Matthias Rathmer
Solange sie schlief
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Danken möchte ich vor allem Dir, meine liebe Stephanie, wieder einmal, für Deine grenzenlose Geduld mit mir und der deutschen Rechtschreibung, für all die Zeit und Mühen, die Du mir und diesem Roman geschenkt hast und für Dein Verständnis, zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden zu können.
Solange sie schlief
Matthias Rathmer
Copyright © 2014 Matthias Rathmer
Coverfoto by nnb, Gewährung aller Rechte
Published by: epubli GmbH, Berlin
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ISBN: 978-3-8442-7159-1
Nicht, weil etwas schwierig ist,
wagen wir es nicht.
Weil wir es nicht wagen,
gerät es schwierig.
1
Ihr habt’s gut! Ihr seid blöd!
Solange sie schlief, war ich ehrlich zu ihr, dachte ich und verfluchte Reue wie Sehnsucht gleichermaßen. Sie zu betrachten, wenn ihr Geist ruhte, wenn ihre fein geschwungenen Lippen aufeinander lagen und mir ihr kompromissloser Sinn für die eigene Würde entgegenstrahlte, war ein Geschenk des Himmels und zugleich die Schwelle, die mich vom Unglück trennte. Ich korrigierte meine Einsicht, denn nur, solange sie schlief, belegte ich sie stets mit meinen Wahrheiten. So wie ich auch im Stummfilm mehr sah, war derart auf sie zu blicken immer schon die Ursache für die Klarheit meiner Gedanken. Die meisten Männer schätzten es früher oder später, wenn die Synapsen ihrer Frauen ungereizt blieben und die Partnerinnen ihren Mund hielten, weil ihr ständiges Gebrabbel oftmals ein gesundes Maß an Plauderhaftigkeit überschritt. In Wirklichkeit hatten viele der so Beschwiegenen gemeinhin im Zustand ihrer Wachheit lediglich deswegen wenig zu sagen, weil sie die Trennung von ihren einfältigen Begleitern längst schon beschieden hatten. Langsam und quälend hatte ihre Stille die Liebe gefressen.
Eves Antlitz besaß für mich etwas Göttliches und hatte nicht eine Regung an Fesselung verloren. Doch obwohl ich geübt darin war das zu beschreiben, was sich mir darbot, hatte ich ausgerechnet bei der Frau, die ich liebte, stets das Gefühl, dass mein Urteil keine Genauigkeit besaß. Immerhin. Sie saß noch neben mir, wem auch immer der Dank dafür gebührte. Ich ertappte mich bei dem Wunsch, sie möge immerzu schlafen, was letztlich ihren Tod bedeutete, wie ich mich unverzüglich korrigierte, und den zu wollen entsetzlich und damit ausgeschlossen war. Scham belegte sogleich mein Gemüt ob dieses wirren Einfalls. „Entschuldigung! War nicht so gemeint,” murmelte ich ihr zu und war abermals froh, dass ihre Sinne schlummerten.
„Was hast du gesagt?“ fragte sie mich im Halbschlaf, wischte sich durchs Gesicht und nahm unseren neuerlichen Stillstand wahr, dessen sie leise aufstöhnte und damit unmissverständlich ihren Unmut demonstrierte.
„Nichts! Schon gut! Schlaf’ ruhig weiter! Sieht toll aus.“
„Was sieht toll aus?“ wollte sie mit leicht knatschigem Unterton wissen und kämpfte um eine neue Position für ihre Behaglichkeit. Ihr schlanker Körper erlaubte die komischsten Verwindungen.
„Du! Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst.“
„Wenn ich schlafe?“ Sie schloss ihre Augen. Eve wusste genau, wie es um sie stand.
„Du siehst immer wunderschön aus. Aber wenn du schläfst, siehst du eben besonders wunderschön aus.“
„Elender Schmeichler,” gab sie gedämpft zurück. „Das sagst du doch nur, weil ich dann leichter zu ertragen bin.“
Ihre kleine Heiterkeit war noch lieblicher als sonst, wie ich feststellte, vielleicht, weil ich sie in den letzten Wochen so selten gesehen hatte. Abgesehen davon hatte sie Recht.
Seit Stunden waren wir unterwegs. Dutzende von Frauen waren in ähnlicher Pose an mir vorbeigerollt. Nahezu alle sahen gleich verhärmt aus. Deswegen hatte ich Eve genau im Auge behalten um festzustellen, ob auch sie diese Bitterkeit in ihrem Gesicht trug. Tat sie nicht, selbst wenn sie nicht schlief.
