Bsp.: 608Das Aushängen der Fenster im Winter durch den Vermieter verwirklicht daher § 240, wenn der Mieter dadurch aus der Wohnung vertrieben wird, dass er die Kälte spürt. Das bloße Ausräumen von Gegenständen aus der Wohnung genügt mangels körperlicher Zwangswirkung hingegen nicht 609. Ebenso stellt es keine Gewalt dar, wenn der Täter seiner Freundin persönliche Sachen wegnimmt, um diese dazu zu bewegen, ihn nicht zu verlassen.
303a ee)Gewalt kann auch durch Unterlassengeübt werden, soweit der Täter eine Garantenstellung besitzt. Zu denken ist zunächst an Fälle, in denen der Obhutsgarant die Gewaltausübung eines Dritten nicht hindert – etwa der Vater nicht einschreitet, wenn sein Kind geschlagen wird. Erfasst werden können aber auch Fälle, in denen der Garant eine Zwangswirkung unvorsätzlich herbeigeführt hat und diese anschließend bewusst aufrechterhält, um das Opfer zu nötigen 610.
Bsp.:T hat seinen Mitbewohner O versehentlich im Keller eingesperrt; als er dies bemerkt, beschließt er, dies auszunutzen und verlangt für die Freilassung von O, dass dieser künftig den Putzdienst übernimmt.
304 b) Drohung.Die Drohung mit einem empfindlichen Übel kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Sie bezieht sich auf ein künftiges Übel, während gegenwärtige Übelszufügungen über das Merkmal der Gewalt erfasst werden. Das Vorhalten einer Waffe ist daher richtigerweise eine Drohung und keine Gewalt 611.
Definition
Drohungbedeutet das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Verwirklichung der Täter Einfluss zu haben vorgibt, um einen bestimmten Nötigungserfolg zu erreichen 612.
305Auf die Ernstlichkeit der Drohung, d. h. ob der Täter überhaupt willens ist, seine Drohung wahr zu machen, kommt es nicht an. Ebenso ist es unerheblich, ob er tatsächlich in der Lage ist, das angekündigte Übel herbeizuführen. Entscheidend ist allein die Opfersicht.
Bsp.:Drohung mit einer Spielzeugpistole; entscheidend ist letztlich, ob das Opfer die Drohung ernst nimmt 613.
306 aa)Unter einem Übelist jeder Nachteil für das Nötigungsopfer zu verstehen. Empfindlichist das angekündigte Übel, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil bei objektiver Betrachtung unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Opfers von solcher Erheblichkeit ist, dass nicht erwartet werden kann, dass das Opfer der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält 614, wobei letztlich umstritten ist, ob dabei auf einen Durchschnittsmenschen 615oder auf die Sicht des individuell Bedrohten abzustellen ist 616.
Bsp. (1):T kündigt über das Internet an, dass er seinen Hasen schlachten werde, wenn er nicht eine bestimmte Anzahl von Unterstützern für ein Projekt finde. Tierfreund O unterstützt daraufhin das Projekt. – Sieht man in der Drohung, den Hasen zu schlachten, ein Übel auch für O, so ist dieses jedenfalls nicht empfindlich, da hier eine besonnene Selbstbehauptung zu verlangen ist.
Bsp. (2):T droht dem O mit einer Strafanzeige, um diesen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. – In diesem Fall ist zwar die Drohung mit einem empfindlichen Übel zu bejahen, im Einzelfall kann jedoch die Verwerflichkeit i. S. d. Absatz 2 zu verneinen sein 617.
307 bb)Die Drohung ist von der straflosen Warnungabzugrenzen, bei der lediglich auf eine außerhalb des Einflusses des Warnenden liegende Folge hingewiesen wird 618. Entscheidend für die Abgrenzung ist der Inhalt, nicht der Wortlaut, da sich die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns ansonsten leicht durch bloße Umformulierungen umgehen ließe. Eine Warnung ist lediglich unter den Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 strafbar 619.
Bsp.:Eine Drohung liegt vor, wenn der Täter ankündigt, er werde die Polizei verständigen, wenn das Opfer nicht verschwinde; eine bloße tatbestandslose Warnung ist hingegen gegeben, wenn der Täter darauf hinweist, dass es besser sei, zu verschwinden, weil die Polizei jederzeit auftauchen könne.
