Dr. Alexander Schalck-Golodkowski
Pragmatiker zwischen den Fronten
Eine politische Biographie
Alexander Schalck-Golokowski
Matthias Rathmer
Erstausgabe Münster 1995, DNB 948745975
Copyright: © 2015 Matthias Rathmer
Titelbild: nnb, alle Rechte gewährt
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-2995-2
Der größte Feind der Wahrheit ist oft nicht die Lüge, die bewusst ausgeheckte Unredlichkeit, sondern eine Wirklichkeitsblindheit, zu der beharrlich überredet wird.
John F. Kennedy
Romane des Autors erhältlich unter
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Vorwort 7
Einleitung 11
1. Der Sozialist – Aufstieg zum Parteifunktionär 18
Entwicklung in Kindheit und Jugend 18
Weichenstellungen und Freundschaften 25
Herausforderung Außenhandel 29
Genosse und Tschekist 39
2. Der Außenhändler – Devisen um jeden Preis 44
Vom Parteifunktionär zum KoKo-Manager 44
Subsystem – KoKo als kapitalistische Keimzelle 56
Sonderstatus – außerplanmäßige Devisengeschäfte 62
Innerdeutscher Handel – Deutsche unter sich 71
3. Der Staatsdiener – Macht und Ohnmacht 81
Staatsauftrag und Staatsräson 81
Systemgarant durch sozialistische Privilegienkultur 85
Defizite – KoKos volkswirtschaftliche Bedeutung 92
4. Der Offizier im besonderen Einsatz 103
Geheime Ost-West-Geschäfte – der Embargohandel 103
Waffen- und Geheimdienstgeschäfte 127
5. Der Staatssekretär – Unterhändler auf informeller Ebene 138
Mandat als Teil einer neuen Ostpolitik 139
Der Milliardenkredit 150 Auf dem Weg zur Vereinigung 165
6. Der Aussteiger – Legenden und Phänomene 174
Flucht in den Westen 174
Wendemanöver – Ausverkauf und Ermittlungen 190
Dissens – politische Verantwortung und juristische Relevanz 199
7. Der Pragmatiker – Rollenwahl und Persönlichkeit 211
Der sozialistische Kapitalist 211 Persönlichkeitsmerkmale 216
Anhang 227
Zitate/Anmerkungen 228
Abkürzungsverzeichnis 248
Quellen und Literatur 251
Als mit dem Mai 1995 diese politische Biographie in den Bibliotheken und Seminaren deutscher Universitäten zu lesen war, erreichte mich nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung das Schreiben einer angesehenen Anwaltskanzlei aus Süddeutschland. Mir war eine Unterlassungsverpflichtungserklärung zugestellt worden. Mit der Auflage, im Falle der Nichtbeachtung eine Millionenzahlung als Entschädigung zahlen zu müssen, sollte ich fortan nicht mehr behaupten dürfen, dass ein bestimmter, in dieser Darstellung angeführter, japanischer Konzern im Handel mit der DDR willentlich Embargovorschriften gebrochen hatte. Arg verwundert tat ich, wie ich noch heute tue, wenn mich Frechheiten wie diese belästigen. Ich kritzelte „Empfänger unbekannt verzogen“ auf den Umschlag und gab den Brief zurück in die Post.
Ein paar Monate später meldete sich ein angeblicher Journalist aus Bonn bei mir. Gegen eine Schutzgebühr von fünftausend Mark wollte er mein Exemplar des alternativen Berichts der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zum Schalck-Untersuchungsausschuss erwerben. Den hatten Mitglieder der Partei als Antwort auf den offiziellen Abschlussbericht verfasst. Weil sie in diesem Dokument vor allem Aktenmaterial verwendet hatten, dass von den zuständigen Behörden als „streng geheim“ deklariert worden war, hatte Rita Süssmuth in ihrer Eigenschaft als Bundestagspräsidentin alle bis dato veröffentlichen Exemplare wieder einsammeln lassen.
Dann und wann wurden in der Folge ein paar Wissenschaftler verschiedener Fakultäten vorstellig und drängten gleichfalls nach einer Kopie dieses Berichts. Andere Anfragen und Bemerkungen wurden mir, sie beinhalteten sowohl Lob wie auch Tadel für das Werk, über die zugestellt, die den Druck der Arbeit finanziert hatten. Zum Dank hatte ich eine kleine Widmung notiert. Mitunter gibt es bis zum heutigen Tag Rückmeldungen auf das Werk von einst, dann nämlich, wenn mein Name gegoogelt worden ist, und Wikipedia seine Darstellung über Alexander Schalck-Golodkowski öffnet, in der neben anderen Untersuchungen auch diese politische Biographie erwähnt wird. Als sei die Erwähnung eine Art Krönung für wissenschaftliche Arbeiten, wird von vielen wie selbstverständlich angenommen, dass auf dieser Plattform wie auch in den angeführten Werken unverrückbar Wahrheit geschrieben steht. Mit der Wahrheit und ihrer Findung über den Hauptakteur und seiner Begleiter aber ist es gerade in diesem Fall erst recht so eine Sache. Immer noch.
