Bsp.:Rettungssanitäter T kündigt dem verletzten O an, nur zu helfen, falls er verspreche, ihm eine Karte für die Fußball-WM zu beschaffen. – Da T zur Hilfeleistung verpflichtet ist, läge auch nach dieser Ansicht eine Drohung mit einem empfindlichen Übel und damit eine Nötigung vor. Die Rechtsprechung würde diesen Aspekt erst bei der Verwerflichkeitsprüfung berücksichtigen. Weil O ein Recht auf Hilfeleistung besitzt, würde die Übelszufügung seinen Freiheitsbereich einschränken, so dass die Tat als verwerflich zu qualifizieren wäre. Ginge es dem T zudem darum, die Karte auf Kosten des O zu erlangen, käme eine Erpressung nach § 253 in Betracht.
Gegen diese Ansicht, die auf eine Pflicht zum Handeln abstellt, spricht jedoch, dass sie den Tatbestand zu sehr einschränkt und zudem beim Begehungsdelikt auf Kriterien des Unterlassungsdelikts abstellt. Auch hängt nach dieser Auffassung die Strafbarkeit oft nur von der (zufälligen) Formulierung des Täters ab. Die Ankündigung, künftig keinen Unterhalt mehr zu zahlen, wäre die Drohung mit einem Unterlassen, die Ankündigung, den Dauerauftrag für den Unterhalt zu widerrufen, hingegen die Drohung mit einem positiven Tun. Von solchen Zufälligkeiten die Voraussetzungen einer Strafbarkeit abhängig zu machen, wäre jedoch wenig überzeugend, da für das Opfer der Motivationsdruck jeweils derselbe ist.
312 (2)Kündigt der Täter an, eine rechtswidrige Handlungnicht vorzunehmen, so liegt keine Drohung vor. Das Opfer muss von Rechts wegen in besonnener Selbstbehauptung dem Druckmittel standhalten, da es nicht die Vornahme einer rechtswidrigen Handlung verlangen kann 627.
Bsp. (1):T droht der O damit, die versprochenen Betäubungsmittel nicht zu liefern, wenn sie nicht mit ihm schlafe. – Eine Strafbarkeit des T gem. § 240 scheidet aus, weil er sich gerade rechtmäßig verhalten würde, wenn er seine Drohung realisiert.
Bsp. (2):Staatsanwalt T kündigt gegenüber seinem Parteifreund O an, diesen nicht über ein gegen ihn gerichtetes Strafverfahren zu unterrichten, wenn O ihm nicht einen Posten in der Partei verschafft. – Auch hier scheidet eine Strafbarkeit aus.
313 c) Nötigungserfolg.Der Nötigungserfolg – in Form einer Handlung, Duldung oder Unterlassung – muss tatsächlich eintreten und kausal sowie objektiv zurechenbar mit der Nötigungshandlung verknüpft sein. Das Delikt ist vollendet, sobald das Opfer mit dem angestrebten Tun, Dulden oder Unterlassen beginnt. Lediglich vorbereitende Tätigkeiten genügen nicht; hier kommt nur ein Versuch in Betracht. Ferner ist zu beachten, dass die Nötigungshandlung vom Nötigungserfolg zu trennen ist und die angestrebte Handlung seitens des Opfers vorgenommen sein oder zumindest ihre Ausführung begonnen haben muss 628.
Bsp.:T schlägt den O mit der Faust. – T verwirklicht nur § 223 Abs. 1 Var. 1, nicht aber § 240. Der Faustschlag ist zwar als Gewalt einzustufen, jedoch führt dieser nicht zu einem davon zu trennenden Nötigungserfolg; die bloße Duldung des Faustschlags genügt gerade nicht.
Klausurhinweis:Das Erfordernis des Eintritts des Nötigungserfolgs wird in Prüfungsarbeiten häufig übersehen oder vorschnell bejaht.
314Unter Handlungist jedes positive Tun zu verstehen, während Unterlassendie Nichtvornahme einer (möglichen) Handlung meint. Beide Varianten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein willensgetragenes Verhalten des Opfers voraussetzen, so dass bei Gewaltanwendung als Nötigungsmittel nur vis compulsiva in Betracht kommt 629. Das Merkmal Duldenerfasst hingegen Fälle der vis absoluta, bei der die Willensentschließung vollständig aufgehoben ist und das Opfer ohne eigene Entscheidungsmöglichkeit das Verhalten des Täters hinnimmt.
