Hans Fallada - Hans Fallada - Ein Mann will nach oben

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Hans Falladas «Ein Mann will nach oben» ist ein Roman über Träume und Enttäuschungen, unerfüllte Liebe, und das Streben des kleinen Mannes nach einer Verbesserung seiner Lebensumstände. Fallada gibt seinen Charakteren Tiefe und Vielschichtigkeit. Der realistische Werdegang des Romanhelden lässt das Berlin der Zwischenkriegszeit lebendig werden.
Dieses E-Book enthält die ungekürzte Fassung des Romans.

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Titelseite Hans Fallada Ein Mann will nach oben Roman

Zum Geleit Zum Geleit In diesem Buch ist alles erfunden; es ist ein Roman, also ein Werk der Phantasie. Das möchte der Verfasser, wie bei manchem seiner früheren Werke, einleitend feststellen. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Personen und Ereignisse, sondern auch ganz besonders für die Gründung und das Werden jenes in diesem Roman geschilderten Berliner Unternehmens, das die Gepäckbeförderung zur Aufgabe hat. Der Verfasser vermied es mit Absicht, über die Geschichte eines tatsächlich bestehenden derartigen Unternehmens auch nur das geringste in Erfahrung zu bringen; er wollte frei erfinden können, und das hat er dann auch getan. Trotzdem hofft der Verfasser, ein getreues Bild verschiedener Zeitepochen seit 1910 in der Hauptstadt Berlin gegeben zu haben. H. F.

ERSTES BUCH: DER JÜNGLING ERSTES BUCH: DER JÜNGLING

Vorspiel. Die kleine Stadt

Erster Teil. Rieke Busch

Zweiter Teil. Kalli Flau

Dritter Teil. Franz Wagenseil

Zwischenspiel: In der fremden Heimat

ZWEITES BUCH: DER MANN

Vierter Teil. Friederike Siebrecht

Fünfter Teil. Hertha Siebrecht

Sechster Teil. Ilse Gollmer

Nachspiel. Der Sohn

Hans Fallada

Ein Mann will nach oben

Roman

Zum Geleit

In diesem Buch ist alles erfunden; es ist ein Roman, also ein Werk der Phantasie.

Das möchte der Verfasser, wie bei manchem seiner früheren Werke, einleitend feststellen. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Personen und Ereignisse, sondern auch ganz besonders für die Gründung und das Werden jenes in diesem Roman geschilderten Berliner Unternehmens, das die Gepäckbeförderung zur Aufgabe hat.

Der Verfasser vermied es mit Absicht, über die Geschichte eines tatsächlich bestehenden derartigen Unternehmens auch nur das geringste in Erfahrung zu bringen; er wollte frei erfinden können, und das hat er dann auch getan.

Trotzdem hofft der Verfasser, ein getreues Bild verschiedener Zeitepochen seit 1910 in der Hauptstadt Berlin gegeben zu haben.

H. F.

ERSTES BUCH: DER JÜNGLING

Vorspiel. Die kleine Stadt

1. Staub zu Staub

„Asche zu Asche! Erde zu Erde! Staub zu Staub!“ rief der Pastor, und bei jeder Anrufung menschlicher Vergänglichkeit warf er mit einer kleinen Kinderschippe Erde hinab in die Gruft. Unerträglich hart polterten die gefrorenen Brocken auf das Holz des Sarges.

Den jungen Menschen, der hinter dem Geistlichen stand, schüttelten Grauen und Kälte. Er meinte, der Pastor hätte dem Vater die Erde sanfter ins Grab geben können. Doch als er nun selbst die Erde auf den toten Vater hinabwarf, schien sie ihm noch lauter zu poltern. Ein Schluchzen packte ihn. Aber er wollte nicht weinen, er wollte nicht hier weinen vor all diesen Trauergästen, er wollte sich stark zeigen. Fast hilfeflehend richtete er den Blick auf den Grabstein von rötlichem Syenit, der senkrecht zu Häupten des Grabes stand. „Klara Siebrecht, geboren am 16. Oktober 1867, gestorben am 21. Juli 1893“ war darauf zu lesen. Von diesem Stein konnte keine Hilfe kommen. Die goldene Schrift war vom Alter schwärzlich angelaufen, das Sterbedatum der Mutter war zugleich sein Geburtstag; er hatte die Mutter nie gekannt. Und nun würde bald auch der Name des Vaters auf diesem Stein zu lesen sein mit dem Todestag: 11. November 1909.

Asche zu Asche! Erde zu Erde! Staub zu Staub! dachte er. Nun bin ich ganz allein auf der Welt, dachte er, und wieder schüttelte ihn ein Schluchzen.

„Gib mir die Schippe, Karl“, flüsterte der Onkel Ernst Studier und nahm sie ihm schon aus der Hand.

