Die Autorin
Hanan Al Obaidat, geboren 1974 in Bahrain, ist Lehrerin im Saarland für die Fächer Englisch und Evangelische Religion.
Hanan Al Obaidat
Für meine Mutter Brigitte und meinen Onkel Chris Ich danke herzlichst Holger Fritz, Anita Hassey, Uwe Henrichs, Christel Modrow, Andreas und Dorothee Schiffer sowie Werner und Andrea Heigermoser, die mich beim Schreiben ermutigend und helfend begleitet haben.
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Umschlagabbildung: Al Obaidat
1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-041014-5
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-041015-2
epub: ISBN 978-3-17-041016-9
Zusatzmaterial online:
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Es war im Herbst 1998 und ich war gerade dabei, das Haus meiner unlängst verstorbenen Großmutter, Wilhelmine Stopp, in St. Ingbert zu entrümpeln, als mir ein alter Koffer in die Hände fiel. Da er sich in einem tadellosen Zustand befand, stellte ich ihn kurzerhand auf die Straße, auf dass er einen neuen Besitzer finden möchte. Am folgenden Tag – ich war wieder im Keller bei der Arbeit – klingelte ein Mann an der Tür. Er hielt den alten Koffer in der Hand und erklärte, in dem Koffer befänden sich viele Briefe. Möglicherweise seien diese aus Versehen im Koffer verblieben und sollten nicht weggeworfen werden. Beim näheren Hinsehen entpuppte sich der Inhalt als ein wahrer Schatz: die Korrespondenz meines Großvaters mit meiner Großmutter während des zweiten Weltkrieges. Und so nahm der Mann den alten Koffer wieder mit und überließ mir die Briefe. In den folgenden Wochen vermochte ich 630 Briefe zu identifizieren und brachte sie in eine chronologische Reihenfolge. 1 1 Das gesamte Briefcorpus wird von der Autorin bei Bedarf der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Anfragen bitte an den Verlag. 2 Ertle, Heidemarie (Hrsg.): »Gestern war ein sehr schwerer Tag für uns hier in St. Ingbert.« Das Kriegstagebuch von Ruth Schier (St. Ingbert 2020). 3 Elss-Seringhaus, Cathrin: »Ein toter Vater wird zum späten Glück seiner Tochter.« In: Saarbrücker Zeitung vom 29.1.2021, S. B 4.
Die Briefe datieren in die Zeit von Dezember 1941 bis März 1945. Mein Großvater, Alfons Stopp, war Soldat in Russland und schrieb regelmäßig Briefe an seine Frau Wilhelmine, kurz Helmi. Seine Briefe sind erhalten, nicht jedoch die Antwortschreiben meiner Großmutter. Offenbar waren diese Briefe Helmi so wichtig, dass sie sie aufbewahrt hatte, freilich jedoch ohne dies jemals zu erwähnen. In einer Schublade einer ihrer Schränke fand ich noch weitere Briefe, die ihr wohl besonders am Herzen gelegen hatten. Dunkel erinnere ich mich, dass sie zu konkreten Anlässen, wie z. B. Alfons’ Todestag oder zu seinem Geburtstag, diese Briefe aus der Schublade herausnahm, aufmerksam las und wieder still zurücklegte. Wenn ich aber meine Großmutter darauf ansprach, erhielt ich stets nur kurze, ausweichende Antworten: »Die sind von meinem Mann … Er ist früh gestorben … Er hat mich sehr geliebt.« Immerhin erzählte sie mir, dass mein Großvater »verrückt auf Kinder war« und sehr viele haben wollte. Sie waren in diesem Punkt nicht (immer) einer Meinung. Zudem erfuhr ich, dass er ein ungemein intelligenter Mensch gewesen sei. Das war alles und mehr hatte sie mir nicht preisgegeben.
Meine Großmutter war eine zurückhaltende und schweigsame Frau. Sie gab vielfach knappe, manchmal sogar verletzende Antworten. Emotionale Nähe ertrug sie nur bedingt und reagierte darauf meist abweisend. Und dennoch war sie eine fürsorgliche Mutter und Großmutter. Erst nach der Lektüre der Briefe habe ich begriffen, dass sie emotional zerbrochen und durch die einschneidenden Ereignisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg überfordert, ja traumatisiert war. Ich habe einen tiefen Schmerz erkannt, der von Erlebnissen herrührte, die sie nie überwunden hatte. Nach dem frühen Tod meines Großvaters litt sie offenbar an Depressionen, beging zwei Selbstmordversuche. Sie wirkte oft lethargisch und erschöpft. Ihre Tätigkeiten beschränkten sich in dieser Zeit auf Fernsehen, Lesen und Stricken. Nachdem auch sie verstorben war, habe ich meine Oma Helmi genau so in Erinnerung behalten, sie gewissermaßen auf dieses Bild reduziert.
Als mir die Briefe durch so glückliche Umstände in die Hände fielen, begann ich jedoch zu recherchieren und habe so gelernt, dass viele Menschen über ihre traumatischen Erlebnisse im Zuge eines Krieges schweigen. Genauso beschreibt etwa eine Frau aus St. Ingbert im Saarland, Ruth Schier, in ihrem Kriegstagebuch, dass ihr Mann nach seiner Heimkehr aus dem Krieg, nichts von den Ereignissen und Erlebnissen erzählen oder hören wollte. Ihre Momentaufnahmen der letzten Kriegsmonate sind beispielhaft für die Gedanken und Gefühle vieler Frauen in dieser Zeit und haben mir sehr geholfen, meine Großmutter und ihr Verhalten besser zu verstehen. 2 2 Ertle, Heidemarie (Hrsg.): »Gestern war ein sehr schwerer Tag für uns hier in St. Ingbert.« Das Kriegstagebuch von Ruth Schier (St. Ingbert 2020). 3 Elss-Seringhaus, Cathrin: »Ein toter Vater wird zum späten Glück seiner Tochter.« In: Saarbrücker Zeitung vom 29.1.2021, S. B 4.
Die Reaktion meiner Großmutter war also nicht ungewöhnlich für die traumatisierte Kriegsgeneration. Selbst für die ungewöhnliche Geschichte der wiederaufgefundenen Briefe meines Großvaters findet sich Vergleichbares. So berichtet etwa Eva-Marie Scherer aus Püttlingen, dass sie gleichfalls einen Koffer mit Briefen von ihrem im Kriege verstorbenen Vater gefunden hat, deren Existenz ihre Mutter 62 Jahre lang verschwiegen hatte. 3 3 Elss-Seringhaus, Cathrin: »Ein toter Vater wird zum späten Glück seiner Tochter.« In: Saarbrücker Zeitung vom 29.1.2021, S. B 4.
Von meinem Onkel Christoph hatte ich erfahren, dass Alfons vor dem Krieg Kapuziner-Mönch werden wollte. Und so drängte sich bei der Lektüre der Briefe immer wieder die Frage auf, wie er seinen Glauben mit der Nazi-Ideologie vereinbaren konnte. Im Übrigen ist dies eine Frage, die ich auch seinen Zeitgenossen insgesamt stellen möchte.
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