Bspe.:T schlägt den O, um ein Geschäftsgeheimnis zu erlangen. – Verrät O dieses, so besteht der Nötigungserfolg in einer willensgetragenen Handlung. Verzichtet O auf Gegenwehr und nimmt hin, dass T das Geheimnis aufzeichnet, so liegt ein willensgetragenes Unterlassen vor. Wird O von T bewusstlos geschlagen, damit dieser das niedergeschriebene Geheimnis wegnehmen kann, so ist ein Dulden anzunehmen.
315Der Nötigungserfolg kann auch bei einer anderen Personals derjenigen eintreten, gegen die sich die Gewalt oder Drohung richtet, sog. Dreiecksnötigung. Das gegen den Dritten eingesetzte Nötigungsmittel muss in solchen Fällen aber geeignet sein, den Willen des Nötigungsadressaten zu beugen, weil dieser die Gewalt oder Drohung gegenüber dem Dritten auch für sich selbst als Übel empfindet. Daher kann auch die Androhung einer Selbsttötung durch den Täter tatbestandsmäßig sein 630. Auf ein besonderes Näheverhältnis kommt es – argumentum e contrario § 241 Abs. 2 („nahe stehende Person“) – nicht an.
Bsp.:Gewalt gegen Kinder, um bei den Eltern einen Nötigungserfolg zu erzielen.
316Unbestritten ist zunächst, dass für die Annahme von Vorsatz dolus eventualis hinsichtlich der Nötigungshandlung ausreichend ist. Streitig ist hingegen, ob bezüglich des Nötigungserfolges Absichtzu fordern ist.
Bsp.:T schlägt den O aus Frust; dabei nimmt er billigend in Kauf, dass O ihm ein Geheimnis verrät.
317Die überwiegende Meinung lässt insoweit dolus eventualis genügen 631. Die sich im Vordringen befindende Gegenauffassung schließt aus dem Merkmal „zu dem angestrebten Zweck“ in § 240 Abs. 2 hingegen, dass der Nötigungserfolg beabsichtigt sein muss 632. Hierfür spricht zudem, dass bei der Gewalt diese schon nach ihrer Definition (final) zur Überwindung von Widerstand eingesetzt werden muss 633. Es genügt allerdings nach allgemeinen Grundsätzen, wenn der Nötigungserfolg Zwischenziel einer weiterreichenden Absicht ist.
Bsp.: 634T setzt mit seinem Wagen zum Überholen des Motorradfahrers O an, obwohl er erkennt, dass sich bereits nach 20 m die Fahrbahn verengt. Kurz vor der Engstelle zieht T, anstatt zu bremsen, scharf nach rechts, so dass O gezwungen ist, erheblich abzubremsen, um einen Unfall zu vermeiden. – Bei T liegt eine hinreichende Kraftentfaltung mit körperlicher Zwangswirkung beim Opfer vor, die zu einem Nötigungserfolg (Ausweichmanöver) geführt hat. Bei Behinderungen im Straßenverkehr muss richtigerweise das Ausbremsen, Abdrängen usw. Ziel der Einwirkung sein 635; jedoch genügt es, wenn der angestrebte Erfolg ein Zwischenziel ist. Würde man nur auf das Endziel – wie etwa „schneller voranzukommen“ – abstellen, wäre § 240 in den typischen Fällen des Drängelns usw. weitgehend unanwendbar. Im Ergebnis kommt es daher auf die Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 an, die hier freilich bejaht werden kann 636.
318 a) Rechtfertigungsgründe.Greift bereits ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund ein, so erübrigt sich die Verwerflichkeitsprüfung nach Abs. 2, da ein von der Rechtsordnung erlaubtes Verhalten nicht als verwerflich qualifiziert werden kann 637.
319 b) Verwerflichkeitsklausel des Abs. 2.Diese begrenzt die Strafbarkeit des (zu) weit gefassten Nötigungstatbestands, um Handlungen, die nicht strafwürdig sind, von der Pönalisierung auszunehmen und den Freiheitsbereich des Handelnden nicht zu sehr zu beschränken. Dogmatisch wird dieses Korrektiv überwiegend auf Rechtswidrigkeitsebene geprüft 638. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich demnach nicht bereits aus dem Fehlen von Rechtfertigungsgründen. Sie wird nicht einmal bei Anwendung von Gewalt vom Tatbestand „indiziert“ 639. Vielmehr muss sie positiv durch ein Verwerflichkeitsurteil festgestellt werden. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Verwerflichkeitsklausel ihrerseits recht unscharf gefasst ist.
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