1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 »Ihre Schwester?«
»Ja.«
»Und wohin?«
»Ach, das weiß ich nicht.«
»Und der Vater des Jungen, Johnny Svendsen, erzählen Sie uns ein wenig mehr über ihn.«
»Der!« Bjørn Tore Lønn schnaubte. »Der ist einfach unmöglich. Ein Mistkerl, wenn Sie mich fragen.«
»In welcher Hinsicht?«
»In jeder Hinsicht. Die beiden hatten schon lange Probleme. Der ist einfach nicht ganz sauber.«
»Sie meinen also, er könnte es gewesen sein?«
»Ich weiß nicht, er war natürlich der Erste, an den ich gedacht habe ...«
»Aber?«
»Er kann es gewesen sein«, sagte er mit harter Stimme.
Cato Isaksen legte beide Hände um den heißen Kaffeebecher. »Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
Bjørn Tore Lønn schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, sagte er.
»Und hat ihre Schwester andere Freunde?«
»Sie hat, Verzeihung, sie hatte nicht viele Freunde. Dafür war kein Platz, so breit, wie Johnny sich gemacht hat. Eigentlich glaube ich, dass sie ziemlich einsam war.«
»Wann haben Sie Ester zuletzt gesehen?«
»Zu Silvester. Zuerst wollte sie zusammen mit Markus und unseren Eltern auf Enger feiern, aber dann kam etwas dazwischen.«
»Was denn?«
»Na ja, ich nehme an, dass meine Mutter wieder ein wenig zu kritisch war. Ich weiß es nicht genau, aber Ester rief an und wollte abgeholt werden. Ich war an diesem Abend mit ein paar Freunden verabredet, aber ich bin dann zuerst zu ihr gefahren.«
Cato Isaksen nickte.
»Wir waren wohl so gegen fünf wieder in der Stadt.«
»Und Markus?«
»Nein, der ist bei unseren Eltern geblieben, sie erwarteten wohl ein paar Nachbarn zu Besuch. Die haben einen Jungen in Markus’ Alter.«
»Und ihre Schwester wollte den Abend allein verbringen?«
»Das weiß ich nicht so genau. Ich hatte den Eindruck, dass sie irgendetwas vorhatte.«
»Aber Namen hat sie nicht erwähnt?«
Er schüttelte energisch den Kopf. »Wie gesagt, das war nur so ein Gefühl. Einmal, als ich sie besucht habe, lag da eine Herrenjacke aus Wildleder. Sie lachte nur, als ich wissen wollte, wem die gehörte. Ich glaube, sie hatte es ein bisschen satt, dass unsere Mutter sich in alles einmischte. Deshalb wollte sie sicher noch etwas warten, ehe sie davon erzählte. Aber ich weiß ja nicht mal, ob sie wirklich einen neuen Freund hatte.«
»Aber irgendwelche Bekanntschaften muss sie doch gehabt haben, Ihre Schwester?«
»Ja, ich weiß von zwei Freundinnen. Einer Kollegin von der Post, Nanna heißt die, glaube ich. Ich arbeite ja selber bei der Post, aber die aus der Sortierabteilung kenne ich nicht. Und dann natürlich Lise. Lise Sommer, ihre beste Freundin von früher.«
»Wissen Sie, wo wir Lise Sommer erreichen können?«
»Nein. Die beiden hatten schon eine ganze Weile keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht so recht, warum, ich hatte irgendwie den Eindruck, sie hätten sich zerstritten.«
»Auf welche Weise denn?«
»Ach, früher ist mir Lise ab und zu übern Weg gelaufen. Unten in Enger oder bei Ester und Johnny. Dann ist Ester von Johnny weggegangen und ich glaube, seither hab ich Lise nicht mehr gesehen. Aber ich habe nicht so viel darüber nachgedacht. Ich glaube, das ist etwa zwei Jahre her.«
»Ester wohnte also seit zwei Jahren allein?«
»Ja, ungefähr.«
Bjørn Tore Lønn rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er rieb die Hände aneinander und schaute in eine andere Richtung. »Johnny war eigentlich auch mit mir befreundet«, sagte er. »Ich hab ihn schon als Kind gekannt. Und er war immer schon so, der Johnny, meine Eltern konnten ihn noch nie leiden.«
Cato Isaksen nickte viel sagend. »Sie kennen einander also alle schon seit Ihrer Kindheit?«
Bjørn Tore Lønn nickte. »Ja, mit Lise und Johnny bin ich zusammen aufgewachsen.«
»Haben Sie selbst Familie?«
Wieder schüttete Bjørn Tore Lønn den Kopf.
