»Alle wissen, dass Eva für Ordnung gesorgt hat, nicht nur im Haus, sondern auch …« Sie reckte den Zeigefinger zur Stirn. »… in deinem Oberstübchen.«
Er sprang auf, grabschte nach der Wachstuchdecke und wollte sie mit einem Ruck vom Tisch reißen; im letzten Moment bremste er sich, Lisbeth hatte bereits das Beil zur Hand.
»Nur zu, Willy. Tu dir keinen Zwang an. Erst ist der Irre in mein Haus eingedrungen, dann hat er randaliert und mich bedroht.«
Obwohl er vor innerer Anspannung zu zerspringen drohte, strich er die Decke glatt, setzte sich wieder und neigte sich zurück. Auf dem Herdgitter wackelte der Kessel, als würde er jede Sekunde explodieren. Lisbeth zupfte an ihrem Kraushaar und starrte selbstvergessen in den Dampf.
»Eine Mutter muss ihr Kind beschützen.«
»Es gibt Grenzen«, erwiderte er. »Auch für dich.«
»Das kann bloß einer sagen, der keine Kinder hat.«
»Eva war eine gute Krankenschwester.«
»Ja und?«
»Auf der Kinderstation im PKR.« Die Worte kamen ihm schwer über die Lippen. »Ich kenn das, wenn man sich um die kleinen Racker sorgt.«
Lisbeth schüttelte nachsichtig den Kopf. »Das ist dein verdammtes Problem, Willy. Du hast es nie am eignen Leib erfahren. Du hast keine Ahnung.«
»Hast du deshalb Martin das Alibi verschafft? Aus Mutterliebe?«
Sie machte einen Satz vom Herd weg und ließ die flache Seite des Beils auf die Tischplatte krachen. Willy, der sich zu ducken versuchte, stieß gegen den Tisch, wobei das Glas mit den Treuepunkten umkippte und langsam zur Kante rollte.
»Wir waren in dieser Nacht zusammen, das habe ich dir gesagt.«
»Ich denke, als Mutter hättest du ihm sowieso ein Alibi verschafft.«
»Halt bloß die Schnauze.«
»Hast du nicht gemeint, eine Mutter muss ihr Kind beschützen?«
Statt zu antworten, stoppte Lisbeth das rollende Glas knapp vor der Tischkante und richtete es wieder auf, während das Beil in ihrer Rechten nicht zur Ruhe kam. Dann schauten sie einander an, und Willy hatte den Eindruck, in diesem Blickkontakt läge ein beiderseitiges Einverständnis, das Okay für einen vorläufigen Frieden.
Sie schob das Beil auf die Anrichte, und ehe sie den Kaffee einschenkte, strich sie sich mehrmals über den Oberschenkel. Willy war diese Geste allzu vertraut: Keinesfalls wollte Lisbeth ihre Kleidung glätten, sondern sie hoffte, die Erregung aus ihren Fingern streichen zu können, das Zittern, den verräterischen Tremor. Sie pustete über ihren Kaffee und nippte zaghaft. »Wenn ich dich hier nochmal sehe, passiert was Schlimmes.«
»Soll das ’ne Drohung sein?«
»Ich hab einiges von meinem Mann gelernt.«
»Hast du deswegen sein Bild …«
»Halt die Klappe«, unterbrach sie ihn. »Wenn man oft genug Prügel kriegt, lernt man, wo es wehtut.«
»Also doch ’ne Drohung?«, wollte Willy wissen, und Lisbeth funkelte ihn über ihre Tasse hinweg an, die Hände indessen ganz ruhig, der Mund verschlossen. »Ich hab dich was gefragt.«
»Spar dir die Spucke«, kläffte sie. »Du hast mich verstanden und damit basta.«
Er kapitulierte, und sie nippten stumm an ihren Tassen, ließen dabei einander nicht aus den Augen, wahrten den Frieden. Schließlich trat Lisbeth an den Küchenofen und bückte sich.
»So«, stellte sie fest. »Deine Botten sind trocken.«
Willy mangelte es an der passenden Reaktion; ein Spruch oder ein Grinsen wollten ihm nicht gelingen, und bevor er sich bei einer Lisbeth Berger bedankte, hätte er eher seine Zunge verschluckt. Also stierte er auf seine Schuhe, bis Lisbeth sagte:
»Soll ich sie dir noch anziehen, oder was?«
Er kroch hinterm Tisch hervor, und sobald er sich dem Ofen näherte, griff sie nach dem Beil und rückte auf Distanz. Er trug seine Schuhe wie ein braves Kind in die Diele und schlüpfte dort unter Mamas wachsamem Blick hinein.
