Hans Fallada - Heute bei uns zu Haus

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Am Anfang und am Ende dieses Buches und auf allen seinen übrigen Seiten ist von meiner Frau Suse die Rede – auch wo nicht von ihr gesprochen wird. Sie erst hat mich zu dem gemacht, was ich geworden bin, sie hat einen Verbummelten wieder das Arbeiten gelehrt, einen Hoffnungslosen die Hoffnung. Durch ihren Glauben, ihre Treue, ihre Geduld wurde aufgebaut, was wir heute besitzen, was uns alle Tage freut. Und das alles geschah ohne viele Worte, ohne Aufhebens, ohne Schulmeisterei, einfach dadurch, daß sie da war, daß sie in guten und schlimmen Stunden zu mir hielt. Daß sie an mich glaubte. Daß sie so war, wie sie war. Güte und Geduld und Verzeihenkönnen, auch wo sie nicht verstand. Heute, da ich diese Zeilen schreibe, feiern wir unsern vierzehnten Hochzeitstag, das heißt, wir feiern ihn nicht, wir denken daran, daß wir jetzt dreizehn Jahre zusammengehören. Keiner menschlichen Gemeinschaft, die so lange gedauert hat, bleiben Stürme und Enttäuschungen erspart. Manches Jahr gab es, da konnte ich stolz sagen: «Wir haben uns noch nie gestritten. Wir sind immer einer Ansicht gewesen. Was ich wollte, wollte auch sie.» Nun kann ich das nicht mehr sagen. Doch, wir haben uns gestritten. O ja, wir waren manchmal sehr verschiedener Ansicht. Und vor allem: da wir beide keine redseligen Menschen sind, so haben wir uns auch angeschwiegen. Das Anschweigen durch Wochen, durch Monate ist ein furchtbares Kampfmittel. Wir sind beide Wasserkantenmenschen, wir konnten zur Vollendung schweigen. Kein noch so wilder Zank ist auch nur halb so schlimm wie Schweigen. Diese ewige tote Stille im Haus, dieses trockene Schlucken statt eines ersten einlenkenden Wortes, dieses verstellte Parlieren vor den Kindern und den Haustöchtern und den Gästen – und dieses abgrundtiefe Schweigen, sobald wir beide wieder allein miteinander waren! Monate! Schreckliche Monate! Doch mit Glanz und Gloria stieg aus alledem wieder unser Zusammengehörigkeitsgefühl auf. Sie vergaß es auch in den dunkelsten Tagen nicht …

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Hans Fallada HEUTE BEI UNS ZU HAUS Ein anderes Buch. Erfahrenes und Erfundenes

Dieses Buch gibt Bilder aus dem Familienleben eines Schriftstellers auf dem Lande, in unserer Zeit, will sagen, von etwa 1929 bis 1942. Für meinen Geschmack ist es reichlich privat geraten, aber ich hatte keine Wahl: es mußte so geschrieben werden, wie es in mir war.

So möge es denn in die Welt hinaus gehen, wie es geworden ist. Wer aber meint, jetzt den Verfasser zu kennen, der irrt sich! Denn hier ist niemand auf »Ähnlichkeit« porträtiert – nicht einmal der Autor. Manche Gestalt ist aus zwei, manche aus fünf Menschen zusammengesetzt, denen ich einmal begegnete; manche ist auch völlig erfunden. Ganz zu schweigen von all den erdachten »Pointen«, die das Leben uns meist vorenthält, während sie doch der Leser vom Bücherschreiber erwartet.

Alles in allem: dies ist eine kleine Welt, die ich mir erschaffen. Ich gestehe offen: sie gefiel mir – beim Schreiben sowohl wie beim Überarbeiten. Möge es vielen ähnlich gehen – beim Lesen!

