Alrun von Berneck
Roman
Saga
Karins neuer Vater
© 1955 Alrun von Berneck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711507537
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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„Das ist aber eine Überraschung!“ sagte die junge Frau, als sie die Tür öffnete und ihre Freundin gewahrte. „Kannst du denn so einfach deine Praxis im Stich lassen und fortgehen?“
„Aber gewiß kann ich das, Elsbeth!“ erwiderte die Freundin, „Und außerdem ist heute Mittwoch nachmittag, du solltest eigentlich wissen, daß ich heute keine Sprechstunde mehr habe!“
Inzwischen hatte die Hausfrau die Tür freigegeben und ihre Freundin eintreten lassen.
„Bitte, leg doch ab, Margot! Komm herein, ich habe bereits eine gute Tasse Kaffee aufgeschüttet!“
Fräulein Doktor Fuhrmann legte Hut und Mantel ab und ging mit der Freundin ins Wohnzimmer.
„Wo steckt denn Karin?“ fragte das Fräulein Doktor. „Etwa im Kindergarten?“
„Nein, Karin ist heute bei der Großmutter. Ich wollte sie heute nachmittag nämlich nicht mitnehmen“, gab Elsbeth Haurand Auskunft.
„Ach, du hattest etwas vor? Ich komme also ungelegen? Bitte, Elsbeth, keine Ausflüchte! Sag mir ruhig, wenn es so ist!“
Elsbeth schaute nach ihrer Armbanduhr, dann lächelte sie schwach.
„Wir trinken erst einmal in aller Ruhe Kaffee!“ erklärte sie dann mit Bestimmtheit. „Es ist sowieso erst drei Uhr. Und was ich vorhabe, das schaffe ich schon. Ich will nämlich zum Friedhof, weißt du!“
Margot Fuhrmann schaute betroffen auf.
„Aber da komme ich doch ungelegen, Elsbeth!“ sagte sie mit leisem Vorwurf in der Stimme. „Ich komme gern am Samstag oder am nächsten Mittwoch noch einmal her. Ich wollte dich doch nureinmal wiedersehen!“
„Das is lieb von dir, Margot! Ich freue mich ja so darüber! Und darum bleibst du jetzt auch ein Stündchen bei mir!“
Die Ärztin war zwar nicht ganz davon überzeugt, daß sie recht daran tat, wenn sie jetzt bliebe, aber sie wollte auch nicht weiter widersprechen, denn die Freude Elsbeths über den Besuch war echt, das sah sie sogleich. Elsbeth war ein viel zu unkompliziertes Menschenkind, um sich verstellen zu können.
Margot nahm also Platz und sah sich im Zimmer um. Und da entdeckte sie auch den Blumenstrauß, der ein wenig versteckt auf dem Büfett stand. Es war ihr sofort klar, daß er nicht dazu diente, das Zimmer zu verzieren.
„Du wolltest die Rosen zum Friedhof bringen, Elsbeth?“
„Ja, das wollte ich, Margot! Heute vor zwei Jahren ist das mit Walter passiert!“
„Heute vor zwei Jahren?“ wiederholte die Ärztin voller Anteilnahme. „Mein Gott, wie doch die Zeit vergeht!“
„Ich kann es auch kaum fassen“, erwiderte Elsbeth. „Mir ist immer noch so, als sei es erst gestern gewesen. Noch immer sehe ich den Polizisten vor mir stehen, der mir die Nachricht von dem Unfall überbrachte.“
„Ja, es gibt Dinge, die man so schnell nicht vergißt! Und wenn man bedenkt, wie groß die Liebe zwischen euch war, dann kann man es gar nicht fassen, daß das Schicksal hier so brutal zuschlagen konnte.“
„Das Schicksal ist immer brutal, Margot!“ sagte Elsbeth düster. „Man muß für alles im Leben bezahlen, und das Glück hat einen sehr hohen Preis!“
„Aber du hast ja Karin!“ versuchte die Freundin zu trösten. „Das Kind ist doch der Sonnenschein in deinem Leben! Sie macht dir doch nur Freude und gibt deinem Leben einen wirklichen Inhalt!“
Elsbeth sah schweigend vor sich hin, erwiderte aber nichts. Da merkte Margot, daß sie hier ein Thema angeschnitten hatten, das besser unerörtert blieb. Wenigstens vorläufig und auf jeden Fall an diesem Tage, der sowieso schon voll trüber Erinnerungen war. Heute vor zwei Jahren war Walter Haurand mit seinem Wagen tödlich verunglückt und hatte seine Frau und sein kleines Töchterchen schutzlos zurückgelassen.
