Auf diejenigen, die es tatsächlich nach Kalifornien geschafft hatten, wartete ganz sicher kein Urlaubsparadies. Das Goldschürfen war eine harte, monotone Arbeit, das Leben in den Camps primitiv. Die meisten Goldsucher schliefen in Zelten oder einfachsten Holzhütten. Hygienemaßnahmen und medizinische Versorgung verirrten sich nur zufällig in die Gegend. Jeder Fünfte starb bereits in den ersten sechs Monaten.
Und doch wird sich kaum einer der Goldgräber beklagt haben, denn während der Anfangszeit des Goldrauschs lag ihnen das kostbare Metall regelrecht zu Füßen. Einer der Forty-Niners holte einen Klumpen Gold von drei Unzen Gewicht (ca. 85 Gramm) aus der Erde, als er ein Loch für eine Zeltstange graben wollte. Ein anderer entdeckte ein halbes Pfund Gold unter einem Stein, auf dem er gesessen hatte, und ein weiterer Glückspilz fand in einem Gebiet, das schon als abgegrast galt, einen ordentlichen Klumpen, als er in einer Vollmondnacht nach seiner verschwundenen Kuh suchte. Solche Geschichten machten in Windeseile die Runde und motivierten die weniger Glücklichen, noch gründlicher zu suchen, denn vielleicht würden sie schon morgen den Schatz ihres Lebens finden. Oder spätestens übermorgen.
Im Jahr 1849 kamen rund 90.000 Menschen nach Kalifornien, 1855 wurde die Zahl der Neuankömmlinge, die dem Versprechen von sagenhaftem Reichtum bisher gefolgt waren, schon auf 300.000 geschätzt. Das einst so kleine Nest San Francisco verwandelte sich innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Einfallstor nach Kalifornien und wuchs bis 1852 auf 35.000 Einwohner an.
Bretterbuden und Wellblechbaracken zogen sich die Hügel der Stadt hinauf, und in den schmutzigen Straßen, inmitten überwältigender Gerüche von Essen, Schweiß und Unrat, drängten sich verwegene Amerikaner, Mexikaner mit Sombreros, Russen mit Bärenfellmützen, Chinesen mit schwarzen Zöpfen und unzählige andere Immigranten aus allen Weltgegenden. Ein Gewirr von Gesprächsfetzen und Geschrei in vielen gleichzeitig gesprochenen Sprachen erfüllte die Luft.
Siedlungen, die überall dort wie Pilze in die Höhe schossen, wo das gelbe Metall im Boden glitzerte, und ebenso schnell wieder aufgegeben wurden, wenn die Goldsuche nicht mehr lohnte, dienten nur dem einen Zweck, die Goldgräber mit allem Wünschenswerten zu versorgen. Mit ihnen zog eine ganze Truppe von Saloon-Wirten, Barkeepern, Händlern und Prostituierten. Oft genügte schon eine Holzplanke, auf der zwei Whiskeyfässer Platz fanden, um einen Saloon für eröffnet zu erklären. Viele Frauen gewannen finanzielle Unabhängigkeit, indem sie in den Camps für gutes Geld kochten, wuschen und nähten oder für Unterhaltung sorgten.
Die Versorgungswirtschaft rund um die Minenarbeiter stellte eine Goldgrube dar, die noch gewinnbringender war als die eigentliche. Denn dort, wo täglich Goldklumpen wie Kartoffeln aus der Erde gebuddelt wurden, konnten die Geschäftstüchtigen bedenkenlos Preise verlangen, für die man sie in jeder anderen Gegend fortgejagt hätte.
Für eine Scheibe Brot musste ein Goldsucher einen Dollar hinblättern, war sie mit Butter bestrichen, legte er schon zwei Dollar auf den improvisierten Ladentisch. Eine Dame, die ihm für den Abend Gesellschaft leistete, konnte eine Unze Goldstaub im Wert von 16 Dollar verlangen. Wünschte er intimere Dienstleistungen, musste er mehrere hundert Dollar griffbereit haben. Auf diese Weise schwanden die Goldnuggets, mit denen er am Tag zuvor noch geprahlt hatte, schon in einer Nacht aus seinen Taschen.
Vor allem einer bewies vom ersten Tag an einen guten Riecher fürs Geschäft: Samuel Brannan. Nachdem er die Nachricht von den Goldfunden überall hinausposaunt hatte, kaufte er sofort alle Schaufeln, Hacken und Goldpfannen auf, die er bekommen konnte, und verkaufte sie zu einem Mehrfachen des Preises an die Männer weiter, die zu den Goldfeldern zogen. Er selbst hatte nie beabsichtigt, sich die Hände schmutzig zu machen.