H. F.

Mit dem Heiraten fängt es an

Am Anfang und am Ende dieses Buches und auf allen seinen übrigen Seiten ist von meiner Frau Suse die Rede – auch wo nicht von ihr gesprochen wird. Sie erst hat mich zu dem gemacht, was ich geworden bin, sie hat einen Verbummelten wieder das Arbeiten gelehrt, einen Hoffnungslosen die Hoffnung. Durch ihren Glauben, ihre Treue, ihre Geduld wurde aufgebaut, was wir heute besitzen, was uns alle Tage freut. Und das alles geschah ohne viele Worte, ohne Aufhebens, ohne Schulmeisterei, einfach dadurch, daß sie da war, daß sie in guten und schlimmen Stunden zu mir hielt. Daß sie an mich glaubte. Daß sie so war, wie sie war. Güte und Geduld und Verzeihenkönnen, auch wo sie nicht verstand.

Heute, da ich diese Zeilen schreibe, feiern wir unsern vierzehnten Hochzeitstag, das heißt, wir feiern ihn nicht, wir denken daran, daß wir jetzt dreizehn Jahre zusammengehören. Keiner menschlichen Gemeinschaft, die so lange gedauert hat, bleiben Stürme und Enttäuschungen erspart. Manches Jahr gab es, da konnte ich stolz sagen: »Wir haben uns noch nie gestritten. Wir sind immer einer Ansicht gewesen. Was ich wollte, wollte auch sie.«

Nun kann ich das nicht mehr sagen. Doch, wir haben uns gestritten. O ja, wir waren manchmal sehr verschiedener Ansicht. Und vor allem: da wir beide keine redseligen Menschen sind, so haben wir uns auch angeschwiegen. Das Anschweigen durch Wochen, durch Monate ist ein furchtbares Kampfmittel. Wir sind beide Wasserkantenmenschen, wir konnten zur Vollendung schweigen. Kein noch so wilder Zank ist auch nur halb so schlimm wie Schweigen. Diese ewige tote Stille im Haus, dieses trockene Schlucken statt eines ersten einlenkenden Wortes, dieses verstellte Parlieren vor den Kindern und den Haustöchtern und den Gästen – und dieses abgrundtiefe Schweigen, sobald wir beide wieder allein miteinander waren! Monate! Schreckliche Monate! Doch mit Glanz und Gloria stieg aus alledem wieder unser Zusammengehörigkeitsgefühl auf. Sie vergaß es auch in den dunkelsten Tagen nicht, daß wir zusammengehörten. Ich mochte noch so schwierig, noch so unleidlich sein, ich mochte mit allen Streit anfangen, wegen jeder Kleinigkeit wüten: sie bekam mich wieder zurecht. Einfach dadurch, daß sie da war. Daß ihre Güte, ihre Geduld, ihre Liebe über alles triumphierten. Daß sie unermüdlich wieder von vorn anfing, aufbaute, wo alles zerstört schien.

Da ich davon erzählen will, wie wir zu unserm kleinen Landeigentum kamen, muß ich zuerst berichten, wie ich zu Suse kam. Denn ohne Suse wäre nie etwas mit einem Eigentum geworden.

Es war im Jahre 1928, und ich saß in einem möblierten Zimmer in der Stadt Hamburg. Die Arbeitslosigkeit war schon ziemlich schlimm. Auch ich war arbeitslos, aber stempeln ging ich darum doch nicht. Ich brauchte ja so wenig zum Leben, nach einer Zeit der Verschwendung hatte ich mir fast völlige Bedürfnislosigkeit angewöhnt. Ich war der stolze Herr einer alten Schreibmaschine, und wenn gar kein Geld mehr im Hause war, lief ich die Hamburger Exporthäuser ab, bis ich Adressenaufträge hatte. Ich schrieb Adressen in allen Sprachen, deutsche zu zwei Mark fünfzig das Tausend, ausländische für einen Taler. Ich glaube, ich war konkurrenzlos billig.

