Erzählte sie über sich, hörte ich ihr interessiert zu und urteilte in meinen Gedanken, weil sie wie kaum eine andere auch zwischen zwei Sätzen zu hören in der Lage war, welchen Gehalt das besaß, was ich nicht sagte. Reichlich fehlgeleitet lebte sie nach einer großen Enttäuschung in dem Widerspruch, als hoffnungslose Romantikerin auf der Suche nach der wahren Liebe zu sein, redete sich aber gleichzeitig ein, dass sie keinen Mann brauchte, um sich komplett zu fühlen. Sex war für sie die Logik der Liebe.
„Ist das so?“ fragte ich sie zurück. „Mir kommt es fast trügerisch vor. So wie die Aussagen, dass nur die Frauen für emotionale Reife, Zusammenhalt und Verständnis eintreten, sich viele in Wahrheit aber zu oft gegenseitig hassen.“
Es war lange Zeit aussichtslos sich ihr zu nähern. Nach ihrer gescheiterten Liebschaft hatte Eve für sich das Maß erhoben, nur noch sich selbst zu lieben. Ihre Ängste und Zweifel, die sie besaß, wenn sie sich einem Mann neuerlich öffnete, hatte sie in ihren Hutschachteln verschwinden lassen. Stattdessen war sie verbiestert auf Krawall gebürstet.
„Wenn sich Frauen auf sich selbst beschränken, kommen Lesben, Magersucht, Bulimie oder wöchentliche Therapiesitzungen dabei heraus,” hatte ich sie reizen wollen, als ihre Freundin sie in Hamburg besucht hatte und wir im Quartett gemeinsam Salat in sündhaft teurem Ambiente essen gewesen waren.
„Ich jedenfalls habe mich entschieden. Die Männer sind doch alle gleich,” rechnete sie erstaunlich nüchtern ab. „Sie werden einzig von ihrem Trieb dominiert. Und ich habe mir vorgenommen, ihren Motor nie wieder in den Mund zu nehmen.“ Sie wusste sofort um die Unmöglichkeit ihrer Aussage, als sie zaghaft mit Koketterie zu korrigieren versuchte. „Na ja! Vorerst jedenfalls.“
Ihre Einschränkung hatte zur allgemeinen Belustigung beigetragen, was nichts anderes bedeutete, dass drei Frauen bei Tisch reichlich albern gekichert hatten, obgleich sie heimlich von der eigenen, so himmlisch zarten und mannhaft zügellosen Verführung träumten, für die einfallsreiche und ausdauernde Fellatorinnen durchaus eine taugliche Stimulans waren. Frauen wie Eve neigten dazu, auch über das zu lachen, was sie nicht wirklich amüsierte, vor allem, wenn sie sich in der Gesellschaft ihrer vermeintlich verlässlichsten Verbündeten befanden.
Wir hatten uns ins Dresden kennen gelernt. Dann und wann waren wir in Berlin und Hamburg zusammen unterwegs gewesen, ohne uns gegenüberzustellen, dem anderen in die Hose zu schauen, um erfreut festzustellen, dass es Unterschiede gab. Eve war stets unnahbar geblieben. Ich spürte ihre Unfähigkeit einen anderen in ihr Leben zu lassen. Sie befürchtete wohl, alles könnte noch komplizierter werden.
„Warum redest du so wenig über dich?” fragte sie mich gleich am ersten Abend, als wir uns über den Weg gelaufen waren und ungewollt über die Unmöglichkeiten ihres verkoksten Freundes hatten sprechen müssen, der für mich der Antichrist jeden menschlichen Zusammenseins war.
Ich stellte sie mir vor, wie sie allein da lag, in ihrem Bett, unter ihren paranoiden Einsichten litt, masturbierte und sich schließlich frustriert auf die Seite warf. „Ich kenne dich kaum. Ich bin mir noch unsicher, ob es gut aufgehoben ist, wenn ich von mir berichte.“ Ich hatte ihr augenblicklich angesehen, wie unzureichend meine Antwort für sie war.
„Genau diesen Widerspruch meine ich. Frauen suchen den Tiefgang und Männer bauen Mauern auf. Der nächste Mann, in den ich mich verliebe, hat diesen Selbstschutz nicht mehr nötig.“
Bis wir schwitzend und keuchend nebeneinander gelegen hatten, verging seit der ersten Begegnung fast ein halbes Jahr. In dieser Zeit hörte ich die komplette Klaviatur einer unsicheren Frau, deren Souveränität ein Opfer ihrer Ängste geworden war, die es seit der Zeit, als sie zur Frau greift war, hinter einem ständigen Strahlen zu verbergen galt.
