2.Sinn und Bewertung einer Klausur
11Der Aufgabensteller hat seine Vorstellungen, was er prüfen und was er hören möchte. Er wird seine Klausur meist um einige Probleme herum formen, die er entweder gerade in seinem Referat hatte oder die ihm sonst über den Weg gelaufen sind. Manche Klausurersteller richten sich auch nach neuen Entscheidungen, wobei dies im Zivilrecht eher selten ist. Entscheidend ist jedoch stets: Es soll nicht eine ganz konkrete Lösung oder besondere dogmatische Verästelungen abgefragt werden. Aufgabe ist es, einen brauchbaren Entscheidungsvorschlag zu machen; dies darf nicht unterschätzt werden. Mit guten Argumenten lassen sich ja nahezu alle Meinung vertreten. Die gefundene Lösung wird aber auch an der Brauchbarkeit und der Praktikabilität gemessen. Ist das gefundene Ergebnis praktisch unbrauchbar, dann wird der Korrektor einen erheblichen Abschlag bei der Bewertung machen.
12Meist sind sowohl im Bereich der Zulässigkeit als auch bei der Begründetheit Probleme – mit unterschiedlichen Schwierigkeiten – untergebracht. Der Kandidat soll an der Klausur zeigen können, was er kann, ob er das Gelernte gezielt auf einen Fall anzuwenden in der Lage ist. Es gibt aber auch viele Klausuren, die keine besonderen Schwierigkeiten bieten, sodass eine Korrektur und gerechte Bewertung häufig Probleme bereitet. In diesen Klausuren muss ganz genau und systematisch gearbeitet werden.
13Selbstverständlich hat jeder Korrektor sein eigenes System der Bewertung, sodass Verallgemeinerungen recht problematisch sind. Dennoch lässt sich wohl sagen, dass ein Korrektor zunächst auf die Schwierigkeit der Arbeit schauen wird, um zu sehen, was gefordert werden kann und wie die Ausführungen zu gewichten sind. So sind bei einer einfachen und vom Umfang her kurzen Arbeit die Anforderungen an die Ausführungen, die Tiefe und den Umfang sicher anders, als bei einer Arbeit mit vier verschiedenen Anträgen, schwierigen Rechtsproblemen und viel Schreibarbeit. Als Nächstes stellt sich bei der Bewertung die Frage, ob die Bearbeitung umfassend ist, d. h., ob alle Probleme vollständig behandelt sind und ob eine vernünftige und praktikable Lösung gefunden wurde. Fehlen Teile oder sind viele Probleme nicht angesprochen, ist es kaum möglich eine Note im besseren Bereich zu erzielen. In diesem Lichte werden dann die Ausführungen des Kandidaten bewertet.
14Als Richtschnur kann wohl gelten: Eine „befriedigende Arbeit“ ist eine „runde“ Arbeit, die (weitgehend) vollständig bearbeitet wurde, bei der alle Fragen angesprochen, die Probleme behandelt und eine vertretbare Lösung geboten wurde. Natürlich sind die Anforderungen abhängig vom Umfang und Schwierigkeitsgrad der Arbeit. Bereits daran ist zu erkennen: Fehlen wesentliche Teile der Arbeit, wird es kaum ein „befriedigend“ geben. Um eine bessere Note als befriedigend zu erreichen, müssen einzelne Teile vertieft und besonders gut behandelt werden oder eben die ganze Arbeit. Wobei auch der Stil und die Art der Ausführung von Bedeutung sind.
3.Grundregeln zur Ausführung der Klausur
15 a) Vollständigkeit der Arbeit.Ausgangspunkt ist: Eine Klausur muss vollständig bearbeitet werden. Sämtliche Anträge müssen abgehandelt sein, Rubrum, Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe müssen gefertigt sein (wenn sie gefordert sind). Richtig ist dabei zwar, dass die Fertigung des Tatbestandes einige Zeit in Anspruch nimmt – wahrscheinlich 35–40 Minuten – und trotzdem nur mit 2 oder 3 Punkten bewertet wird. Viele Kandidaten überlegen deshalb, den Tatbestand einfach weg zu lassen und so mehr Zeit für die anderen Probleme zu haben. Dies kann allerdings nicht angeraten werden. Denn die Qualität einer Arbeit zeigt sich (auch) daran, ob sie fertiggestellt ist und damit den Fall abschließend behandelt. Viele Prüfer gehen deshalb davon aus, dass eine nur teilweise fertiggestellte Arbeit eine unbrauchbare Arbeit ist und deshalb nicht oder nur bei besonderer Qualität mit 4 Punkten bewertet werden kann. Dies hat seine Berechtigung; was nützt das allerbestens begründete Urteil, das zum Verkündungstermin (und die Abgabe ist der Verkündungstermin) nicht fertiggestellt ist? Gar nichts. Denn am Verkündungstermin muss ein vollständiges Urteil verkündet werden, auch wenn es sachlich vielleicht nicht so ausgewogen ist. Auch ein Urteil ohne Tatbestand ist nicht brauchbar. Der Tatbestand liefert den Beweis für das mündliche Parteivorbringen, er kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden, § 314 ZPO. Gleiches gilt für den Anwalt, der zur Fristwahrung oder zur Verjährungsunterbrechung eine Klage einzureichen hat; liegt sie nicht vollständig vor, ist sie unbrauchbar, sie wird die Frist nicht wahren, die Verjährung nicht unterbrechen. Es ist ein großes Missverständnis, dass ungestraft einzelne Teile in der Klausur weglassen werden können. Meist ist es daher besser einzelne Fragen oberflächlicher zu bearbeiten, als ganz Teile wegzulassen.
