„Lass’ uns doch einfach in aller Ruhe reden, wenn du wieder zurück bist,” meinte ich während ihres fünften Anrufs innerhalb der ersten sechs Tage. „Und genieß’ die Zeit!“
„Hast’ ja Recht! Pass’ auf dich, ja?“
Ein anderes Mal fragte sie mich fern aus jedem Zusammenhang, ob ich Lust auf sie hätte.
„Ich habe immer Lust auf dich,” entgegnete ich ihr.
„Wirklich? Und warum sagst du mir das dann nicht?“
Nicht mehr, dachte ich. Ich sagte es nicht mehr.
„Wir könnten Telefonsex probieren,” schlug sie vor, nahm aber von ihren Gelüsten wieder Abstand, als sie verinnerlicht hatte, dass das Gespräch teuer werden könnte, weil sie darin nicht geübt war.
Man musste nicht besonders schlau sein um zu erahnen, warum sich Eve vornehmlich nachts bei mir meldete. Ich stellte mir am anderen Ende der Leitung ihre riesigen Lauscher vor, die sie gespitzt hatte, um auf die Geräusche meiner Aufenthaltsorte zu achten, die Betrug verraten konnten. Nicht einmal das Motiv ihrer möglichen Eifersucht missfiel mir, sondern einzig der Umstand, dass sie sich immer noch sehr intensiv mit uns auseinandersetzte, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, dass es, so bitter das klang, ratsam war, Lebewohl zu sagen. Sie sollte uns trennen. Das war mein Plan. Sie sollte und durfte an mir nicht zerbrechen.
Ich hatte es nach längeren Verbindungen stets den Frauen überlassen, den Schlussakt zu gestalten. Folgten Trennungen gemeinhin nach dem Muster, dass Frauen in einer Partnerschaft gelitten hatten und Männer danach, hatte ich mich innerlich von meinen Gefährtinnen bereits getrennt, bevor der Vorhang gefallen war. Ließ ich sie offiziell das Urteil fällen, vermittelte ihnen ihre Initiative ein Gefühl der Stärke, denn nichts war unnötiger, als unter dem Abschiedsschmerz zu leiden. Manchmal kämpften Frauen wie Männer genauso lange mit dem Verlust ihres Partners, wie sie zusammen gewesen waren oder sogar länger. Das galt es unbedingt zu vermeiden. Eve sollte als Siegerin den Ring verlassen.
Ich indes hielt seit ein paar Wochen wieder Ausschau. Alle Sensoren waren aktiviert, der Einen von diesen Zehn der Hundert zu begegnen. Es wäre ein echter Glücksfall, wie zu bekümmern stand, doch mit altbekannten Kompromissen wollte ich mich vorerst nicht zufrieden geben. Waren Frauen nicht attraktiv genug, hatte ich meine Sinne in der Regel mit Alkohol betäubt und sie spätestens zwischen zwei und vier Uhr morgens mit der bewussten Aufgabe jeglichen Anstands auf Nimmerwiedersehen aus dem Bett geschmissen. Waren sie dienlich gebaut aber dumm, kamen sie für mehr als ein paar Nächte nicht in mein Leben. Waren sie zu neurotisch, weil sie zu sehr mit ihrer Selbstfindung zu kämpfen hatten, hatte ich sie wieder sich selbst überlassen, freilich erst, nachdem sie sich meiner Verspieltheit so lange hingegeben hatten, wie sie zu ertragen gewesen waren.
Die Zukunft mit Eve war mehr als fraglich geworden. Da war es ratsam, mit der Suche nach der vermutlichen Unwahrscheinlichkeit einer annähernd ähnlichen Begegnung keine Sekunde zu warten. Wer besessen war, litt. Und wer litt, schrie nach Erlösung.
Einer der größten Irrtümer der Menschen lag darin, miteinander intim zu sein, bevor man auch nur irgendetwas über den anderen wusste. Dennoch taten sie es. Stets schamloser. Man sah sich und ein paar Oberflächlichkeiten reichten aus, um sich gegenseitig spüren zu wollen, was im Fachjargon ficken hieß, das zu sagen aber durch und durch unweiblich war, obwohl eine gewisse Härte gerade den Frauen besonders gefiel. Sex war Magie. Was mehr bezauberte Männer an Frauen, wenn sie sie nicht sexuell begehrten? Was mehr als Sex zog Frauen zu Männern hin? Ich war, ging es um Paarungsrituale ohne echte Absichten, kein Held der Verführung. Das dauerte mir zu lange. Der wilde Trieb passte eher zu mir. Ihn zu verschleiern war die Kunst, durchzuhalten eine andere.
