Christoph Heiden
Zurück im Zorn
Thriller
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Daniel Abt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Karte auf S. 6–7: Magdalena Schneider
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart, unter Berücksichtigung einer Anregung von Matthias Pick,
unter Verwendung eines Fotos von: © claudiarndt / photocase.de
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6360-0
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Anna Majakowski: Sozialarbeiterin, Waise
Willy Urban: ehemaliger Polizist, Witwer
*
Martin Berger: Brandstifter, Heimkehrer
Lisbeth Berger: Rentnerin, Martins Mutter
Jörg Berger: Martins Vater, verstorben
*
Stephan Majakowski: Pensionsbesitzer, Annas Onkel
Helene Majakowski: Pensionsbesitzerin, Annas Tante
David Majakowski: arbeitet im Gutshaus, Annas Cousin
*
Lennart Majakowski: Schüler, Annas Bruder, verstorben
Mutter Majakowski: Hausfrau, verstorben
Papa Majakowski: Vertreter, verstorben
*
Danny Schmidt: Führer für Nachtwanderungen
Kevin Hübner: arbeitslos, Freund von Danny
Jochen Friesack: Besitzer des örtlichen Pubs
Robert Beck: Ortsvorsteher von Gollwitz
Lasse Kallabis: arbeitet im Geflügelhof
Claudia Kallabis: arbeitslos, Lasses Frau
Jeanette Gerber: Dorfbewohnerin
*
Sonja: Annas Arbeitskollegin
Mike: Reinigungskraft in der »Blauen Oase«
Paul: Annas Ex-Freund
Eva Urban: Willys Frau, verstorben
Tom Wolf: Willys ehemaliger Kollege
*
Henning Kokles: Vogelkundler
Frau Kramer: Kokles’ Tochter
Herr Kramer: Kokles’ Schwiegersohn
*
Benny: Martins ehemaliger Zimmergenosse
Das Sumpfding: Gast aus Louisiana
Alan Albert Bloch: britischer Drehbuchautor, Esoteriker
18. März 1995
»Warum liest du nicht ein bisschen?«
»Mama, Lesen ist langweilig.«
»Dann weiß ich auch nicht.«
»Ich will mit euch Fernsehen gucken.«
»Nein, heute nicht.«
Anna verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte in stillem Protest an die Decke; direkt über dem Bett ein Poster von Michael Jackson: die Hand im Schritt, das Hemd aufgerissen und das Gesicht so blass, dass es in manchen Nächten wie ein eckiger Mond strahlte.
»Kannst du mir nichts vorlesen?«
»Nein, Anna.«
»Nur eine ganz kurze Geschichte? Bitte.«
Ihre Mama, auf der Bettkante sitzend, die Beine übereinandergeschlagen, stupste mit dem Fuß gegen den Kassettenrekorder; davor lagen drei Hörspiele, die Anna von ihrem Bruder geliehen hatte und die sie wochentags in den Schlaf begleiteten. Mit trotziger Stimme sagte sie, dass sie keine Lust auf Alf habe.
»Seit wann das denn?«
»Der ist im Fernsehen viel lustiger.«
»Heute gibt’s kein Fernsehen. Punkt.« Ihre Mutter stützte einen Arm aufs Bett, langte hinter sie und zog den neuen Teddy hervor. »Wenn du dich an ihn kuschelst, schläfst du garantiert schnell ein.«
»Wetten nicht.«
»Der ist von deinem Verehrer, also.«
»David ist mein Cousin.«
»Na und?«
»So was ist igitt.«
»Verehrer bleibt Verehrer.«
Anna betrachtete zunächst den Teddy, der sie mit riesigen braunen Glasaugen anglotzte, dann ihre Mutter, die sanft über das Fell des Bären strich, die Schnauze umrandete und tat, als würde sie ihn an den Tatzen kitzeln. Letzten Monat hatte ihre Mutter sich die Haare blondieren und bis unter die Ohren kürzen lassen; das machte sie um zehn Jahre jünger. Mindestens. Anna kam der Gedanke, sie vielleicht mithilfe eines Kompliments umzustimmen; sie könnte ihr sagen, dass sie wie Madonna aussähe, nein, besser sogar. Schließlich verwarf sie die Idee und ging in die Offensive.
»Und warum darf Lennart fernsehen?«
»Lennart ist in seinem Zimmer«, erwiderte ihre Mama. »Der hat längst Gute Nacht gesagt.«
»Jetzt schon?«
»Keine Ahnung, was er hat.«
»Habt ihr euch gestritten?«
»Ach, du kennst ihn ja.«
Ihre Mama neigte sich vor, gab ihr einen flüchtigen Kuss, und Anna roch den Alkohol in ihrem Atem, den Alkohol und das Aroma knuspriger Chipsletten. Kaum hatte ihre Mutter die Tür zum Flur geöffnet, hörte sie aus dem Erdgeschoss tosenden Applaus. Im Fernsehen lief »Wetten, dass..?«, das sie auch gemeinsam hätten gucken können. Mama, Papa, sie und Lennart. Aber ihre Mutter hatte den Abend anders geplant, ohne die Kinder, allein mit ihrem Mann. Die Tür schloss sich, und Anna betrachtete erneut das Poster über ihrem Bett.
Ein Mitschüler hatte ihr erzählt, Michael Jackson schlafe in einem Sauerstoffzelt, das sein Leben um hundert Jahre verlängerte. Sie fragte sich, ob in dem Zelt auch seine Freunde Platz fänden oder er darin mutterseelenallein lag, ob er die Einsamkeit mit dem Komponieren neuer Songs bekämpfte. Ein Zelt voller Sauerstoff, sinnierte sie. Wäre es nicht einfacher, im Wald unter einem grünen Baum zu schlafen? Sie seufzte, drehte sich auf die Seite und legte das Alf-Hörspiel »Reden ist Blech« ein, löschte dann das Licht und bettete ihren Kopf in den flauschigen Schoß des Teddys.
Ein heftiges Rütteln riss Anna aus ihren Träumen, ein Arm schob sich unter ihre Kniekehlen, ein anderer unter ihren Rücken, dann hievte sie jemand vom Bett. Es war Lennart, ihr Bruder.
»Halt dir den Pullover vor den Mund«, sagte er.
In wilder Panik trat sie aus, und als sie ihn mit der Ferse am Kinn traf, ließ er sie zurück aufs Bett fallen. Sie wollte nach ihrer Mama rufen, brachte aber nur ein Röcheln, ein schmerzhaftes Husten zustande.
»Bitte«, flehte er. »Nimm das verdammte Ding.«
Sie versuchte zu schreien, bis er ihr den Pullover ins Gesicht presste. Seine Arme glitten zum zweiten Mal unter ihren Körper und stemmten sie hoch. An seine Schulter geschmiegt schwebte sie über die Türschwelle und die Treppe abwärts; alles war ringsum von Rauch verhüllt, jeder Atemzug drohte, ihr die Lunge zu zerfetzen.
»Was hab ich getan?«
Lennarts Stimme, kaum verständlich.
»Was hab ich getan?«
Er trug sie durchs Wohnzimmer, wo der Rauch dicht und blau und heiß war, dann in die Diele und zur Vordertür hinaus. Ihr Kopf rutschte von seiner Schulter in seine Armbeuge, und die Welt zeigte sich ihr verkehrt herum: Oben die graue Straße, unten der schwarze Nachthimmel und von irgendwoher ein rotes flackerndes Licht.
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