Hans Garbaden
Ein Mordsdreh am Jadebusen
Ein Nordfriesland-Krimi
FUEGO
- Über dieses Buch -
Das Leben des Malers Franz Radziwill wird verfilmt. Als der Hamburger Filmcrew in dessen Wohnort Dangast einfällt, ist es mit einem Mal um die beschauliche Ruhe geschehen. Die Einheimischen blicken argwöhnisch auf die Arbeiten am Deich. Dann verschwinden plötzlich zwei Mitarbeiterinnen am Set. In den eisigen Fluten der Nordsee kann aber nur eine Leiche geborgen werden.
Wer ist der mysteriöse Meuchelmorder? Handelt es sich bei dem Täter womöglich um einen militanten Gegner der Filmproduktion, oder treibt ein Sexualstraftäter sein Unwesen? Die Kommissarin Jeanette Alt und ihr friesischer Kollege Enno Bollmann machen sich auf die Suche nach dem Mörder und treten ein in die illustren Reihen der kapriziösen Filmdiven und gestrandeten Schauspieler.
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämm’rung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
Theodor Storm
Wie ein Heuschreckenschwarm fiel die Valentine Production in den kleinen Ort am Jadebusen ein.
Im Vorfeld hatten die Wilhelmshavener Zeitung und die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg darüber berichtet, dass eine Hamburger Film-Produktionsgesellschaft vorhatte, das Leben des Malers Franz Radziwill, der den größten Teil seines Lebens in dem kleinen Ort Dangast am Jadebusen zugebracht hatte, als Spielfilm zu realisieren. Die für 28 Drehtage geplanten Aufnahmen sollten jetzt in dieser abgeschiedenen Region mit Außenaufnahmen in der Umgebung von Dangast beginnen.
Staunend sahen Einheimische und ein paar Urlauber, die die letzten schönen Spätsommertage in Friesland verbrachten, wie eine ganze Karawane von Produktionsfahrzeugen in der Nähe des Deiches hielt und dann von schon vorher eingetroffenen Helfern auf einen freigehaltenen Platz eingewiesen wurde.
Der Mann, der alles routiniert dirigierte, war Kai Schmidt, der Set-Aufnahmeleiter, ein ruhiger, besonnener Mann, der von einem Helfer, den alle nur Pille nannten, assistiert wurde. Pille, ein magerer junger Schlacks mit einem bleichen, pickeligen Gesicht, war offiziell als Produktionsfahrer eingestellt worden, fungierte aber als „Mädchen für alles“.
Nachdem das Maskenmobil, die Fahrzeuge für die Kostüme, ein weiteres Fahrzeug für das Kamera-Equipment, die Wagen der Beleuchter, ein Fahrzeug mit eingebauter Küche für das Catering, die Aufenthaltsfahrzeuge für die Darsteller und einige Pkw abgestellt waren, war das Basislager für die vierwöchigen Dreharbeiten in und um Dangast komplett.
Kai Schmidt atmete tief durch und steckte sich gerade eine Zigarette an, als er aus der Reihe mit den Wohnmobilen für die Darsteller lautes Geschrei hörte.
Regina Schönefelder, eine Schauspielerin, war von einem Produktionsfahrer vom Bremer Flughafen abgeholt worden, weil sie heute gleich in den ersten Bildern spielen musste. Statt die als schwierig geltende Schauspielerin zuerst in ihr Hotel in Varel zu fahren, hatte der junge Produktionsfahrer sie an das Set in Dangast gebracht und ihr als Aufenthaltsmöglichkeit für die Drehpausen das letzte Wohnmobil in einer Reihe, die an einem Graben stand, zugewiesen.
Kai Schmidt glättete die Wogen. „Kein Problem, Sie bekommen das erste Wohnmobil gleich oben am Deich; ist das in Ordnung?“ Schmollend willigte die Schauspielerin ein.
Versonnen blickten der Aufnahmeleiter und Pille dem Pkw nach, der die Schauspielerin zum Hotel fuhr.
Endlich war Ruhe eingekehrt, aber eine Bemerkung konnte Kai Schmidt sich doch nicht verkneifen: „Na, das fängt ja gut an. Was uns da wohl noch erwartet, diese überkandidelte Diva und dann der exaltierte Ferdi Schönert. Ich glaube, wir werden in den nächsten vier Wochen viel Spaß haben.“
„Wie meinst du das mit Ferdi Schönert?“ fragte der noch junge und unerfahrene Pille.