Ihre Zusammenfassung vom ewigen Unverständnis zwischen den Geschlechtern hätte mich warnen müssen. „Frauen sind einfach nachdenklicher. Aber dafür auch emotionaler, schwankender und deswegen neurotischer. Tief in ihrer Seele sind sie Jungfrauhuren. Deswegen sind sie ja auch komplexer. Männer sind ausschließlich Huren.“
Eve drehte sich zu mir herum. Sie strampelte die Decke zur Seite, so wie sie das immer tat, im Sommer. Ihr makellos schöner Körper lag in ganzer Pracht vor mir. Sie trug Unterwäsche aus Seide, was in mir, je länger ich sie anschaute, erotische Fantasien auslöste. Ich sah sie, wie sie in der Umkleidekabine stand, sich selbst bespiegelnd, ob Höschen und Top dem nutzten, wessen es Reizwäsche gab und dabei an mich dachte. Ich legte meinen Kopf auf ihr Becken, da drehte sie sich ruckartig auf die andere Seite.
„Ich mag nicht. Jetzt nicht. Später, ja?” flüsterte sie mir im Halbschlaf entgegen, doch ich wusste, dass später nur die Vertröstung auf nie mehr war. Wer wohl würde sie als nächster haben, fragte ich mich und verfluchte einen Unbekannten, der ich selbst hätte sein können. Ich setzte mich auf die Bettkante und entzog mir jede Begierde selbst. Eves Kopf zu lieben, ihren Geist zu verführen, war mir wieder einmal nicht gelungen. Ich hatte versagt. Erneut vernahm ich sie plötzlich auf einer Party reden.
„Nimmt sich zum Beispiel eine Frau einen Typen auf einer Party zur Brust und vögelt mit ihm, ist sie eine Hure. Nimmt sich dagegen ein Mann eine Frau auf der gleichen Party in gleicher Nacht, ist er ein Held und wird beklatscht.“
Wieder klirrten Eiswürfel. Wieder blickte ich auf ihren süßen Hintern. Und wieder hörte ich sie mit ihrer Freundin schwatzen.
„Für Männer ist jeder Sex guter Sex. Sie sind so erzogen worden. Zu erobern. Für eine Frau ist Sex gesund, wenn sich der Mann danach in sie verliebt.“
Ich erinnerte mich. Ich stand neben ihr. Entsetzt nahezu.
„Frauen fragen nach den Müttern von Männern, weil Liebhaber die Verlängerung zu den Eltern des Mannes sind. Es sagt viel über die emotionale Kompetenz von Männern aus, wenn sie ein gutes Verhältnis zu ihren Müttern haben.“
Damals schon, in unseren Anfängen, ahnte ich, wie schwer es werden würde, diesen Menschen bisweilen so zu fordern, dass er dadurch vielleicht eher zu sich selbst fand. Ich hätte es lassen sollen. Ich hätte sie einem anderen lassen sollen. Ich konnte es nicht. Mit dem ersten Blick war ich ihr verfallen. Meine ständige Eifersucht und die fortwährende Angst sie zu verlieren, hatten nun mein Selbstbewusstsein derart schrumpfen lassen, dass ich mir einredete, wie sehr uns Abstand gut tat. Ich wusste nicht mehr, was, wann, ob und wo etwas mit uns geschehen sollte. Dieser Zustand beschrieb gemeinhin keine Zukunft zu haben.
Am nächsten Tag brachte ich sie zum Bahnhof. Natürlich hatten wir zuvor keinen Sex. Eve hatte so wenig nach Lust gerochen und ich hatte den stechenden Schmerz einer neuerlichen Zurückweisung vermieden. Stundenlang hatte ich mir in stattdessen anhören dürfen, wie zeitraubend und unnötig unser kleiner Wochenendtrip zu meiner Familie gewesen war, weil ich ihr den Sonntag genommen hatte, den Tag sich überlegen zu können, was sie mitnahm und was getrost zurückbleiben durfte. Am Mittwoch flog sie für sechs Wochen nach Australien, in ihre Heimat. Sie flog immer in ihre Heimat zurück, wenn sie sich besinnen wollte. Zum dritten Mal bereits. Ihre Tränen und Küsse am Bahnsteig irritierten mich. Vielleicht kehrte sie nie mehr zurück, dachte ich und rüstete mich ganz allmählich für meinen neuerlichen Kreuzzug, der von Ekstase umsäumt werden würde, um den Schmerz zu betäuben. Der Verlust von Liebe war wieder einmal wie auf Schienen gesetzt und nicht mehr aufzuhalten.
„Und? Wie war dein Tag so?“
„Ging so! Und deiner?“ gähnte ich fragend zurück.
„Ging so!“ Eve war keine Frau vieler Worte. Eve war eine Frau unendlich vieler Gedanken. Den Flug und die ersten Tage der Eingewöhnung hatte sie überstanden. Sie wohnte bei ihrer Freundin Pam, die ich im Hintergrund lachen hörte. Es war halb fünf morgens, was Eve jedoch so gar nicht interessierte. Wollte sie etwas, nahm sie es sich. Es sei denn, wir waren intim.
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