einer unvollkommenen Welt betrachtet. Mir ist keine Stelle in der Bibel bekannt, in der die Mütter für die Probleme der Kinder zur Rechenschaft gezogen werden. Aber eines zieht sich durch all diese biblischen Familiengeschichten: Gott selbst greift in die Schicksale ein und schenkt, dass die Kinder trotz ihrer unvollkommenen Mütter zu ganz besonderen Menschen heranwachsen.
Gute Mütter sind also keine Übermenschen, sondern normale Frauen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen, Stärken und Schwächen:
• Sie bemühen sich, die Kinder zu verstehen, aber sie sind keine Hellseherinnen.
• Sie erziehen nach bestem Wissen und Gewissen, aber sie sind keine fehlerlosen Profis.
• Sie kümmern sich um ihren Nachwuchs, aber sie sind nicht die einzige Bezugsperson.
• Sie versuchen, die Kinder glücklich zu machen, aber sie sind keine Glücksfee.
• Sie opfern den Kindern viel Zeit, aber sie geben ihr eigenes Leben nicht völlig auf.
Frauen, die ihre Idealbilder ehrlich hinterfragen, sich realistisch einschätzen und zu ihren Fehlern stehen, werden befreit bemerken, dass ihre Schuldgefühle schwinden und die ganze Familie aufatmen kann. Sie werden selbstbewusst zu ihren Fehlern stehen und dabei ihre vielen Stärken nicht vergessen.
5Chyes, M., zitiert in Swigart, J.: Von wegen Rabenmutter … Die harte Realität der Mutterliebe, Knaur, München 1993.
6Winnicott, D., Kind, Familie, Umwelt, Ernst Reinhard Verlag, München und Basel 1976.
7Henry-Huthmacher, C., Eltern unter Druck, http://www.kas.de/wf/de/3313023/;, aufgerufen am 02. 08. 2016.
8Hersberger, L., Heilsame Beziehungen – Wenn christlicher Glaube und Schematherapie sich ergänzen, ArteMedia, Basel 2016.
9Die dramatischen und ehrlichen Familensagas des Volkes Israel sind im 1. Buch Mose überliefert.
3.
Unheimliche Gefühle
„Ich fühle mich wie eine reife Ähre auf einem dünnen Stiel, die eine schwere Last tragen muss. Der Wind peitscht mich hin und her. Ich hoffe, dass er mir die schwere Last entreißt, bevor sie mich ganz zu Boden drückt.“ Clarissa, 30 Jahre, Mutter
Was hat wohl diese Mutter erlebt, als sie diese Worte an eine Zeitschrift sandte? Gibt es nicht in jedem Menschenleben trübe Stunden, in denen man solche Gedanken nur zu gut nachempfinden kann? Sicher, aber Mütter sind ganz besonders empfänglich für starke Gefühle: Wenn ein Kind leidet, so trifft dies seine Mutter im Innersten. Und so ist es verständlich, dass Mütter nicht immer ausgeglichen reagieren. Gerade die Liebe zum Kind lässt die mütterlichen Gefühle auf der ganzen Skala erklingen, denn man möchte ja alles Schädliche von ihm fernhalten. Das Gefühlspendel schlägt aus von Liebe und Zärtlichkeit bis zu Verzweiflung und Zorn.
Erfreulicherweise werden jedoch heute in der Erziehungsliteratur vermehrt auch die dunklen Seiten des Mutterseins thematisiert. So wird in einer Beschreibung des Buches Mütter ohne Liebe zusammengefasst: „Als Fazit bleibt, dass die Mutter-Kind-Beziehung wohl in den allermeisten Fällen zwischen den beiden Polen der allumfassenden Liebe einerseits und massiver Ablehnung und Destruktivität andererseits angesiedelt ist. Glück, Zärtlichkeit und das Gefühl der Verbundenheit finden darin ebenso Platz wie Enttäuschung, Wut und Frustration, die Vorstellung symbiotischer Verschmelzung ebenso wie ein ausgeprägtes Individuationsbedürfnis – mit einem Wort: alle Facetten, die andere Liebesbeziehungen auch aufweisen.“10 Entspannen Sie sich also, auch wenn Sie hin und wieder im negativen Bereich der Gefühle schwingen. Deswegen müssen Sie sich noch längst nicht schuldig fühlen.
Niemand soll es wissen …
Kürzlich saß die Mutter eines Teenagers weinend in meinem Sprechzimmer. Ihre Familienwelt war in den letzten Wochen buchstäblich zusammengestürzt. Ihr einziger Sohn musste wegen ungenügender Leistungen die Schule verlassen, in der sich daran anschließenden Lehre wurde ihm nach drei Monaten gekündigt, da er die Berufsschule kaum besuchte. Der Stresspegel stieg weiter, als sich mitten in der Nacht die Polizei meldete, weil er im Besitz von Drogen aufgegriffen wurde. Aus dem netten Jungen, der vor Kurzem noch eifrig Fußball gespielt hatte und völlig unauffällig war, hatte sich ein rebellischer, unberechenbarerer, junger Mann entwickelt. Gefühlsmäßig herrschte das nackte Chaos: Sorge, Wut, Trauer, Verzweiflung, Selbstvorwürfe, Selbstzweifel und Scham, aber auch Liebe für ihr Kind wirbelten wild durcheinander. Die Mutter erzählte weiter: „In der Straßenbahn wurde ich von einer Mutter aus dem Fußballklub angesprochen. Auf die Frage nach dem Ergehen von Noah wich ich aus. Erst, als sie zu erzählen begann, dass ihr Sohn zurzeit eine Krise schiebe, wagte ich, über die eigenen Probleme zu reden. Es war so eine Erleichterung, als ich merkte, dass ich mit meinen Problemen nicht allein bin.“
Vielen Müttern geht es ähnlich wie ihr. Da bricht plötzlich eine Art Tsunami ins Leben ein, aber man wagt aus Angst vor Kritik nicht, davon zu erzählen, und fühlt sich als die schlechteste Mutter der Welt. Dieses schamgetriebene Geheimhalten normaler Probleme beschreibt auch eine Frauenärztin von ihren Patientinnen: „Als ich anfing, als Gynäkologin zu praktizieren, war ich selbst Mutter von zwei Kindern und kannte das Muttersein aus eigener Erfahrung. Meistens fragte ich die neu entbundenen Frauen, wie sie daheim zurechtkämen. Wenn dann die Antwort ein glattes ‚Sehr gut‘ war, sagte ich: ‚Da haben Sie wirklich Glück. Meine Kinder gehen mir ganz schön auf die Nerven.‘ Damit war im Allgemeinen das Eis gebrochen und wir konnten offener miteinander sprechen.“
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