Tausende Frauen waren vor mir, noch mehr von ihnen vermutlich hinter mir. Der Verdacht lag nahe, sie alle ähnlich unglücklich vorzufinden. Schmal der Mund, regungslos jede Falte, starr der Ausdruck. Mit jedem Tag waren sie sich selbst fremder geworden. Gezüchtigt die Sehnsüchte, der Freiheit beraubt. Die Anstrengungen des Lebens bedrückten ihr Gemüt. Sie alle waren ein Abbild eines allgemeinen Zustands, es im Leben zu etwas bringen zu wollen, doch bislang so wenig davon geschafft zu haben. Das straffe Korsett ihres Alltagstrotts zwischen Gehalt und Gewohnheit nahm ihnen jede Fantasie des Ausbruchs, erstickte jede Energie, die mit einem tiefen Atemzug nach Erlösung aus ihrer Trägheit schrie. Man musste kein Therapeut sein um zu erkennen, dass sie die hohe Wahrscheinlichkeit fürchteten, zukünftig ein noch unerfüllteres Dasein ertragen zu müssen, weil jeder Wille nach Veränderungen betäubt war.
Die Monotonie unserer zwanghaften Schleichfahrt spiegelte gewiss auch den Verlust ihrer Lust wider, sinnierte ich über den Grund, warum es mir so vorkam, dass letztlich zu viele ihre Sinnlichkeit verloren hatten. Der Vulkan hemmungsloser Leidenschaften ruhte tief versunken in ihrem Schoß. Ihn zu erwecken, dann und wann ein Beben zu entzünden um die Liebe zu entflammen, war irgendwo im Nirgendwo verloren gegangen. Ich stellte mir vor, wie unachtsam alle diese Frauen mit der Zeit geworden waren, weil die Feuersteine in den Hosentaschen ihrer Männer einer Maschine Buntes zum Opfer gefallen waren, und die Wagenlenker, gleichgültig jeder Verlustmeldung geworden, keine Ahnung hatten, wie sie auf andere Art Funken schlagen konnten. Die Gesichter dieser Frauen kamen mir wie Schemen vor. Blass und ohne Konturen fehlten ihnen Augenleuchten und Hoffnungsschimmer. Ihre Blicke waren sinnentleert. Zusammen mit ihm fühlten sich zu zweit einsam. Die meisten sprachen nicht einmal zu ihren Wegbegleitern, deren eigene Knechtschaft ihnen selbst deswegen verborgen blieb, weil sie Männer und einer gesunden Selbstreflexion noch unfähiger waren.
Am Kilometerstein einhundertachtzehn schaute plötzlich eine junge Frau zu mir herüber. Sie schenkte mir ein zartes Lächeln. Mir schien es, als wollte sie sagen: „Fahr’ du mich durchs Leben! Rette mich!“ Der Gefährte musste ihr Interesse bemerkt haben, denn fortan vermied er den Wagen auf Höhe zu halten. Mit seiner jämmerlichen Eifersucht war er zu spät. Ihr indes wünschte ich den Mut augenblicklich auszusteigen.
Ich riss mich selbst aus der Schieflage meiner Gedanken. Ich war mit mir selbst unversöhnt und hatte mich dabei ertappt, mein Problem zu einem der anderen zu machen. Menschen machten Dinge nicht besser oder schlechter, als ich sie tat. Sie taten sie anders. Ich blickte auf Eve. Sie trug ein weißes Top mit dünnen Trägern. Es war ihr Lieblingsshirt. Sie besaß es gleich mehrfach, in unterschiedlichen Färbungen, doch am liebsten trug sie es bauchnabelfrei in der Farbe der Unschuld. Sie lehnte ihren Kopf ans Seitenfenster und tat so, als schliefe sie. Schwermut beschlich mich. Ich liebte diese Frau, nur war das Glück in der Liebe immer woanders und sicher nicht mit mir. Ich spielte zu lange schon in meinen Taschen mit einer ganzen Hand voll Feuersteine. Noch schrecklicher nämlich war Funken schlagen zu wollen, aber keinen Vulkan vorzufinden. Ihr Kopf lag typischerweise nicht an meiner Schulter. Ihr Ausschnitt gab einen Blick auf ihre kleinen Brüste frei. Ein Schauer der Erregung durchfuhr meine Adern.
Ich sah sie auf mir sitzen, wie sie mit geschlossenen Augen auf mir herumwippte, und ihre Haare zusätzlich, wie zum doppelten Schutz, vorhangähnlich in ihrem Gesicht hingen. Sie krallte meine Unterarme. Sie zitterte. Sie schwitzte. Sie beugte sich vor, damit ich ihre Brüste küsste. Sie mochte diese Stellung. Sie genoss es. Doch eben nicht mehr. Danach ließ sie mich stets gewähren, fast so, als ginge sie der gemeinsame Flug ins Chaos des Eros nichts mehr an und ihre Rolle darin lag, die Unbeteiligte zu spielen. Eve konnte mich nicht beherrschen, und sie konnte sich mir nicht unterwerfen. Ihr diese Fehlbarkeit zuschreiben zu müssen, war eine schreckliche Qual und zugleich das Geheimnis, das ihre Schönheit verbarg.
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