Christoph Heiden - Zurück im Zorn

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Gollwitz. Brandenburg. Im Winter 1995 tötet ein Feuer beinahe eine ganze Familie. Die einzige Überlebende ist die zwölfjährige Anna Majakowski. 20 Jahre später erhält Anna mysteriöse Drohbriefe, denen sie in ihrem Heimatdorf nachspüren will. Doch Gollwitz heißt sie nicht willkommen, denn die Erinnerung an damals steht dem erhofften Aufschwung im Weg. Nur Willy Urban, Polizist im Ruhestand, kann die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Mit ihm begibt sich Anna auf eine Reise, die sie immer tiefer in eine Welt aus Obsessionen und Gewalt zieht …

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Christoph Heiden

Zurück im Zorn

Thriller

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Daniel Abt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Karte auf S. 6–7: Magdalena Schneider

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart, ­unter ­Berücksichtigung einer Anregung von Matthias Pick,

unter Verwendung eines Fotos von: © claudiarndt / photocase.de

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6360-0

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Karte

Figuren Anna Majakowski Sozialarbeiterin Waise Willy Urban ehemaliger - фото 5

Figuren

Anna Majakowski: Sozialarbeiterin, Waise

Willy Urban: ehemaliger Polizist, Witwer

*

Martin Berger: Brandstifter, Heimkehrer

Lisbeth Berger: Rentnerin, Martins Mutter

Jörg Berger: Martins Vater, verstorben

*

Stephan Majakowski: Pensionsbesitzer, Annas Onkel

Helene Majakowski: Pensionsbesitzerin, Annas Tante

David Majakowski: arbeitet im Gutshaus, Annas Cousin

*

Lennart Majakowski: Schüler, Annas Bruder, verstorben

Mutter Majakowski: Hausfrau, verstorben

Papa Majakowski: Vertreter, verstorben

*

Danny Schmidt: Führer für Nachtwanderungen

Kevin Hübner: arbeitslos, Freund von Danny

Jochen Friesack: Besitzer des örtlichen Pubs

Robert Beck: Ortsvorsteher von Gollwitz

Lasse Kallabis: arbeitet im Geflügelhof

Claudia Kallabis: arbeitslos, Lasses Frau

Jeanette Gerber: Dorfbewohnerin

*

Sonja: Annas Arbeitskollegin

Mike: Reinigungskraft in der »Blauen Oase«

Paul: Annas Ex-Freund

Eva Urban: Willys Frau, verstorben

Tom Wolf: Willys ehemaliger Kollege

*

Henning Kokles: Vogelkundler

Frau Kramer: Kokles’ Tochter

Herr Kramer: Kokles’ Schwiegersohn

*

Benny: Martins ehemaliger Zimmergenosse

Das Sumpfding: Gast aus Louisiana

Alan Albert Bloch: britischer Drehbuchautor, Esoteriker

Brandnacht

18. März 1995

»Warum liest du nicht ein bisschen?«

»Mama, Lesen ist langweilig.«

»Dann weiß ich auch nicht.«

»Ich will mit euch Fernsehen gucken.«

»Nein, heute nicht.«

Anna verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte in stillem Protest an die Decke; direkt über dem Bett ein Poster von Michael Jackson: die Hand im Schritt, das Hemd aufgerissen und das Gesicht so blass, dass es in manchen Nächten wie ein eckiger Mond strahlte.

»Kannst du mir nichts vorlesen?«

»Nein, Anna.«

»Nur eine ganz kurze Geschichte? Bitte.«

Ihre Mama, auf der Bettkante sitzend, die Beine übereinandergeschlagen, stupste mit dem Fuß gegen den Kassettenrekorder; davor lagen drei Hörspiele, die Anna von ihrem Bruder geliehen hatte und die sie wochentags in den Schlaf begleiteten. Mit trotziger Stimme sagte sie, dass sie keine Lust auf Alf habe.