Karl Siebrecht trat verwirrt zurück neben Pastor Wedekind. Der gab ihm fest die Hand, sah ihm ernst ins Auge. „Ein schwerer Verlust für dich, Karl“, sagte er. „Du wirst es nicht leicht haben. Aber halte die Ohren steif und vergiß nicht, dass Gott im Himmel keine Waise verlässt!“

Und nun kamen sie alle, der Reihe nach, schüttelten ihm die Hand und sagten ein paar Worte, meist ermahnenden Inhalts, stark zu sein; sie alle, von dem gelblichen Onkel Studier an bis zu dem dicken Hotelier Fritz Adam. Und keiner von ihnen allen sagte auch nur ein nettes Wort über Vater, der ihnen doch immer gefällig und hilfreich gewesen war, viel zu gefällig und viel zu hilfreich, dachte der Sechzehnjährige mit Erbitterung. Aber ich will nicht so gutmütig sein wie Vater, dachte er. Ich werde in meinem Leben stark und hart sein!

Sein Herz wurde gleich wieder weich, als nun nach all den Männern als einzige Frau die alte Minna am Grabe stand, Minna mit ihrem wie aus Holz geschnittenen Gesicht, die schon bei seiner Mutter gedient und ihn großgezogen, die jahraus, jahrein den heranwachsenden Sohn betreut hatte. Ein sanftes Gefühl machte ihn beben, als er sie so starr und tränenlos am Grabe stehen sah. Arme alte Minna, dachte er. Was wird nun aus dir? Sie umfaßte seine Hand mit einem Griff. „Mach schnell, dass du nach Hause kommst, Karl –“, flüsterte sie. „Du siehst schon ganz blau aus. Ich setze gleich was Warmes für dich auf!“

Nun gingen alle. Karl Siebrecht sah das Barett des Geistlichen schon nahe der Kirchhofspforte, ihm folgte in kleinem Abstand der Troß der Trauergäste. Alle hatten es eilig, aus dem eisigen Novemberwind zu kommen. „Nun mach schon zu, Karl!“ drängte der Onkel Ernst Studier. „Deinem Vater ist auch nicht damit geholfen, dass wir hier stehen und frieren.“

„Recht hast du, Ernst!“ stimmte der Hotelier Adam zu und setzte sich auf der anderen Seite Karl Siebrechts in Marsch. „Wir wollen sehen, dass wir rasch ins Warme kommen!“

Aber der Junge achtete gar nicht auf die lieblosen Worte der beiden. Ihm war es, als habe er hinter einem Grabstein etwas huschen sehen, nach dem Grabe des Vaters zu. Wirklich, es war Erika, seine kleine Nachbarin, die vierzehnjährige Tochter des Pastors Wedekind. Sie hatte sich heimlich zum Begräbnis geschlichen, und sie hätte doch in dieser Nachmittagsstunde im Handarbeitsunterricht sein müssen! Gute, kleine Erika – jetzt warf sie Blumen in das Grab ...

„Was hast du denn, Karl?“ rief der Onkel und hielt den Stolpernden. „Wo hast du denn deine Augen?“

„Süh mal süh“, sagte der Hotelier, und seine Augen waren vor heimlichem Vergnügen ganz klein geworden. „Ist das nicht Wedekinds Erika? Das sollte Pastor Wedekind wissen! Um deinen Vater ist die auch nicht hierhergekommen, Karl!“

„Das finde ich nicht hübsch von dir, Karl!“ Onkel Ernst Studier führte den Jungen fast gewaltsam aus der Kirchhofspforte. „Am Begräbnistag deines lieben Vaters solltest du andere Dinge im Kopf haben! Und überhaupt: Du bist erst sechzehn, und sie kann kaum vierzehn sein ...!“

„Was ihr auch immer gleich denkt!“ rief der Junge zornig. „Wir sind nicht so, wie ihr – denkt!“

„Wir denken schon das Richtige – leider!“ antwortete der Onkel streng. „Überhaupt, eine Pastorentochter steht viel zu hoch für dich“, erklärte er. „Du kannst froh sein, wenn dich irgendwer in die Lehre nimmt!“

„Das kannst du!“ stimmte Adam zu. „Für einen Lehrling bist du mit deinen Sechzehn zu alt, und für die Schule ist kein Geld da!“

Aber Karl Siebrecht achtete nicht mehr auf ihr Geschwätz, er war nur froh, dass sie nicht mehr von Erika Wedekind sprachen. Mit Abneigung sah er auf die nüchternen Backsteinfassaden der märkischen Kleinstadt, auf die dürftigen Ladenauslagen der kleinen Krämer, wie der Onkel Ernst Studier einer war. Dreimal war er mit dem Vater in Berlin gewesen, immer nur auf ein paar Tage, aber doch hatte ihn die Großstadt bezaubert. Der Vater hätte gar nicht erst zu sagen brauchen: „Mach es nicht wie ich, Karl, setz dich nicht in einem solchen Nest fest. Alles wird klein und eng dort. Hier hat man Platz, hier kann man sich rühren.“ Oh, er wollte sich rühren, die sollten ihn nicht halten können!

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