Matthias Rathmer - Wer Zorn sät

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Ernüchtert sind sie, die Ägypter, enttäuscht, müde und still. Gefangen sind sie zwischen, zwischen Macht und Ohnmacht. Ihre «Revolution» ist gescheitert. Wieder werden sie gerne regiert, erneut von einer elitären Clique. Ausgerechnet. Denn genau gegen Alleinherrschaft, soziale Ungerechtigkeiten, Amtsmissbrauch und Korruption hatten sie einst so vehement protestiert. Blutspuren durchziehen das Land. Die Ägypter leben im Duell ihrer Dämonen. Wieder spaltet Zorn ihre Gesellschaft.
Millionen stecken den Kopf in den Wüstensand. Noch mehr haben sich verdrossen zurückgezogen, in ihr Privatleben, mit ihrer Religion. Das hat fatale Folgen. Auf lange Sicht wird so aus ihrem Land gewiss kein demokratischer Staat werden.
Matthias Rathmer lebt seit vier Jahren im Land am Nil. Seine Kurzgeschichten und Essays entdecken die Seele der Nation, die Liebeswürdigkeit ihrer Menschen, ihren Alltag, Schräges, Buntes und Unmögliches. Vor allem aber die Ägypter selbst. In ihrem Stolz, ihrer Würde und in ihrem Volksgefühl, dem Zorn. Den kein Mächtiger reizen sollte.

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Matthias Rathmer

Wer Zorn sät

Ägypten zwischen

Revolte und Realität

Kurzgeschichten und Essays

So oft überlegt. So oft verworfen. Ist es richtig, das wahrheitsgemäß zu sagen, was Land und Leute einem zeigen? Kann man dem glauben, was die Augen sehen und die Ohren hören? Es ist richtig. Man kann. Und man muss.

Mein Dank gilt meiner wunderbaren Frau. Sie nämlich hat nicht nur mit großer Geduld die deutsche Rechtschreibung angelegt und ein außergewöhnliches Titelbild geschaffen, das genau so und nicht anders sein darf. Bei allen Kämpfen und Krämpfen war sie stets bei und mit mir. Danke für diese außergewöhnliche Lebenszeit!

Mein Dank gilt ferner allen anderen Beteiligten, die, ob freiwillig oder nicht, Idee und Ansporn waren. Bis auf wenige Kunstgriffe, die leicht zu entdecken sind, ist alles so geschehen, wie es geschrieben steht. Das war wohl Glück und Wahnsinn zugleich.

Copyright © 2016 Matthias Rathmer

Titelbild: Stephanie Rathmer, Acryl auf Leinwand

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-8858-3

„Revolten kennen im Allgemeinen nur das Scheitern, sonst wären sie Revolutionen. Die gescheiterte Revolte indessen greift in die Geschichte ein, sie setzt Zeichen, die teils verschwinden, um später wieder aufzutauchen, sie verändern doch die Welt.“

(Johannes Agnoli)

Darek, mein lieber Freund! Du fehlst uns sehr. Du warst großartig. Du warst Wahrheit. Einzig das Leben wollte es so. Dem gehorchen zu müssen, will einfach nicht gelingen. In unseren Erinnerungen bist Du auf ewig bei uns. Du bist der Beste!

1

Wer Zorn sät

Ach, Ägypten! Was bloß soll aus dir werden? So stolz sind deine Menschen, obgleich ihrer Nation so wenig gelingt. So gerne werden sie regiert, deine Bürger, so lange, bis sie Hunger und Unzufriedenheit wieder auf die Straßen treibt, so lange, bis im Frust um die eigene, kleine Zukunft die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer geworden sind. Ohne jeden Zweifel. Im Land am Nil ticken gleich mehrere Bomben. Waffen klirren bereits. Seit Jahren. Tote werden gezählt wie anderswo Ertragsberichte. Wer anders glaubt, wird verfolgt, wer anders denkt, ist Staatsfeind. Die Gesellschaft ist tief gespalten und ihre Versöhnung lange nicht in Sicht.

Auch das ist richtig. Es ist ruhiger geworden, im Kampf der Dämonen. Doch kein Konflikt ist gelöst. So ist auch das gewiss. Er wird kommen, der nächste Sturm. Denn früher oder später, so geduldig und selbstbewusst sie auch sind, die Ägypter, so erträglich ihr Heimatland derzeit sein mag – ihr Herrscher und seine Eliten sind wieder auf dem Kurs, das so markante Wesensmerkmal eines Ägypters, maßgeblich die Stärke seines Willens auf Hoffnung, zu überreizen. Dann sprudelt sie wieder empor, jene so volkstypische Energie, deren unbändige Kraft geradewegs in die nächste Raserei führen wird. Doch halt! Der Reihe nach.