Alexander Schalck-Golodkowski war in der DDR Genosse, Außenhändler, Staatssekretär und Offizier im besonderen Einsatz der Staatssicherheit. Seine Abteilung Kommerzielle Koordinierung im ehemaligen SED-Regime erwirtschaftete Milliarden, mit zweifelhaften Methoden und mäßigem Erfolg. Als „Fanatiker der Verschwiegenheit“ machte er Schlagzeilen. Honeckers oberster Devisenbeschaffer geriet vom „Retter zum Sündenbock“, und die „Schalck-Connection“ kannte zahlreiche ranghohe Politiker und Wirtschaftsbosse aus dem Westen. Was er tat, tat er heimlich. Legenden und Phänomene ranken sich so bis heute um einen Mann, der als aufrechter Sozialist jenseits der Mauer zum Kapitaljäger mutierte. Die, die ihm dabei halfen, schweigen gleichfalls beharrlich. Aus guten Gründen.
Ross und Reiter zu nennen, die Verantwortlichen und deren Motive im Wirtschaftsgeflecht zwischen Ost- und Westdeutschland vor dem Hintergrund des einzigartigen Umfelds der deutschen Teilung zu demaskieren, war bereits damals ein zentrales Anliegen der Darstellung. Zwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung bleiben zwingende Fragen immer noch unbeantwortet, sind wesentliche Kapitel deutscher Vereinigungsgeschichte immer noch nicht geschrieben, ist die Wahrheit immer noch nicht heraus.
„Hallo, Herr Schäuble!“ drängt es mich mitunter, wenn ich verfolge, wie eifrig unser Finanzminister um eine europäische Einheit kämpft und dabei unaufhörlich eine Sparpolitik von allen Mitgliedsstaaten fordert, die einige, gerade im Süden des Kontinents, schon vor ihrem Beitritt zu leisten nicht in der Lage waren. „Wollen wir uns nicht doch noch einmal über Schalck und Ihre Beiträge im Filz und Sumpf um diesen Mann unterhalten? Über Ihre Vergesslichkeiten? Über Ihre Mitwirkung und Verantwortung als Kanzleramtsminister? Oder über den Ausverkauf der DDR?“ Nein. Wollen wir nicht, höre ich ihn harsch sagen und verstehe nur allzu gut, dass zu schweigen das Beste ist, was gerade er dazu sagen kann. Erinnern und erzählen sind seine Sache nicht.
Auch nicht, wenn es um Günther Krause geht, einem Wendehals aus der eigenen Partei, einem jener widerlichen Emporkömmlinge wirrer politischer Zeiten. Erinnern wir uns. Krause war parlamentarischer Staatssekretär des letzten Ministerpräsidenten der DDR. Zusammen mit Wolfgang Schäuble unterschrieb ausgerechnet er 1990 den deutsch-deutschen Einigungsvertrag, er, ein Mann, der zweifelhafter kaum sein konnte. Zweieinhalb Jahre später trat Krause als Verkehrsminister zurück. Die Affäre um den Verkauf der ostdeutschen Autobahnraststätten und die „Putzfrauenaffäre“ entzauberten ihn als eher einen um den eigenen Vorteil bemühten Ostdeutschen denn als integren Demokraten und machten ihn als Politiker unglaubwürdig. Wegen Untreue, Betrug und Steuerhinterziehung aufgrund von Bankrottdelikten und Insolvenzverschleppung wurde einer der beiden „Väter des Einheitsvertrages“ schließlich, als er sich, ohne alte Seilschaften bestens vernetzt, der Marktwirtschaft zu stellen versucht hatte, zusätzlich in den folgenden Jahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. „Ach, wie schade! Über Herrn Krause wollen Sie auch nicht mehr reden, Herr Schäuble! Wie wäre es dann mit Herrn Rohwedder oder Frau Breuel, den ehemaligen Präsidenten der Treuhandanstalt, Sie wissen schon, die, die den letzten Rest an Vermögen verschleudert haben, das, was von der DDR noch übrig war, als all die Schalcks und Krauses mit ihr fertig waren.“
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