„Da bin ich also!“ begrüßte er Achim, als dieser die Treppe hinunterschritt.
„Guten Tag, Baron Lauff! Ich dachte schon, Sie würden mich vor dem Hörsaal auf dem Flur erwartet haben. Aber dieser Treffpunkt war Ihnen wohl sicherer, nicht wahr?“
„Offen gestanden“, lachte Baron von Lauff, „ist es mir schon lieber, wir treffen uns außerhalb der Uni, ich getraue mich nämlich gar nicht mehr hinein.“
„Sie trauen sich nicht?“ fragte Achim erstaunt. „Haben Sie denn Ihre Kolleggelder nicht bezahlt?“
„Das schon, aber ich könnte ja mal einem der Herren Professoren begegnen, und da wäre es mir doch sehr peinlich, wenn er mich fragen würde, wo ich eigentlich meine kurzen Tage verbrächte.“
„Nun, Sie sind ja nicht auskunftspflichtig“, lachte Achim zurück, „wofür haben wir denn unsere akademische Freiheit!“
„Das meine ich auch“, bestätigte der Baron und klopfte Achim auf die Schulter. „Was nutzt uns alle Freiheit, wenn wir keinen Gebrauch von ihr machen. Und ich habe mir eben erlaubt, mir nun schon das vierte Semester um die Ohren zu schlagen. Das heißt, ganz so schlimm ist es ja nicht, denn meine Vorprüfung mache ich noch in diesem Sommer!“
„Dann wünsche ich guten Erfolg!“ sagte Achim, der von Beatrix wußte, welch ein fanatisches Arbeitstier der Baron war, wenn er es einmal gepackt hatte. Und da er seit einem halben Jahr mit der Baronesse Gisela von Dammerow verlobt war, würde er wohl alles daransetzen, sein Studium schnell zu beenden, um dann heiraten zu können.
Einen Vorteil allerdings hatte Baron von Lauff den meisten seiner Studienkollegen voraus: er brauchte eigentlich kein Diplom und keine Abschlußprüfung, denn er ging ja nicht zu anderen Leuten in einen Beruf, sondern er übernahm das väterliche Gut. Wenn er trotzdem eine Prüfung machte, so geschah es, weil er nicht die Achtung vor sich selber verlieren wollte. Er stand auf dem Standpunkt, daß man alles im Leben verlieren könne, nur nicht das, was man einmal gelernt hatte. Trotz aller Romantik und der vielgepriesenen Burschenherrlichkeit stand Baron Rüdiger von Lauff mit beiden Füßen fest im Leben.
„Und nun auf in den Kampf, Achim!” sagte der Baron und führte den Freund zu einer Droschke, die am Straßenrande wartete. „Meine Verbindungsbrüder sind schon neugierig, den neuen Fuchs kennenzulernen! Oder haben Sie es sich inzwischen etwa anders überlegt?”
„Aber nein, Baron, ich halte selbstverständlich meine Zusage! Und außerdem habe ich heute einen Brief von daheim bekommen. Es scheint sich alles wieder einzurenken.“
„Ihr Herr Vater hat geschrieben?“ fragte Baron von Lauff voller Freude.
„Nein, nicht mein Vater, sondern meine Mutter. Aber sie teilt mir mit, daß Graf Lockstätten mit ihm gesprochen hat und daß er seitdem wieder ein freundliches Gesicht macht. Den Bannstrahl wird er also wohl über kurz oder lang zurücknehmen.“
„Das möchte ich Ihnen von Herzen wünschen, Achim! Aber da wir schon einmal bei den frohen Nachrichten sind, will ich Ihnen auch noch etwas berichten. Sie sind einstimmig in die Saxo-Borussia aufgenommen, obwohl man Sie noch nicht gesehen hat!“
„Was ich natürlich wieder Ihnen verdanke, Baron!“
„Nun lassen Sie es schon gut sein“, wehrte dieser jeden Dank ab. „Dafür erwartet man allerdings auch etwas von Ihnen.“ Als er bemerkte, wie ihn Achim Hollmann neugierig anschaute, fuhr er fort: „Man wird Ihnen antragen, den Paukbetrieb zu übernehmen. Ich darf doch wohl erwarten, daß Sie zusagen werden?“
„Ich werde Ihre Erwartung nicht enttäuschen, Baron Lauff! Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß ich dieses Amt auch wieder Ihnen verdanke?“
„Nichts für ungut, Achim, ich sah darin die beste Lösung in der gegenwärtigen Situation. Das Amt des Paukwarts wird anständig honoriert und gibt Ihnen die Möglichkeit, doch noch aktiv zu werden. Aber bitte, reden wir nicht mehr darüber, Sie werden schon mit uns zufrieden sein!“
Da reichte ihm Achim spontan die Hand.