Wesentlich und wohltuend zugleich sind zunächst andere Eigenschaften der Ägypter, ihre urmenschlichen Qualitäten, die einen annehmen lassen sollten, dass sie Frieden und Gerechtigkeit doch können müssten. Dass sie es nicht können, hat andere Gründe. Die große Mehrheit der Ägypter nämlich sind ausgesprochen friedliebende Zeitgenossen. Ja wirklich! Sie sind vielerorts naturgemäß derart freundlich, dass man oft genug beschämt mit der eigenen Offenheit ringt. Häufig offenbaren sie, vor allem Ausländern gegenüber, eine spontane Hilfsbereitschaft, die bewundernswert ist. Mit ihrer Gelassenheit, ihrem Charme südlicher Lebensart und ihrer Gastfreundlichkeit können sich gerade die Deutschen mit der eigenen Ordnungsliebe und ihren Gewohnheiten Lebensqualitäten abschauen, die allemal bereichernder sind als die üblichen Anstrengungen in Seele und Geist abendländischer Kultur. Gut. Nicht immer. Aber meistens. Und dann ist es, wie es überall ist.

Die meisten Ägypter besitzen, gleich aller auf diesem Planeten, die üblichen Defizite des Menschseins, die zu beseitigen jeden Ortes genauso anstrengend wie herausfordernd sind und damit meistens unbehandelt bleiben. Dazu streben sie wie in jedem Winkel dieser verrückten Welt, nach ursprünglichen Bedürfnissen wie Sicherheit, Geborgenheit und Wohlstand. Sie tun das in einer besonderen Quantität, mit einem umfassenden und massenhaften Rückzug ins Private. Und sie tun das in einer erstaunlichen Qualität, in der Erkenntnis nämlich, dass es sich mit Enttäuschungen besser leben lässt als mit einer zerstörten Illusion. Millionen Ägypter, gleichgültig ob Frau oder Mann, ob Greis oder Kind, verharren in der Zuversicht, vielfach eng verknüpft mit ihrem Glauben, dass früher oder später alles zu dem kommt, der warten kann. Millionen Menschen wollen einfach nur ihre Ruhe.

Bei allem, was so los ist in diesem Land. Es lebt sich gut hier, vor allem als Ausländer, der sich um Geld nicht sorgen muss, wäre da nicht ein Wesenszug der Ägypter, der einem versteckt in jedem Moment eines Tages begegnet. So freundlich und offenherzig einem die Ägypter grundsätzlich vielerorts landauf landab begegnen, so weit verbreitet ist er, dieser elementare Zustand ihrer Gemütsverfassung. Oft bleibt er verborgen, ist er kontrolliert. Doch wehe, er ist geweckt. Der Zorn. Einmal gereizt und entfacht, durch wen oder was auch immer, offenbart sich dieser Charakterzug oftmals in einem Tempo, dem der gemeine Europäer nicht folgen kann. Ihrem Zorn geht meistens Wut voraus, ein Ärgernis, eine Empörung oder eine Kränkung. Dann kocht die Seele, und in den Adern brodelt es. Ein kleines falsches Wort ist manchmal schon genug, und im Ausbruch höchster emotionaler Erregung ist jeder Gleichmut vergessen. Und wird das Ehrgefühl eines Ägypters dauerhaft missachtet und dazu sein Empfinden für Gerechtigkeit, fehlt jede Perspektive schon auf die Aussicht der Erfüllung natürlicher Sehnsüchte, dann formt sich der Zorn eines jeden Einzelnen zu einer unbändigen Energie der Masse, die vor langer Zeit schon jeder Pharao gefürchtet hatte.

Es waren die „Tage des Zorns“, die in Ägypten bis heute so nachhaltig wirken. Sie hatten lange genug verharrt. Dreißig Jahre lebten die Ägypter unter dem Regime ihres ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak, bevor sie im Januar und Februar Zweitausendelf, inspiriert durch die tunesische Jasminrevolution, mehr als zwei Wochen lang auf die Straßen und Plätze des Landes strömten und gegen die autoritäre Herrschaft Mubaraks mit seinem ausgeprägten Sicherheitsapparat, gegen fehlende Mitsprachemöglichkeiten, verweigertem Reformwillen und gegen Amtsmissbrauch und Korruption in Staat, Wirtschaft und Verwaltung protestierten.

Heute, gut fünf Jahre nach diesem Aufbegehren, das viele Ägypter allzu pathetisch noch immer „Revolution“ nennen, nach diesem nationalen Erzürnen, regiert wieder ein Alleinherrscher das Land, ähnlich diktatorisch und despotisch, wie einst Mubarak agierte. Die ersten freien Wahlen nach dessen Entmachtung hatten die Muslimbrüder gewonnen. Sie waren die einzig taugliche Oppositionspartei im Land, die sich zügig formieren konnte. Ihr Sieg, mehr noch, was sie wollten und wie sie es taten, brachte den Ägyptern eine weitere Variante jener verbitterten Rage, die das Land bis heute prägt.

Missgestimmt waren sie zunächst, die versteckt Mächtigen, allen voran das Militär, eine gesellschaftliche Kraft, ohne deren Wohlwollen und Zustimmung zu regieren am Nil unmöglich ist. Empörung folgte, Ärger über eine drohende Islamisierung konservativer Prägung, Wut über zweifelhafte politische Entscheidungen, Entrüstung über klägliche Kompetenzen. Geliebt waren die Muslimbrüder noch nie. Jetzt führten sie Ägypten geradewegs in die Katastrophe. Die Zahlungsunfähigkeit, der wirtschaftliche Kollaps, drohte. Monatlich wuchs er, der Zorn, und war letztlich so gewachsen, dass ein Militärputsch dem Spuk der Muslimbrüderschaft ein Ende machte. General Sisi entmachtete Morsi.

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