»Der Typ scheint Ihnen ja sehr sympathisch zu sein.« Oda verzog spöttisch den Mund. »Na, zwei Neulinge in einer Stadt, da rückt man wohl automatisch gegen die Front der Einheimischen zusammen.«
Christine Cordes lachte auf. »Ist es wirklich so schlimm hier? Das kann ich kaum glauben.« Das Gespräch mit dem Journalisten schien ihr gutgetan zu haben. In diesem Moment war sie Oda beinahe sympathisch. Gemeinsam gingen sie ins Büro zurück, wo Christine Cordes nur eben ihren Block auf den Schreibtisch legte und wieder hinauslief.
»Ich stelle schnell noch die benutzten Tassen in die Geschirrspülmaschine«, sagte sie erklärend beim Rausgehen. »Nicht dass man mir noch vorwirft, ich lasse hinter mir herräumen.« Dabei schmunzelte sie.
Als Christine Cordes wieder an ihrem Schreibtisch saß, fragte sie: »Ist eigentlich der Obduktionsbefund aus Oldenburg inzwischen da?«
»Nein, aber Krüger hat zu Siebelt gesagt, wir können heute Nachmittag mit dem Ergebnis rechnen.«
»Gut. Dann rufe ich bei dem Kuratoriumsvorstand an, diesem Diersen, bevor ich gleich zu Tisch gehe. Wir sollten nachher unbedingt noch mit ihm sprechen.«
»Das habe ich bereits getan«, erwiderte Oda mit leichtem Spott in der Stimme. »Diersen hat um halb zwei Zeit für uns. Bin gespannt, was er über den Stress erzählt, den er mit Beenke hatte.«
***
Henner Diersens Sekretärin empfing sie im eleganten, mit Kirschbaum-Inventar und blauem Veloursteppich ausgestatteten Empfangsbereich der Kanzlei. Ein angenehm würziger Geruch lag in der Luft. Die Brünette stöckelte auf Stilettos durch einen mit weißer Glasfaser tapezierten Flur und ließ sie in ein Büro eintreten, dessen Großzügigkeit Christine neidisch machte. Wenn sie da an ihr eigenes beziehungsweise an das dachte, das sie sich mit Oda Wagner teilen musste …
Dieses schätzte sie auf mindestens dreißig Quadratmeter. Ein riesiger Schreibtisch bildete das Zentrum, zwei elegante Sessel standen davor. Über einem Sideboard an der linken Wand hing ein Ölgemälde mit Segelschiffen auf aufgewühlter See. Die rechte Wand wurde ebenso wie die dem Flur zugewandte Seite von Einbauschränken und Regalen voller Aktenordner ausgefüllt. Überflüssiger Schnickschnack fehlte, der Raum strahlte männliche Dominanz und Nüchternheit aus.
Der dunkelhaarige Mann hinter dem Schreibtisch überraschte Christine. Sie hatte damit gerechnet, dass der Kuratoriumsvorsitzende im gleichen Alter wie Dr. Beenke sein würde, sah sich jedoch einem Mann gegenüber, der die vierzig vielleicht gerade überschritten hatte.
»Wie schön, dass Sie es ermöglichen konnten, sich nach meinem Terminplan zu richten.« Diersen kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Damit haben Sie mir sehr geholfen.« Er schüttelte Oda Wagner und Christine die Hand. »Denn so kurzfristig den Mandantentermin zu verlegen, wäre schwierig gewesen.«
Christine und Oda Wagner hatten ihre Mittagspause gekürzt, da Diersens Sekretärin am Telefon erklärt hatte, es sei für ihren Chef unmöglich, einen wichtigen Termin zu verschieben. Anwälte, hatte sie gedacht. Halten sich immer für etwas Besonderes. Nur mein Frank nicht.
Diersen deutete auf die beiden Schwingsessel vor seinem Schreibtisch und setzte sich wieder dahinter.
»Kein Problem. Die Kripo kann flexibel sein.« Christine lehnte sich entspannt zurück. »Und wir hoffen, dass Sie jetzt auch uns helfen können.«
»Bestimmt wissen Sie bereits, dass Dr. Beenke heute früh tot im Museum aufgefunden wurde?«, fragte Oda Wagner.
Diersen nickte betrübt. »Ja. So was verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Grauenhaft. Wer kann das nur getan haben?«
Christine sah ihr Gegenüber unverbindlich an. »Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen. Aber vielleicht waren Sie es ja und möchten nun ein umfassendes Geständnis ablegen?« Sie lächelte bei diesen Worten.