»Seit wann das denn?«

»Der ist im Fernsehen viel lustiger.«

»Heute gibt’s kein Fernsehen. Punkt.« Ihre Mutter stützte einen Arm aufs Bett, langte hinter sie und zog den neuen Teddy hervor. »Wenn du dich an ihn kuschelst, schläfst du garantiert schnell ein.«

»Wetten nicht.«

»Der ist von deinem Verehrer, also.«

»David ist mein Cousin.«

»Na und?«

»So was ist igitt.«

»Verehrer bleibt Verehrer.«

Anna betrachtete zunächst den Teddy, der sie mit riesigen braunen Glasaugen anglotzte, dann ihre Mutter, die sanft über das Fell des Bären strich, die Schnauze umrandete und tat, als würde sie ihn an den Tatzen kitzeln. Letzten Monat hatte ihre Mutter sich die Haare blondieren und bis unter die Ohren kürzen lassen; das machte sie um zehn Jahre jünger. Mindestens. Anna kam der Gedanke, sie vielleicht mithilfe eines Kompliments umzustimmen; sie könnte ihr sagen, dass sie wie Madonna aussähe, nein, besser sogar. Schließlich verwarf sie die Idee und ging in die Offensive.

»Und warum darf Lennart fernsehen?«

»Lennart ist in seinem Zimmer«, erwiderte ihre Mama. »Der hat längst Gute Nacht gesagt.«

»Jetzt schon?«

»Keine Ahnung, was er hat.«

»Habt ihr euch gestritten?«

»Ach, du kennst ihn ja.«

Ihre Mama neigte sich vor, gab ihr einen flüchtigen Kuss, und Anna roch den Alkohol in ihrem Atem, den Alkohol und das Aroma knuspriger Chipsletten. Kaum hatte ihre Mutter die Tür zum Flur geöffnet, hörte sie aus dem Erdgeschoss tosenden Applaus. Im Fernsehen lief »Wetten, dass..?«, das sie auch gemeinsam hätten gucken können. Mama, Papa, sie und Lennart. Aber ihre Mutter hatte den Abend anders geplant, ohne die Kinder, allein mit ihrem Mann. Die Tür schloss sich, und Anna betrachtete erneut das Poster über ihrem Bett.

Ein Mitschüler hatte ihr erzählt, Michael Jackson schlafe in einem Sauerstoffzelt, das sein Leben um hundert Jahre verlängerte. Sie fragte sich, ob in dem Zelt auch seine Freunde Platz fänden oder er darin mutterseelenallein lag, ob er die Einsamkeit mit dem Komponieren neuer Songs bekämpfte. Ein Zelt voller Sauerstoff, sinnierte sie. Wäre es nicht einfacher, im Wald unter einem grünen Baum zu schlafen? Sie seufzte, drehte sich auf die Seite und legte das Alf-Hörspiel »Reden ist Blech« ein, löschte dann das Licht und bettete ihren Kopf in den flauschigen Schoß des Teddys.

Ein heftiges Rütteln riss Anna aus ihren Träumen, ein Arm schob sich unter ihre Kniekehlen, ein anderer unter ihren Rücken, dann hievte sie jemand vom Bett. Es war Lennart, ihr Bruder.

»Halt dir den Pullover vor den Mund«, sagte er.

In wilder Panik trat sie aus, und als sie ihn mit der Ferse am Kinn traf, ließ er sie zurück aufs Bett fallen. Sie wollte nach ihrer Mama rufen, brachte aber nur ein Röcheln, ein schmerzhaftes Husten zustande.

»Bitte«, flehte er. »Nimm das verdammte Ding.«

Sie versuchte zu schreien, bis er ihr den Pullover ins Gesicht presste. Seine Arme glitten zum zweiten Mal unter ihren Körper und stemmten sie hoch. An seine Schulter geschmiegt schwebte sie über die Türschwelle und die Treppe abwärts; alles war ringsum von Rauch verhüllt, jeder Atemzug drohte, ihr die Lunge zu zerfetzen.

»Was hab ich getan?«

Lennarts Stimme, kaum verständlich.

»Was hab ich getan?«

Er trug sie durchs Wohnzimmer, wo der Rauch dicht und blau und heiß war, dann in die Diele und zur Vordertür hinaus. Ihr Kopf rutschte von seiner Schulter in seine Armbeuge, und die Welt zeigte sich ihr verkehrt herum: Oben die graue Straße, unten der schwarze Nachthimmel und von irgendwoher ein rotes flackerndes Licht.

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