„Wie Sie wünschen, Baron! Und ich werde mir natürlich die größte Mühe geben, um alle Erwartungen der Saxo-Borussia zu erfüllen!”
Als sie vor dem Hause vorfuhren, sagte Achim:
„Eine Bitte hätte ich aber noch, Baron! Sie wissen, ich möchte Trixi heute nachmittag treffen. Das muß unter allen Umständen möglich sein!“
„Sie haben Angst vor dem Frühschoppen?” lachte Baron Lauff. „Nun gut, ich werde dafür sorgen, daß Sie rechtzeitig und nüchtern wieder nach Hause kommen!“
Das Korpshaus der Saxo-Borussen war eine große, geräumige Villa im Stil der Gründerjahre. Sie war als Korporationshaus aus den Stiftungen der Altherrenschaft erbaut worden, und darum hatte man mehr Wert auf besondere Zweckmäßigkeit als auf übertriebenen Luxus gelegt. Neben den Zimmern der Studenten, die im Hause wohnten, und der Wohnung des Pedellen gab es noch mehrere Gesellschaftszimmer und gleich im Parterre eine schöne, holzgetäfelte Diele. Den Hauptraum aber nahm die sogenannte Kneipe ein, ein langgestreckter Raum, der die ganze Fensterfront des Hauses beanspruchte und sein Licht aus hohen, gotischen Buntglasfenstern erhielt.
In diesem Raum saßen die Herren Studenten versammelt, als Baron Rüdiger von Lauff seinen Freund einführte und mit den Hausherren bekanntmachte. Das ging nach einem besonderen Zeremoniell vor sich und wurde von allen sehr ernst genommen. Der hier angewandte Komment und die vielen hochtönenden Namen, die an Achims Ohr klangen, machten ihn im ersten Augenblick ein wenig befangen. Trotzdem hielt er sich ausgezeichnet.
Der erste Chargierte, Adolf Graf von der Holst, hieß Achim Hollmann in wohlgesetzten Worten im Kreise der Saxo-Borussen willkommen und wies ihm einen Platz im ‚Fuchsstall‘ an, jenem Teil der langen Tafel, wo die krassen Füchse, also die Studenten im ersten Semester, saßen, den Burschen als ihren Lehrherm nach dem Munde sahen und bestrebt waren, es ihnen in allem gleichzutun.
Der zweite Chargierte, Bodo Herwarth, spielte heute die Rolle des Fuchsmajors, auf dessen Kommando die Füchse ‚sich löffeln‘ oder ‚in die Kanne steigen‘ mußten. Und zu diesen Füchsen gehörte auch Achim Hollmann. Als er schon mehrere Male sein Gemäß gehoben und einen tiefen Zug getan hatte, warf er dem Baron von Lauff einen hilfesuchenden Blick zu, den dieser auch sofort verstand, denn er erhob sich und bat um Silentium, nachdem ihm der erste Chargierte das Wort erteilt hatte.
„Burschen und Füchse, bitte einmal herhören! Als Leibbursch fühle ich mich für das körperliche und seelische Wohl meines Leibfuchses Achim Hollmann voll verantwortlich. Da das eine aber nicht vom anderen zu trennen ist, das seelische Wohl aber heute von Umständen abhängig ist, die meine Kompetenzen übersteigen, bitte ich für ihn um verständnisvolle Rücksicht und besonderes Wohlwollen ...“
„Rücksicht verdient nur ein ausgewachsener Kater!“ warf einer der Füchse dazwischen, der jedoch vom ersten Chargierten sofort zur Ordnung gerufen wurde:
„Hasselmeyer möge sich löffeln wegen vorlauter Bemerkung!“
Der Fuchs hob sein Glas und trank. Baron von Lauff konnte fortfahren, nachdem der Präside dem vorlauten Fuchs den Rest des Glases geschenkt hatte:
„Ich betone ausdrücklich, daß bei meinem Leibfuchs weder ein Kater noch ein körperliches Unwohlsein vorliegen, sein seelisches Gleichgewicht hängt vielmehr von einem Minnedienst ab, den er im Laufe des Nachmittags ohne Beeinträchtigung durch die Nachwirkungen eines Frühschoppens zu absolvieren hat. Darum tempus peto für Achim Hollmann!“
„Habeas!“ gewährte der Präside den erbetenen Urlaub.
„Die Liebe soll leben!“ rief ein Bursche dazwischen, bevor der Präside zu Ende gesprochen hatte, was diesen, zur Aufrechterhaltung der Disziplin, zu dem scharfen Befehl veranlaßte:
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