Ich war ein Mann. Ich war ein Jäger. Meine Lust passte so gar nicht zum Aussuchen von Regalwänden und Teppichböden, die sie bereits nach dem dritten Akt heimlich im Kopf hatte. Was die einen Artenschutz nannten, war für mich Narrenfreiheit. Vor allem aber hatte ich gelernt Liebeskummer zu ertragen. Nie wieder würde mir eine Frau das Herz herausreißen können und mich in diesen komatösen Zustand schicken, in dem ich über Wochen als Säufer in der Gosse lag, seichte Musik hörte und weinte. Zeit heilte Wunden, hieß es. Schneller ging es mit Menschen, wenn man mit ihnen spielen konnte. Und ich wusste um die Orte, an denen in Gleichgültigkeit abzutauchen besser war als zuzulassen sich im Leid zu gefallen, weil in diesem Schmerz alle Sinne geschärfter waren. Ich wusste, wo sie sich herumtrieben.
Axel löste an diesem Tag Andromeda ab. Die Bezeichnungen von Meteorologen entzogen sich mir jeglicher Logik. Männer brachten bei ihnen Stimmung. Vielleicht benannten sie die Tiefdruckgebiete deswegen mit Frauennamen, weil sie Metaphern für grundsätzliche Ungemütlichkeiten zu mögen schienen. Ich stellte sie mir vor, wie sie über ihren kurvenreichen Karten hingen, mürrisch nur wenig miteinander sprachen und als erste wussten, welch übles Wechselspiel der Naturgewalten uns allen häufig genug drohte. Immerhin. Ihre Vorhersage einer sonnenreichen Zeit traf zu, frohlockte ich und machte mich auf, um die Freude der Natur zu genießen, die in meiner Stadt einen Ausnahmezustand verursachte, mit dem nur die wenigsten kamen.
Wenn ich früher dachte, wer über das Wetter redete, war entweder alt oder hatte sonst nichts anderes zu erzählen, so musste ich dieses Urteil mit meinem Umzug nach Hamburg gehörig revidieren. Vor mehr als fünfzehn Jahren war ich ans Tor zur Welt gesiedelt. Seitdem kannte ich ihn, diesen grauen Dauerherbst, der nur für eine kurze Zeit von den Sommermonaten unterbrochen wurde, auf die alle Bewohner sehnsüchtig und gespannt warteten wie auf die Rückkehr eines geliebten Menschen. Da war mit Enttäuschungen immer zu rechnen. In dieser Stadt war das Klima stets ein Thema, denn packte ein kräftiges Hoch wie Axel die Leute beim Gemüt, waren mit dem Anflug eines Hauchs mediterraner Lebensgefühle ein paar Wochen lang Missmut und nordische Steifheit wie bestellt verflogen.
Man durfte dennoch nicht glauben, was die Augen sahen. Die Spaßgesellschaft tauchte nur für eine kurze Zeit in eine Art Karnevalstrunkenheit ein. Hinter ihren Maskeraden der guten Sommerlaune lebten die Menschen allenfalls wissentlicher den Unterschied zwischen Schein und Sein, wenn sie ihre Marotten überhaupt reflektierten. Das Schöne besaß für sie immer den konkreten Zweck, sich präsentieren zu wollen statt genießen zu können. Ich blickte durch die Runde. Mich amüsierte, allerlei Haut im Visier, ein anderer von mir sehr geschätzter Vorzug dieser Jahreszeit. Als Mann sah man sofort, woran man bei Frau war. Die sonst so üblichen Mogelpackungen blieben in den Schränken. Ich dachte an Eve, die sich aus anderen Gründen als solche entpuppt hatte und deswegen der Grund dafür war, warum bei mir die allgemeine Betäubung nicht wirkte. Noch nicht. Vor zehn Tagen hatte sie mich verlassen, wie ich mir täglich mehr eingeredet hatte.
Zuhauf waren sie gekommen. Wo es Licht gab, wo es warm war und wo es rummelte, versammelten sich die Großstädter nur allzu gern. Wo es nach Libido roch, erst recht. Sie streckten ihre müden Glieder auf Liegen aus, saßen in billigen Tuchstühlen oder hatten in den wuchtigen Holzsesseln Platz gefunden. Ein leichter Wind wehte die Geräusche der Hafenarbeiter herüber, Flussschiffe fuhren vorbei und Touristen bewunderten den Hafen. Bliesen Lüfte in Böen kräftiger, ließen Brisen den Schweiß auf entblößten Körpern wohltuend erkalten. Ein Gemisch aus Limonen und allerlei Körpercremes duftete wunderbar nach Beschwingtheit. Eine ganze Weile beobachtete ich Möwen, die einem Containerschiff am Heck stromaufwärts folgten. Dann und wann kam es vor, dass sie über das Areal flogen und auf die Gäste kackten. Während ich über dieses unflätige Benehmen grübelte, weil mir diese Viecher wie mit boshafter Absicht trainiert vorkamen, aber dennoch niemals die richtigen trafen, stockte ich. Ich hatte Mühe, meinen sonnenverklärten Blick schärfer zu ziehen.
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