Außer der Schreibmaschine besaß ich noch einen Anzug, einen Handkoffer mit ein bißchen Wäsche und drei oder vier Büchern und einen völligen Mangel an Ehrgeiz. Es war mir ganz egal, ob etwas aus mir wurde und was aus mir wurde. Ich war mittlerweile fünfunddreißig Jahre alt geworden und hatte eingesehen, daß sich alles Abstrampeln nicht lohnte. Ich hatte eben kein Glück. Wozu sich anstrengen? In meinen Papieren stand von Geburt an: Pechvogel.

Sechs Tage in der Woche bestand mein Essen aus Brot, zwei Bücklingen und einem halben Liter Milch, am siebenten Tag aß ich an einem Mittagstisch warm. Wenn ich nicht gerade Adressen tippte, was möglichst selten geschah, trieb ich mich in der Stadt umher, am Hafen, im Gängeviertel. Ich kannte die seltsamsten Menschen und die anrüchigsten Kneipen; es machte mir Vergnügen, recht hundeschnäuzig mit mir und andern umzugehen. Meine Familie, will sagen, meine Eltern hatten mich noch immer nicht ganz aufgegeben, so oft und so gründlich ich sie auch entmutigt hatte. Aber ich hatte meine Familie aufgegeben, ich schrieb nur selten und kaum der Wahrheit gemäß.

Kurz gesagt: ich war mit aller Welt böse, weil ich noch immer nichts war. Nur mit mir war ich nicht böse, ich fand mich als Gesellschaft völlig ausreichend. Ich wohnte bei einer alten Frau in Hammerbrook, fünf Treppen hoch unter dem Dach. Meine Stube war hell und luftig, mit weißen Möbeln und buntgeblümten Bezügen, alles immer blitzsauber. Es war eigentlich das Zimmer der Tochter, in dem ich hauste, aber von dieser Tochter hatte ich noch nie etwas zu sehen bekommen. Ihre Kleider hingen noch in meinem Schrank, und dort konnten sie auch meinetwegen ruhig hängen bleiben. Ich brauchte den Schrank nicht, meine Kleider trug ich auf dem Leibe.

Allmählich erfuhr ich, was mit dieser ständig abwesenden Tochter los war. Sie war schon lange nierenkrank, und nun war sie von der Versicherung in ein Bad geschickt worden. Sie war eigentlich Lageristin in einem Engros-Geschäft für Damenputz, ein sehr fleißiges Mädchen, wie ihre Mutter stark betonte. Ihre Mutter, meine Wirtin, hielt nicht viel von mir, sie war auch fleißig, und ich war meistens stinkfaul. Morgens lag ich noch um zehn im Bett und sah mir die Stubendecke an. Wäre ich nicht ein so pünktlicher Zahler und ein so nüchterner Mensch gewesen, ich wäre nicht lange der Mieter dieser arbeitsamen Frau geblieben. So ließ sie mich hausen, nicht ohne Schelten, und an spitzen Bemerkungen über meine Bücklinge und den halben Liter Milch fehlte es nie.

Eines Tages nun teilte mir meine Wirtin mit, daß ich binnen vierundzwanzig Stunden mein Zimmer zu räumen habe, denn nun komme ihre Tochter zurück. Das war mir ganz egal, ob ich wohnen blieb oder weiterzog. Einen Winkel, in den ich meinen Handkoffer setzen, ein Bett, in das ich mich legen, eine Stubendecke, die ich anstarren konnte, fand ich überall. Hamburg war mir sowieso über, und der Hafen war mir über, und so bummelte ich auf den Hauptbahnhof und suchte mir ein Reiseziel. Ich wählte es nach meinem Barbestand, zu weit ab durfte es nicht liegen, eine Anzahlung auf die Zimmermiete mußte auch da sein, und das übrige würde sich schon finden. Das übrige hatte sich noch immer gefunden.

Der Morgen kam, und vom Hamburger Hauptbahnhof fuhr wohl mein projektierter Zug. Ich aber lag noch in meinem Bett und starrte die Decke an. Des Lebens Überdruß hatte mich wieder einmal besonders kräftig angefaßt, ich fand es so sinnlos, irgendwohin zu fahren, um was zu finden? Die Fortsetzung dieses Lebens? Also nichts!

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