„Und wie geht es deiner Mutter, Elsbeth?“ fragte die junge Ärztin, um die Freundin auf andere Gedanken zu bringen.
„Danke, ausgezeichnet, Margot! Aber du weißt ja, Mama hat ihre eigenen Ansichten vom Leben. Nicht immer verstehen wir uns, und es kommt schon mal vor, daß wir uns streiten. Aber dann vertragen wir uns auch wieder und alles ist vergessen.“
„Früher hast du dich doch so gut mit ihr verstanden, Elsbeth! Ich erinnere mich sehr deutlich daran, daß du mir gegenüber stets ihre Lebensklugheit hervorgehoben und bewundert hast.“
„Und nun bist du erstaunt, daß ich meiner Mutter in ihren Ansichten nicht immer folgen kann? Ja, Margot, ich bin eben älter und reifer geworden. Da bildet man sich seine eigenen Ansichten vom Leben!“
„Und die stimmen mit denen deiner Mutter nicht mehr überein? Das wundert mich, offen gestanden.“
„Ach, es ist doch müßig, sich darüber aufzuregen“, sagte Elsbeth müde. „Mama gehört eben einer anderen Generation an. Sie versteht manches nicht, und vieles, das sie selbst für richtig hält, ist heute längst überholt!“
„Mag sein, daß du recht hast, Elsbeth. Wir alle müssen ja unser Leben selbst in die Hand nehmen. Im Grunde genommen kann uns da wohl keiner helfen!“
„In den grundsätzlichen Dingen nicht, da muß ich dir beipflichten, Margot!“
„Eigentlich ist das schade“, sagte die Ärztin langsam. „In meiner Praxis versuche ich es auch immer wieder, meinen Patienten zu helfen, sie seelisch zu beeinflussen und ihr Handeln in eine bestimmte Richtung zu lenken. Aber ich habe fast immer die Erfahrung machen müssen, daß alle Anstrengungen vergebens waren. Wenn es mir gelang, ihnen wenigstens den Anstoß zu eigenem Handeln zu geben, war das schon ein großer Erfolg!“
„Und woran mag das liegen, Margot?“
„Was meinst du, Elsbeth?“
„Daß sich die meisten Menschen nicht helfen lassen!“
„Am Eigensinn gewiß nicht! Aber bedenke, jeder Mensch geht seinen eigenen Weg. Und wenn er erst einmal erwachsen ist, gibt es nichts mehr umzumodeln. Es ist beinahe wie ein Gesetz, daß sich seine Entwicklung in einer ganz bestimmten Richtung vollziehen muß!“
„Und die Menschen handeln nach diesem Gesetz?“ fragte Elsbeth ein wenig skeptisch.
„Im Grunde genommen ja, trotz aller Umwege! Aber meistens kennen sie ihr eigenes Gesetz nicht. Sie sind die armen Opfer, die zwischen Gefühl und Verstand hin- und herpendeln. Ihr Gefühl, oder besser noch ihr Instinkt, weist ihnen den Weg, den sie ihrer Natur nach gehen müßten, aber ihr Verstand glaubt es besser zu wissen.“
Elsbeth zupfte an ihrem Taschentuch und schau te sinnend zum Fenster hinaus. Es war, als dächte sie über die Worte der Freundin nach. Dann warf sie verstohlen einen Blick auf die Uhr.
Im gleichen Moment hatte auch die Ärztin bemerkt, daß es jetzt an der Zeit war, aufzubrechen.
„Wir fahren also zum Zentralfriedhof, nicht wahr, Elsbeth?“ fragte sie wie selbstverständlich.
Erstaunt sah die Freundin auf.
„Ja, ich habe meinen Wagen unten. Da wirst du mir wohl erlauben, daß ich dich an dein Ziel bringe. Aber keine Angst, ich gehe nicht mit hinein, ich setzte dich vor dem Tor ab!“
„Du kannst ruhig mit mir zum Grab gehen, Margot!“
„Nein, bitte nicht!“ sagte die Ärztin. „Ich habe eine unüberwindliche Abneigung gegen Friedhöfe. Ich habe schon oft versucht, dagegen anzugehen, aber bis heute ist es mir nicht gelungen!“
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