Stephan Franke
Eine zugige Existenz
Die unglaubliche Bahnreise des Kevin Maria Strassberg
Gewidmet meinem Sohn Max Franke, der mir zu einer Startauflage von 400.000 Exemplaren geraten hat und mir sicher dabei helfen wird, die unverkäuflichen Bücher zu entsorgen.
Aktuelle Infos zu meinen Kabarettprogrammen finden Sie auf meiner Homepage www.stephan-franke.de
Für letzte Sinnanfragen steht Ihnen meine E-Mail-Adresse zur Verfügung: Stephan_Franke_Kabarett@gmx.de
Impressum
© 2017 Stephan Franke
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47839 Krefeld
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Titelbild: Stephan Franke
Vorbemerkung für die geneigte Leserin und den aufgeschlossenen Leser.
In dem folgenden Berichtaus meinem Leben als Bahnreisender werdet ihr allerlei Neuigkeiten über alkoholische Genüsse, merkwürdige Spielarten des menschlichen Sexualtriebes, die Zwecklosigkeit jeglicher Sinnsuche, die unterhaltsame Seite des religiösen oder politischen Extremismus und einige Absonderlichkeiten mehr erfahren. Ihr werdet eine Menge über das Bahnfahren als Lebensform lernen und dabei vielen interessanten Charakteren begegnen, die man so nur in einem Eisenbahnabteil (oder hin und wieder auch in Sanitätshäusern) trifft.
Vielleicht dienen meine Aufzeichnungen als Lebenshilfe, indem sie euch nämlich helfen, euer jetziges Leben als gar nicht mal so übel zu akzeptieren, weil alles noch viel schlimmer hätte kommen können. Lest also unverdrossen mit frischem oder benebeltem Geist und tut dies vor allem regelmäßig! Und wenn ihr nur unvoreingenommen seid, auch die dunklen und verschwommenen Seiten an euch herankommen lasst – dann werdet auch ihr eines Tages sagen können: Ach, so ist das also .
Versuch, die Neugier der Leser zu wecken und Informationen über die Phobie des Herrn Wüntenberg.
Um euch auf meinekommende Bahnreise, von der ich selbst noch nicht weiß, wie lange sie dauern wird, auf welche Menschen und ihre oft eigenartige Geschichten ich treffen werde, ein wenig neugierig zu machen, möchte ich euch zunächst von einer vergangenen Bahnfahrt berichten. Genauer gesagt möchte ich euch von einem Mitreisenden erzählen, den ich auf der Fahrt von Niederlamitz nach Pechbrunn kennenlernte. Beide Orte liegen ganz im Osten von Bayern nahe der tschechischen Grenze, aber das ist hier unerheblich – wobei ich mir jedoch sicher bin, dass es einige unter euch geben wird, die mit diesem neu erworbenen Wissen demnächst in lockerer Freundesrunde ganz schön prahlen werden: „ Wusstet ihr übrigens, dass Niederlamitz und Pechbrunn ganz nah an der tschechischen Grenze liegen?“ Anerkennendes Nicken seitens des Freundeskreises, Festigung des Selbstwertgefühls.
Aber kommen wir zu besagtem Mitreisenden. Er betrat in Niederlamitz mein Abteil und fiel mir direkt durch seinen leicht deprimierten Gesichtsausdruck auf. Wie es meine Art ist, verwickele ich meine Mitreisenden gerne in Gespräche – so auch diesen Herrn. Er hieß Wüntenberg und hatte ein sehr spezielles Problem, er war Konfitürophobiker.
„Ist ja interessant, habe ich noch nie von gehört.“
„Ja, ist eine sehr seltene Phobie“, erwiderte Herr Wüntenberg, „in ganz Deutschland sind nur zwei Fälle dokumentiert. Eben ich und eine Frau irgendwo in Norddeutschland.“
Wie er mir weiter erklärte, äußert sich die Konfitürophobie in Angstzuständen vor Marmeladen, Gelees und Konfitüren aller Art, jedoch seltsamerweise nie vor Nussnougatcreme oder Honig. Seine, Wüntenbergs Konfitürophobie sei zusätzlich dadurch sehr belastend und schwer therapierbar, weil die phobischen Zustände nicht nur durch besagte Brotaufstriche erzeugt würden, sondern sich in seinem Fall bei geschlechtlichen Handlungen jeder Art sofort der Gedanke an Marmeladen, Gelees und Konfitüren einstelle, was naturgemäß auch eine Partnerschaft auf eine harte Probe stelle.
„Ja waren Sie deswegen denn schon mal in ärztlicher Behandlung?“ wollte ich wissen.