»Eine Freundin?«
»Nein.«
»Was machen Sie denn so beruflich? Ich meine, Sie haben ja bereits gesagt, dass Sie auch bei der Post arbeiten.«
»Ja, aber im Moment nicht.« Eine leichte Röte glitt über das breite Gesicht. »Ich habe Probleme mit dem Rücken, kann nichts mehr tragen. Und solche Postsäcke sind ganz schön schwer. Ich bin krankgeschrieben.«
»Und Sie wissen ganz bestimmt nicht, wo Johnny Svendsen sich aufhält?«, fragte Cato Isaksen noch einmal. »Wir können nämlich auch keine Handynummer von ihm ausfindig machen. Wissen Sie vielleicht, ob er ein Handy hat?«
»Keine Ahnung.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Draußen schneite es jetzt. Große feuchte Flocken schmolzen an den Fensterscheiben. Der Heizkörper ächzte leise.
»Ach, den?« Bjørn Tore Lønn starrte zu Boden. »Ach«, sagte er noch einmal und schüttelte den Kopf. »Das ist lange her.«
»Wie lange denn?«
»Ein halbes Jahr, vielleicht auch länger.«
»Ein halbes Jahr. Und wo sind Sie ihm damals begegnet?«
»Durch Zufall, auf der Straße.«
Randi Johansen notierte alles, was gesagt wurde. Sie musterte Bjørn Tore Lønn von der Seite und fand, dass seine breite Gestalt irgendwie auch Weichheit ausstrahlte.
Bjørn Tore Lønn wippte rhythmisch mit einem Bein. Er hatte kräftige Oberschenkel. Das Geräusch störte die beiden anderen Anwesenden. Der junge Mann war davon überzeugt, dass Johnny Svendsen nun endlich seine Drohung wahr gemacht hatte, nämlich Ester Synnøve umzubringen. Er würde ihn finden und vernichten und seine Leiche irgendwo hinterlassen. Nur dann könnte er Frieden finden. Johnny sollte büßen. Er wollte nicht riskieren, dass die Polizei keine ausreichenden Beweise fand. Johnny war ein gerissener Kerl. Und er hatte es nicht verdient, am Leben zu bleiben.
Cato Isaksen war mit seinen sechsundvierzig Jahren ein durch und durch erfahrener Fahnder. Er war daran gewöhnt, das Verhalten der Menschen, die er vernahm, zu interpretieren. Er war darauf trainiert, auf ihre andere Stimme zu hören, auf die, mit der sie nicht sprachen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, ihre Mienen zu durchschauen und das zu sehen, was sich dahinter verbarg. Das wurde Intuition genannt. Und mit Bjørn Tore Lønn stimmte ganz einwandfrei etwas nicht. Er sagte vielleicht die Wahrheit, aber er sagte nicht alles. Er schien energisch um Beherrschung zu kämpfen. Seine Trauer war zwar echt, aber trotzdem stimmte etwas nicht mit ihm.
»Ich weiß nicht so recht, ob Sie uns alles erzählen«, sagte Cato Isaksen plötzlich. Er sagte das sehr ruhig, um sein Gegenüber so wenig wie möglich zu provozieren. Randi Johansen ließ ihn nicht aus den Augen.
Bjørn Tore Lønn war sichtlich überrumpelt. Seine Trauer war wie weggeblasen. Er ging sofort in die Luft. »Sie glauben mir nicht? Meine Schwester ist tot! Meinen Sie etwa, ich lüge? Und erzähle der Polizei nicht alles, was ich weiß? Meinen Sie das?«
»Ich weiß nicht, Sie haben immerhin ausgesagt, dass Sie auch mit Johnny Svendsen befreundet waren. Ich hoffe nicht, dass Sie versuchen, ihn zu beschützen.«
»Befreundet, ja, verdammt. Ich habe gesagt, dass das lange her ist. Merken Sie sich das. Lange her.«
Cato Isaksen ließ sich in seinem Sessel zurücksinken. Er verschränkte die Arme und seufzte leise. Er hatte beschlossen, den Bruder der Ermordeten beschatten zu lassen. Sobald der junge Mann das Büro verließ, würde sich ihm das Fahnderduo Billington und Thorsen an die Fersen heften. Die beiden äußerst fähigen Kollegen waren auch privat eng befreundet.
»Na gut, tut mir Leid«, sagte der Kommissar. »Aber wir verfolgen doch dasselbe Ziel, Sie und ich, oder?«
Bjørn Tore Lønn gab keine Antwort.
»Vielen Dank. Würden Sie uns anrufen, wenn Ihnen noch etwas einfällt?«
Der Mann erhob sich müde. Er war groß, einen ganzen Kopf größer als Cato Isaksen. »Ich werde versuchen, ihn zu finden«, sagte er.
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