308 cc)Unter welchen Voraussetzungen die Ankündigung eines Unterlassens(durch positives Tun!) als Drohung i. S. d. § 240 angesehen werden kann, ist umstritten. Vor allem ist problematisch, ob die Drohung mit einem Unterlassen nur dann den Tatbestand verwirklicht, wenn eine entsprechende Pflicht zum Handeln besteht.
Beachte:Die Drohung mit einem Unterlassen darf nicht mit der Drohung durch Unterlassen i. S. d. § 13 verwechselt werden. Bei der aktiven Drohung mit einem Unterlassen besteht lediglich der Inhalt der Drohung in der Ankündigung, nicht zu handeln.
309 (1)Dabei geht es primär um Fälle, in denen der Täter ankündigt, rechtmäßige Handlungennicht vorzunehmen, so dass das Übel – abhängig von seinem Willen – nicht eintritt. Der BGH bejaht in solchen Fällen eine Drohung mit dem Argument, es komme für den Motivationsdruck beim Opfer nicht darauf an, was der Täter tun oder unterlassen dürfe, sondern welches Übel als Folge seines Verhaltens eintreten werde 620. Entscheidend sei letztlich, ob der Einsatz dieses Mittels zur Erreichung des erstrebten Zwecks verwerflich sei. Der Schwerpunkt der Prüfung wird damit freilich in die unbestimmte Verwerflichkeitsklausel nach Abs. 2 verschoben. Dabei ist dann die Frage zu beantworten, ob der Täter durch die Ankündigung des Unterlassens möglicherweise sogar den Handlungsspielraum des Bedrohten erweitert und damit eine Beeinträchtigung der Entschlussfreiheit i. S. d. § 240 gar nicht vorliegt. Entgeht dem Opfer im Falle der Weigerung nur ein Vorteil, ist damit aber keine Verschlechterung seiner Situation verbunden, so ist die Tat nicht als verwerflich zu qualifizieren 621.
Bsp. (1):T kündigt gegenüber Schauspielerin O an (aktive Drohung), dass sie die begehrte Rolle nicht bekomme (Ankündigung eines Unterlassens), wenn sie nicht mit ihm die Nacht verbringe (erstrebter Nötigungserfolg). – Es liegt nach Auffassung der Rechtsprechung zwar eine Drohung vor; die Tat ist jedoch nicht verwerflich i. S. d. Abs. 2, da mit der Ankündigung nur eine Verbesserung der Situation verbunden ist. Anders läge der Fall aber, wenn O bereits eine Zusage über die Rolle erhalten hätte und T damit droht, die Besetzung nun doch nicht vorzunehmen (Verschlechterung der Situation) 622.
Bsp. (2): 623Unternehmer U teilt dem Lieferanten O mit, dass er nur dann einen Vertrag mit ihm schließe, wenn dieser ihm auch Auskünfte über einen Konkurrenten mitteile; O gibt daraufhin nach. – Der Fall liegt nicht anders als in Bsp. 1.
310Die Verwerflichkeit ist hingegen zu bejahen, wenn der Freiheitsbereich des Opfers durch den Eintritt eines Nachteilseingeschränkt wird 624.
Bsp.:Kaufhausdetektiv T sagt der Ladendiebin O, dass er von einer Strafanzeige absehe (Unterlassen einer rechtmäßigen Handlung), wenn sie mit ihm schlafe (erstrebter Nötigungserfolg). – Beugt sich O dem T nicht, erleidet sie einen Nachteil; die Tat ist daher als verwerflich zu qualifizieren.
311Nach der Gegenauffassungist der Tatbestand des § 240 hingegen überhaupt nur verwirklicht, wenn den Täter eine Pflicht zum Handelntrifft und er daher im Falle des Unterlassens gegen diese Pflicht verstoßen würde 625. Anderenfalls biete der Täter lediglich einen Vorteil an, über dessen Annahme das Opfer freiverantwortlich entscheiden könne 626. Die Pflicht zum Handeln muss dabei allerdings nicht zwingend die Qualität einer Garantenpflicht im Sinne eines unechten Unterlassungsdelikts haben.
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