»Martins Tage in Freiheit sind gezählt, das versprech ich dir.«
»Er ist geheilt. Das haben ihm die Ärzte bescheinigt.«
»Mag sein«, sagte Willy und schnürte sich die Schuhe zu. »Aber wer wegen Hämorrhoiden zum Arzt geht, wird wohl kaum am Kopf operiert.«
»Haste so ’ne Rede auch im Pub geschwungen?«
Sein Auftritt am Donnerstag hatte offenbar die Runde gemacht. Er zog den Schnürsenkel seines linken Schuhs so fest, dass ihm der Spann schmerzte, dann reckte er sich hoch und wandte sich in der Haustür ein letztes Mal um. Lisbeth, die auf der Schwelle zur Küche stand, beäugte jeden seiner Schritte.
»Martin braucht seine Koffer erst gar nicht auszupacken.« Ihm gelang ein breites Grinsen. »Ich hab neue Beweise, Lisbeth.«
Mit Genugtuung bemerkte er das Zucken ihres Unterkiefers, sah das Beil in ihrer Klaue beben, ihre ganze herrliche Ratlosigkeit. Er trat aus dem Haus und stapfte, ohne sich nochmals umzudrehen, über den Schnee in Richtung Auto. Als er die wohltuende Ofenwärme in den Schuhen spürte, hasste er Lisbeth Berger mehr denn je.
David hatte sie in den Speisesaal bugsiert, zu einem der leeren Tische, fern der Pensionsgäste. Er servierte ihr ein Frühstück aus Kaffee, Konfitüren und Toast, dann pendelte er zwischen ihr und dem Wintergarten hin und her, räumte dort Tische ab und sorgte dafür, dass stets volle Kaffeekannen vorrätig waren. Sobald er sich ihr näherte, tastete sie unauffällig an ihrer Jeans nach einer offenen Naht.
»Sind deine Eltern unterwegs?«
»Ja«, sagte er und begab sich hinter die Bar. »Tagsüber manage ich den Laden allein.«
»Die ganze Pension?«
»Du siehst ja, ich arbeite mich nicht gerade tot.«
»Läuft wohl nicht so gut?«
»Na ja, die Bar ist über ’n Sommer kaum leerer geworden.«
Anna lehnte sich zurück und blinzelte gegen die aufkommende Müdigkeit an. Drei Fenster in der Größe von Kellerluken spendeten gerade so viel Licht, dass man zwischen Tag und Nacht unterscheiden konnte. Entlang der Wand eine Reihe Tische, die jeweils mit Servietten, einem Teelicht und einer Getränkekarte bestückt waren; rechts von ihr ein schmuckloser Tresen, der gleichzeitig als Bar und Rezeption fungierte. In einer unbeleuchteten Nische stand ein Klavier, schwarz, dekorativ und dennoch versteckt.
»Und spielst du wieder Elton John?«
»Wir lassen fast nie Musik laufen.« David nahm ein Glas vom Regal, pustete hinein und polierte es mit einem Geschirrtuch. »Die Alten wollen ihre Ruhe.«
»Ich meinte am Klavier.«
Er hielt inne und starrte über den Tresen in die Nische. »Das Ding rühre ich nicht mehr an.«
»Warum hast du damals eigentlich aufgehört?«
»Ich hatte andere Interessen.«
»Als Klavierspielen und Gedichte zu schreiben?«
»Ich war 16, Anna. 16.«
»Die Mädels haben dich jedenfalls angehimmelt.«
»Vielleicht hab ich genau deshalb aufgehört.«
Mit einem Grinsen schwang sich David das Geschirrtuch auf die Schulter. Sein kakifarbenes Hemd war bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und hing lässig über seine Jeans; die Haare fielen ihm in die Stirn, wobei die Seiten auf wenige Millimeter gestutzt waren. Er hätte auch als Sozialarbeiter durchgehen können, allein sein Lächeln würde die richtigen Leute, insbesondere die Damen vom Jugendamt, dazu ermuntern, allerlei Töpfe zu öffnen. David kam hinter dem Tresen hervor, nahm ihr gegenüber Platz und schob ihr einen Schlüssel hin.
»Ist der für mich?«
»Für dein altes Zimmer.«
»Das existiert noch?«
»Irgendwie schon.«
Er schenkte sich Kaffee ein, stützte die Ellbogen auf und nahm einen Schluck. Über die Tasse hinweg bemerkte er:
»Du hättest ruhig anrufen können.«
»Weil ich euch besuchen will?«
»Ja.«
»Ich wusste nicht, dass ich mich anmelden muss.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Er blieb die Ruhe in Person, während ihre Finger einen losen Faden an ihrer Jeans aufspürten. »Wir hätten uns Zeit nehmen können, deswegen.«
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