16 b) Bedeutung der einzelnen Teile einer Klausur.Die Arbeit muss vollständig sein! Aber selbstverständlich sind nicht alle Teile der Arbeit gleich gewichtig. „Die dicken Punkte“ gibt es in der Klausur nahezu immer für die materiell-rechtlichen Fragen. Es gibt kaum Klausuren, bei denen bei der Bewertung die Zulässigkeitsfragen (auch mit Tatbestand und Rubrum) überwiegen. Nur selten sind bei Zulässigkeitsfragen 7 Punkte oder mehr zu vergeben, während bei den materiell-rechtlichen Fragen meist über 10 Punkte zu vergeben sind. Wobei immer zu berücksichtigen ist, dass auch für die Art der Bearbeitung, der Darstellung, der Ausführung, des Stils, und für den Aufbau einige Punkte reserviert sind.
17Der Tenor (beim Anwalt der Antrag), Rubrum, Tatbestand und Zulässigkeit sind meist die Visitenkarte der Klausur, der Einstieg für den Korrektor. Nach einem schlechten Tenor oder Tatbestand, nach schlechter Bearbeitung der Zulässigkeitsfragen, hat der Korrektor einen ersten schlechten Eindruck, der nur schwer wieder ins Positive gewendet werden kann. Zudem geht der Korrektor mit diesem schlechten Eindruck dann an die materiell-rechtlichen Probleme heran. Dagegen wirkt ein guter Tatbestand oder eine ordentliche Zulässigkeitsprüfung sehr positiv; der Korrektor freut sich. Wenn die weiteren Ausführungen nicht schlecht sind, wird er den guten Eindruck behalten und entsprechend bewerten.
18Aber nicht nur deshalb lohnt es sich, diese Fragen ordentlich zu behandeln, eine gute Bearbeitung der „Randfragen“ hat große Vorteile. Die Zulässigkeitsfragen sind meist wesentlich einfacher – sie wiederholen sich beinahe immer – und damit vor allem viel kalkulierbarer und damit leichter vorzubereiten. So kommen in den meisten Examen Fragen der Hauptsacheerledigung, der Streitgenossenschaft und (unbezifferte) Schmerzensgeldanträge mit einem Feststellungsantrag dran. Häufig wird Widerklage erhoben, ein Vergleich angefochten oder die Aufrechnung erklärt. Auf all dies kann man sich leicht vorbereiten, während die materiell-rechtlichen Problem unendlich weit gestreut sind und wohl kaum alle erfasst werden können. Dagegen gibt es in der Zulässigkeit 60 bis 80 Standardprobleme, von denen ein großer Teil in jedem Examen abgeprüft wird. Also eine gute Investition dies zu lernen und zu bearbeiten.
19Es sollten daher in der Klausur immer zuerst die Zulässigkeitsfragen bearbeitet werden, bevor mit der Begründetheit begonnen wird; auch in der Anwaltsklausur. Ob die Zulässigkeitsfragen dann im Aufbau zu Anfang oder erst am Ende dargestellt werden müssen, ist hierfür nicht von Bedeutung. Gleiches gilt für das Rubrum und den Tatbestand. Es ist nahezu sicher, dass im Examen mindestens ein Tatbestand gefertigt werden muss. Wurde ein solcher häufig geübt, sind es einfache Punkte, weil dazu sämtliche Informationen im Sachverhalt sind. Ein Rubrum muss – sinnvollerweise – nur dann angefertigt werden, wenn es dabei Schwierigkeiten gibt; meist ist eine Partei verstorben oder es hat sonst ein Parteiwechsel stattgefunden.
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