Kai Schmidt klärte ihn auf: „Der Ferdi ist ein lieber Kerl. Nur mit den Frauen am Set hat er immer Probleme. Die Maskenbildnerin schmiert ihm angeblich immer zu viel Farbe ins Gesicht, die Kostümbildnerin sucht angeblich immer schlechtsitzende Kleidung für ihn aus, die Continuity-Kollegin weist ihn immer auf angebliche Text- oder Anschlussfehler hin, und bei Dialogen mit seinen Darstellerkolleginnen blasen die ihm angeblich immer intensiven Knoblauchgeruch ins Gesicht. Aber sonst ist er – wie gesagt – ein lieber Kerl und ein ganz toller Schauspieler. Und er wird nichts gegen den Standort des Wohnmobils unten am Graben haben.“
Pille hatte aufmerksam zugehört. „Und wie ist der Hauptdarsteller, der Tim Schumann, so?“
Kai Schmidt erkannte, dass er als loyaler Mitarbeiter der Valentine Production schon zu viel erzählt hatte, und gab seinem neuen Kollegen eine gutgemeinte Empfehlung: „Ach, der ist wie auch alle anderen Darsteller sehr nett. Sei zu allen freundlich und vor allem respektvoll. Dann wirst du mit ihnen gut auskommen. So, und nun los, wir müssen noch über die Tagesdisposition für morgen sprechen.“
Es war ein trostloser Spätsommertag, so dass man kaum vom Deich die See erkennen konnte. Den ganzen Tag hatte es unaufhörlich genieselt.
Eine buntzusammengesetzte Gesellschaft von Gästen hatte sich vor dem Wetter in die Gaststätte Butjenter Nachtigall, direkt hinter dem Deich, geflüchtet.
Am Stammtisch saßen Eldert Rescher, der Wattführer mit dem kantigen und groben Gesicht, welches verriet, dass es in seinem Stammbaum einen Slawen gab. Er wurde von allen nur Wattyeti genannt. Flankiert wurde er auf der einen Seite von Focko Daul und Hergen Vesper, zwei Männern mit glatten, nichtssagenden Gesichtern, die beide in einer Hotelverwaltung arbeiteten. Auf der anderen Seite saßen zwei wettergegerbte Krabbenfischer aus Fedderwardersiel.
Alle an diesem Tisch tranken Bier und Korn. Das beherrschende Gesprächsthema waren die Dreharbeiten des Spielfilmes über das Leben von Franz Radziwill in Dangast.
Einer der Krabbenfischer meinte: „Wir haben nichts von den Filmfritzen, mir ist es egal, ob hier ein Film gedreht wird oder nicht.“
Etwas knurrig ergänzte der Wattyeti: „Mir ist es jetzt auch egal. Ich war als Begleiter für Dreharbeiten im Watt vorgesehen. Mit einem Mann von der Produktion war ich draußen, an der Bake vorbei, an den Seehundbänken entlang bis zur Fahrrinne. Alles habe ich ihm gezeigt. Als wir auf einer Sandbank ein paar Seehunde sahen, war er ganz begeistert. Ich habe ihm erzählt, dass sie früher als Nahrungskonkurrenten des Menschen galten und es für ihren Abschuss Prämien gab. Er konnte gar nicht glauben, dass erst ab 1953, als die Art auszusterben drohte, die Jagd nur noch auf Antrag möglich war. Inzwischen sind sie bei uns ja ganz unter Schutz gestellt. Der Mann wollte sich wieder melden. Aber es passierte nichts, bis ich von einem Kollegen aus Varel gehört habe, dass sie sich für ihn entschieden hätten. Er macht es wohl billiger. Der Kerl vom Film hat mir damals seine Visitenkarte gegeben, ich muss sie noch irgendwo haben.“ Er nestelte aus der Gesäßtasche seiner Hose eine Geldbörse und holte eine verknickte Karte daraus hervor. „Hier hab ich sie. Robert Ketzler, Location-Scout. Scheiß-Location-Scout.“ Damit zerknüllte er die Karte und warf sie wütend unter den Tisch.
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