Rausch und Realität
Die Forty-Niners konnten das Gold tatsächlich noch mit ihren Händen aus dem Boden klauben, mit einfachem Werkzeug ausgraben oder, was die gebräuchlichste Methode war, mit Goldpfannen oder Waschrinnen aus dem Fluss fischen. Mit dem „Placer Mining“, wie diese Verfahren genannt werden, förderten die Goldgräber in den ersten fünf Jahren des Goldrauschs geschätzte 370 Tonnen Gold zutage.
Als die Goldvorkommen immer schwerer zugänglich wurden, setzten sich ab etwa 1853 Abbauverfahren im industriellen Stil durch, die mehr Investitionen erforderten. Damit näherte sich die große Zeit des Goldrauschs dem Ende. Der Glücksritter, der vorher auf sich gestellt mit Schaufel und Goldpfanne losgezogen war, hatte nun die Wahl, sich einen anderen Job zu suchen oder als einfacher Lohnarbeiter für die Bergbauunternehmer zu schuften, die das nötige Geld hatten und den Profit abschöpften.
Um das Gold aus der Erde zu zwingen, erfanden die Goldsucher den Abbau mit Druckwasser. Dabei richteten sie einen starken Wasserstrahl mit Hochdruck auf versandete, goldhaltige Flussbetten. Kies und Gold gerieten in Bewegung, wurden über Rinnen geleitet, und die Goldkörnchen setzten sich am Boden ab. Gleichzeitig kam eine weitere Technik in Gebrauch, das Zerkleinern großer Brocken von Quarzgestein, das Spuren von Gold enthielt. Das Gold wurde anschließend entweder mit Hilfe von Wasser vom Quarzsand getrennt, oder man leitete den goldhaltigen Schlamm über Kupferplatten, die mit Quecksilber beschichtet waren.
Spätestens bei dem Stichwort Quecksilber wird einem klar, was für immense Umweltschäden der Goldrausch nach sich zog. Hatte schon das Placer Mining keinen Stein auf dem anderen gelassen, verseuchten nun Schwermetalle und Quecksilber die Bäche und Flüsse in den Goldgebieten. Eine Katastrophe für die Urbevölkerung – das heißt für die Indianer, die den Vertreibungen und Massakern und dem Tod durch eingeschleppte Krankheiten bisher entgangen waren. Von einem Völkermord im Zuge des Goldrauschs zu sprechen, ist nicht übertrieben, denn die geschätzte Zahl von 150.000 Ureinwohnern, die 1845 in Kalifornien lebten, schrumpfte bis 1870 auf weniger als 30.000.
Der Goldrausch ließ Kalifornien in jeder Weise verändert zurück. In jenen Jahren wurde eine ganz neue Variante des amerikanischen Traums geboren. Dieser hatte bisher vorgesehen, dass die Amerikaner sich ihren Wohlstand fleißig und gottgefällig erarbeiteten, den Weg vom Tellerwäscher zum Millionär in kleinen, maßvollen Schritten zurücklegten. Der Traum made in California dagegen vermittelte eine andere Botschaft: Versuch dein Glück, geh ein Risiko ein, dann kannst du über Nacht zum Millionär werden!
Als James Marshall das erste Gold fand, hatte er mehr Glück als Verstand. Für seine weiteren Unternehmungen jedoch fehlte ihm beides, Glück und Verstand. Einige Jahre nach seinem Tod errichtete man ihm ein Denkmal, in Anerkennung der entscheidenden Rolle, die er in der Geschichte Kaliforniens gespielt hatte.
Dieses Denkmal wollen wir sehen, es steht im Marshall Gold Discovery State Historic Park in Coloma. Der Park liegt ganz idyllisch am South Fork American River, eingebettet in eine grüne Hügellandschaft.
Maultierhirsche wandern umher und schauen neugierig zu uns hinüber. Ich höre ein vernehmbares Klopfen, und als ich aufblicke, sehe ich einen Eichelspecht, ein hübsches Kerlchen mit leuchtend roter Frisur. Aus einem dicken Eichenstamm hämmert sich der Kleine gerade sein Futter fürs Mittagessen. Leise und gemächlich plätschert der Fluss durch den Park, vorbei an den Nachbauten von Goldgräberhütten und der berühmten Mühle.
Und wo ist Marshall? Er steht als Bronzestatue auf einem hohen, mit Goldgräberutensilien verzierten Granitsockel und weist mit dem linken Zeigefinger nach unten in Richtung Fluss, dorthin, wo an jenem Morgen im Coloma Valley die ersten Goldklumpen im Wasser geglitzert hatten. „Ich war das“, scheint er mit Stolz in der Stimme zu sagen, „ich habe damals den großen Goldrausch ausgelöst!“
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