Hans Fallada
Gesammelte Werke
Hans Fallada
Gesammelte Werke
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
2. Auflage, ISBN 978-3-962813-59-8
null-papier.de/581
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Jeder stirbt für sich allein
Der Trinker
Wer einmal aus dem Blechnapf frisst
Ein Mann will nach oben
Kleiner Mann – was nun?
Der eiserne Gustav
Bauern, Bonzen und Bomben
Wolf unter Wölfen
Anton und Gerda
Der Alpdruck
Der junge Goedeschal
Junger Herr - ganz groß
Literaturverzeichnis
Index
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Ihr
Jürgen Schulze
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Jeder stirbt für sich allein
Die Geschehnisse dieses Buches folgen in großen Zügen Akten der Gestapo 1über die illegale Tätigkeit eines Berliner Arbeiter-Ehepaares während der Jahre 1940 bis 1942. Nur in großen Zügen – ein Roman hat eigene Gesetze und kann nicht in allem der Wirklichkeit folgen. Darum hat es der Verfasser auch vermieden, Authentisches über das Privatleben dieser beiden Menschen zu erfahren: er musste sie so schildern, wie sie ihm vor Augen standen. Sie sind also zwei Gestalten der Fantasie, wie auch alle anderen Figuren dieses Romans frei erfunden sind. Trotzdem glaubt der Verfasser an »die innere Wahrheit« des Erzählten, wenn auch manche Einzelheit den tatsächlichen Verhältnissen nicht ganz entspricht.
Mancher Leser wird finden, dass in diesem Buche reichlich viel gequält und gestorben wird. Der Verfasser gestattet sich, darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Buche fast ausschließlich von Menschen die Rede ist, die gegen das Hitlerregime ankämpften, von ihnen und ihren Verfolgern. In diesen Kreisen wurde in den Jahren 1940 bis 1942 und vorher und nachher ziemlich viel gestorben. Etwa ein gutes Drittel dieses Buches spielt in Gefängnissen und Irrenhäusern, und auch in ihnen war das Sterben sehr im Schwange. Es hat dem Verfasser auch oft nicht gefallen, ein so düsteres Gemälde zu entwerfen, aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet.
Berlin, am 26. Oktober 1946
H. F.
1 Die Geheime Staatspolizei, auch kurz Gestapo genannt, war ein kriminalpolizeilicher Behördenapparat und die Politische Polizei während der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. <<< Die Geschehnisse dieses Buches folgen in großen Zügen Akten der Gestapo 1 über die illegale Tätigkeit eines Berliner Arbeiter-Ehepaares während der Jahre 1940 bis 1942. Nur in großen Zügen – ein Roman hat eigene Gesetze und kann nicht in allem der Wirklichkeit folgen. Darum hat es der Verfasser auch vermieden, Authentisches über das Privatleben dieser beiden Menschen zu erfahren: er musste sie so schildern, wie sie ihm vor Augen standen. Sie sind also zwei Gestalten der Fantasie, wie auch alle anderen Figuren dieses Romans frei erfunden sind. Trotzdem glaubt der Verfasser an »die innere Wahrheit« des Erzählten, wenn auch manche Einzelheit den tatsächlichen Verhältnissen nicht ganz entspricht. Mancher Leser wird finden, dass in diesem Buche reichlich viel gequält und gestorben wird. Der Verfasser gestattet sich, darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Buche fast ausschließlich von Menschen die Rede ist, die gegen das Hitlerregime ankämpften, von ihnen und ihren Verfolgern. In diesen Kreisen wurde in den Jahren 1940 bis 1942 und vorher und nachher ziemlich viel gestorben. Etwa ein gutes Drittel dieses Buches spielt in Gefängnissen und Irrenhäusern, und auch in ihnen war das Sterben sehr im Schwange. Es hat dem Verfasser auch oft nicht gefallen, ein so düsteres Gemälde zu entwerfen, aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet. Berlin, am 26. Oktober 1946 H. F. 1 Die Geheime Staatspolizei, auch kurz Gestapo genannt, war ein kriminalpolizeilicher Behördenapparat und die Politische Polizei während der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. <<<
ERSTER TEIL – Die Quangels
1. Die Post bringt eine schlimme Nachricht
Die Briefträgerin Eva Kluge steigt langsam die Stufen im Treppenhaus Jablonskistraße 55 hoch. Sie ist nicht etwa deshalb so langsam, weil sie ihr Bestellgang so sehr ermüdet hat, sondern weil einer jener Briefe in ihrer Tasche steckt, die abzugeben sie hasst, und jetzt gleich, zwei Treppen höher, muss sie ihn bei Quangels abgeben. Die Frau lauert sicher schon auf sie, seit über zwei Wochen schon lauert sie der Bestellerin auf, ob denn kein Feldpostbrief für sie dabei sei.
Ehe die Briefträgerin Kluge den Feldpostbrief in Schreibmaschinenschrift abgibt, hat sie noch den Persickes in der Etage den »Völkischen Beobachter« 1auszuhändigen. Persicke ist Amtswalter oder Politischer Leiter oder sonst was in der Partei – obwohl Eva Kluge, seit sie bei der Post arbeitet, auch Parteimitglied ist, bringt sie alle diese Ämter doch immer durcheinander. Jedenfalls muss man bei Persickes »Heil Hitler« grüßen und sich gut vorsehen mit dem, was man sagt. Das muss man freilich eigentlich überall, selten mal ein Mensch, dem Eva Kluge sagen kann, was sie wirklich denkt. Sie ist gar nicht politisch interessiert, sie ist einfach eine Frau, und als Frau findet sie, dass man Kinder nicht darum in die Welt gesetzt hat, dass sie totgeschossen werden. Auch ein Haushalt ohne Mann ist nichts wert, vorläufig hat sie gar nichts mehr, weder die beiden Jungen noch den Mann noch den Haushalt. Stattdessen hat sie den Mund zu halten, sehr vorsichtig zu sein und ekelhafte Feldpostbriefe auszutragen, die nicht mit der Hand, sondern mit der Maschine geschrieben sind und als Absender den Regimentsadjutanten nennen.
Sie klingelt bei Persickes, sagt »Heil Hitler!« und gibt dem alten Saufkopp seinen »Völkischen«. Er hat auf dem Rockaufschlag schon das Partei- und das Hoheitsabzeichen sitzen – sie vergisst ewig, ihr Parteiabzeichen anzustecken – und fragt: »Wat jibt’s denn Neuet?«
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