„Natürlich war ich schon bei zig Ärzten. Aber außer dem Rat, von süßem Brotaufstrich auf Wurst und Käse zu wechseln, war da meist nicht mehr drin. Erst nach langem Suchen habe ich einen Spezialisten für dieses Gebiet gefunden, einen Psychiater. Nach 120 Therapiesitzungen hatte er den Grund für meine Phobie gefunden: meine Großmutter.“
„Ihre Großmutter?“
„Mir fiel ein, dass mir meine Mutter mal erzählt hat, dass Großmutter dauernd Berge von Marmelade gekocht habe, sozusagen ganze Marmeladeseen. Und da war für den Psychiater der Fall klar. Er meinte, ich hätte als Kind libidinöse Fantasien gegenüber meiner Großmutter oder aber der von ihr hergestellten Marmelade entwickelt, das habe bei mir Schuldgefühle erzeugt, die wiederum Angst auslösend gewirkt hätten. Da ich von der Großmutter immer ordentlich Taschengeld bekommen habe, sei Angst vor der Großmutter jedoch ökonomisch unklug gewesen, also habe ich mich ersatzweise für die Konfitürophobie entschieden.“
„Und was halten sie von dieser Diagnose?“
„Nicht viel, denn meine Großmutter war bei meiner Geburt bereits fünf Jahre tot.“
„Haben sie das dem Psychiater denn nicht gesagt?“
„Doch, aber er meinte, das sei alles nur Verdrängung und er habe da eine prima Therapie für mich.“
Herr Wüntenberg erläuterte mir dann die verordnete Therapie. Um die Konfitürophobie mit den einhergehenden Sexualstörungen in den Griff zu bekommen, empfahl ihm der Psychiater Folgendes:
In Reichweite des Wüntenbergschen Ehebettes sollten stets mehrere Gläser mit süßem Brotaufstrich stehen, vorzugsweise Erdbergelee, Vierfruchtmarmelade und Pflaumenmus. Während des ehelichen Vorspiels, besonders aber im Verlauf des Geschlechtsaktes sollte Herr Wüntenberg in regelmäßigen Abständen einige Löffel davon zu sich nehmen, dies solle desensibilisierend wirken und bei Herrn Wüntenberg den Lerneffekt erzeugen, dass diese Naschereien letztendlich doch ganz harmlos sind und durch ihre Energiezufuhr verlängernd auf das Liebesspiel wirken.
„Und hat es geholfen?“ wollte ich wissen.
„Teils teils. Mit Konfitüren, Marmeladen und Gelees komme ich mittlerweile ganz gut klar, vielleicht mit Ausnahme von Stachelbeermarmelade, da muss ich noch etwas dran arbeiten. Aber meine Ehe hat diese Therapie nicht überstanden. Meine Frau hat sich von mir getrennt. Sie meinte, das dauernde Konfitürengelöffele sei der Tod eines jeden Höhepunktes. Außerdem habe sie schon überhaupt keine Lust mehr, wenn sie schon vor dem Beischlaf daran denken müsse, dass sie nachher wieder die ganze Bettwäsche abziehen könne, weil alles mit Marmeladenflecken eingesaut sei. Und die Haare müsse sie sich auch jedes Mal waschen, da Vierfruchtmarmelade in der Dauerwelle einfach nur blöd aussehe, was ihr auch eine Typberaterin bestätigt habe.“
Ich konnte Herrn Wüntenbergs Niedergeschlagenheit nun nicht mehr ganz nachvollziehen. Seine Phobie war bis auf die Stachelbeervariante geheilt und Stachelbeermarmelade schmeckt derart grauslich, dass man darauf sowieso besser verzichtet und seinem Leben lieber mit dem Genuss von Erdbeer-, Aprikosen- und Kirscharomen die nötige Würze verleihen sollte.
Und was seine gescheiterte Ehe betraf, so konnte ich dazu nur gratulieren! Erstens sehe ich aus der männlichen Perspektive Verehelichungen jeder Art sehr skeptisch. In der Regel sind Ehen ein ganz erheblicher Kostenfaktor: sinnlos häufige Schuh- oder Handtaschenkäufe und dauernde Friseurbesuche der Angetrauten. Auch die häusliche Ruhe und Beschaulichkeit ist mit dem Eintritt in den Ehestand dahin: permanente Gesprächswünsche und ständiges Umarrangieren des Mobiliars oder häufiger Austausch jahreszeitlicher Dekorationsartikel (lächerliche Hasen, senile Weihnachtsmänner, debil grinsende Kürbisse etc.).
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