Diersen lachte kurz auf. »Geständnis? Ich? Warum sollte ich Beenke töten?«
»Wer weiß? Wir hörten, es gab Unstimmigkeiten. Oder sollten wir es Hahnenkämpfe um die Herrschaft über das Museum nennen?«
»Ach, hören Sie auf.« Diersens Nonchalance verschwand. »Natürlich gab es dann und wann Unstimmigkeiten zwischen der Museumsleitung und dem Kuratorium. So etwas gibt es überall und jeden Tag. Aber werden deshalb gleich alle Museumsdirektoren oder Kuratoriumsmitglieder umgebracht? Nein.« Er hob die Hände wie ein Priester beim Segen. »Ich gebe zu, Dr. Beenke und ich standen uns nicht sonderlich nahe. Wir schätzten uns, was das Fachliche anging, aber darüber hinaus verband uns nichts. Natürlich trafen wir uns oft auf den gleichen Veranstaltungen, das ist nun mal so in Wilhelmshaven. Man trifft sich, das ist unausweichlich. Aber auch nicht schlimm. Es ist das Schöne an dieser Stadt, dass sie so intim ist. Wissen Sie, ein guter Freund von mir hält sich mehrere Monate im Jahr in Ascona auf. Anfangs hat er es genossen, quasi inkognito zu sein. Inzwischen vermisst er die zufälligen Treffen, die zu Gesprächen oder einem kurzen Kaffeehausbesuch führen. Er ist sich des Wertes einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt, jetzt sehr bewusst.«
»Jeder jeden? Ich denke, da gibt es sicher nur gewisse Kreise, in denen man sich kennt.« Typisch Oda Wagner, dachte Christine. War ja irgendwie klar, dass die bei einer solchen Aussage gleich dagegen anwetterte.
»Nun ja, ich kann eben nur von den Kreisen ausgehen, in denen ich mich bewege.«
Arroganter Schnösel, dachte nun auch Christine, behielt ihre Meinung jedoch für sich. »Kommen wir zurück zum Thema«, bat sie. »Gab es in letzter Zeit besonders heftige Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Dr. Beenke?«
»Nicht mehr als die üblichen«, antwortete Diersen. »Es gab jedes Mal ein gewaltiges Hin und Her vor neuen Ausstellungen. Beenke wollte grundsätzlich mehr Geld, als im Etat vorgesehen war. Dabei stehen auch uns nur begrenzte Mittel zur Verfügung.« Er lächelte süffisant. »Wir können nicht so mit unserem Geld aasen wie der Staat.«
Christine ignorierte die Spitze. »Gab es denn für die geplante Ausstellung ›Kirche, Kunst und Küste‹ ungewöhnlich hohe finanzielle Forderungen vonseiten Dr. Beenkes?«
»In der Tat.« Diersen legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Dr. Beenke wollte in diesem Fall den Etat um einiges überziehen. Selbstverständlich kam es deswegen zu Differenzen.«
»Und diese Differenzen führten gestern zu einer tödlichen Auseinandersetzung.« Oda Wagner mischte sich ein. Sie fragte nicht, sie stellte fest.
»Wie bitte?«
»Immerhin waren Sie der Letzte, der Dr. Beenke lebend gesehen hat. Sieht so aus, als seien Sie derzeit unser Hauptverdächtiger.« Oda Wagner lächelte herausfordernd.
»Moment!« Diersen wirkte sichtlich entrüstet. »Also, ich sitze ja nicht allein im Kuratorium. Auch die anderen Kuratoriumsmitglieder waren dagegen, dass Beenke wieder einmal den Etat überzog. Ich war lediglich derjenige, der berufsbedingt den engsten Kontakt zu Dr. Beenke hatte. Fragen Sie doch Merkens, Burmann und Fischer.«
»Das werden wir tun, Herr Diersen«, sagte Christine freundlich, bevor ihre Kollegin reagieren konnte. Sie würde sich von der nicht an die Seite drängen lassen. »Darauf können Sie sich verlassen.«
»Er lebte noch, als ich ging, das müssen Sie mir glauben«, sagte Diersen kühl. »Es muss noch jemand nach mir da gewesen sein.«
***
Tomke Beenke saß auf der Couch und starrte aus dem Fenster auf die graubraune Nordsee. Die Elemente schienen sich austoben zu wollen, der Wind nahm Orkanstärke an. Der Parkplatz vor dem Seewasseraquarium war vorsorglich gesperrt worden, wie sie vorhin im Radio gehört hatte. Unterhalb ihres Fensters, auf dem Fliegerdeich, standen jedoch etliche Fahrzeuge. Menschen, die sich aus dem geschützten Auto heraus das Naturschauspiel ansehen wollten.
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