Alrun von Berneck
Nie werde ich den Tag vergessen
Roman
Saga
Nie werde ich den Tag vergessen
German
© 1954 Alrun von Berneck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711507520
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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„Ich weiß wirklich nicht, Frau Steffen, ob ich das anziehen soll“, sagte Birgit und betrachtete kritisch das pompöse Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, das Frau Steffen entfaltet hatte und mit ausgestrecktem Arm von sich hielt, um dem jungen Mädchen die ganze Pracht dieses Kleidungsstückes vor Augen zu führen.
„Ich finde, so etwas paßt doch nicht zu mir!“
„Aber Fräulein Lindberg!“ widersprach Frau Steffen. „Sie gehen doch zum Maskenball, und ich finde, zu Ihrer Figur paßt das Kleid großartig!”
Birgit errötete, als Frau Steffen ihre Figur erwähnte. Man hatte ihr oft genug gesagt, daß sie schön wäre, aber ebenso oft hatte man ihr auch den Vorwurf gemacht, ihre Reize nicht richtig zur Geltung zu bringen.
„Zu meiner Figur vielleicht“, antwortete Birgit mit halb nachsichtigem, halb überlegenem Lächeln, „aber nicht zu meinem Lebensstil! Und das, denke ich, dürfte das Entscheidende sein!“
„Für jede andere Gelegenheit würde ich Ihnen recht geben, Fräulein Lindberg“, beharrte Frau Steffen auf ihrer Meinung, „aber bei einem Maskenfest will man doch nicht seine persönliche Note unterstreichen, sondern da will man doch etwas darstellen, was niemand hinter der Maske vermutet!“
„Sie meinen, auf einem Maskenfest ließe man seinen Wunschträumen freien Lauf? Da ginge die Gemüsefrau als Kommerzienrätin und die kleine Sekretärin als Madame Pompadour?“
„So ähnlich denke ich mir das“, gab Frau Steffen zu. „Und darum sollten Sie dieses Kleid ruhig anziehen, Fräulein Lindberg!“
„Und was soll ich eigentlich darin darstellen?“
„Eine Hofdame aus der Rokokozeit natürlich! Die Perücke habe ich auch gleich mitgebracht. Und bevor wir heute abend ausgehen, muß ich Ihnen auch noch ein Schönheitspflaster auf die Wange kleben!“
„Was Sie alles mit mir vorhaben!“ seufzte Birgit und schien sich in ihr Schicksal zu ergeben.
„Ich glaube, Sie haben gar keine rechte Lust, dieses Fest aufzusuchen, Fräulein Lindberg?“ fragte Frau Steffen, und es lag ein leiser Vorwurf in ihrer Stimme. „Tun Sie es am Ende nur darum, weil Sie es mir versprochen haben?“
„Aber nein, Frau Steffen“, widersprach Birgit lebhaft. „Selbstverständlich komme ich gern mit. Schließlich muß mein Urlaub doch einen recht eindrucksvollen Abschluß finden!“
„Das denke ich auch! Sie sind jetzt fast drei Wochen in meinem Hause und haben noch kein einziges Fest mitgemacht!”
„Dazu war ich ja auch nicht hier“, meinte Birgit lächelnd, denn es amüsierte sie, wie sich Frau Steffen ihretwegen ereiferte. „Wenn man sich erholen will, kann man keine Feste feiern! Entweder das eine oder das andere, beides zusammen dürfte wohl unmöglich sein.“
„Nun, für Ihre Erholung haben Sie wirklich jetzt genug getan”, antwortete die Pensionswirtin. „Sie haben jeden Tag bis acht Uhr geschlafen, sind den ganzen Vormittag Ski, gelaufen, am Nachmittag waren Sie auf der Eisbahn, sind abends früh zu Bett gegangen; da haben Sie es direkt verdient, daß Sie sich auch einmal etwas Besonderes gönnen.“
„Und Sie glauben nicht, daß ich mit dem tollen Abend, der uns heute bevorsteht, die ganze Erholung in Frage stelle?“ fragte Birgit, und der Schalk blitzte in ihren Augen.
„Fräulein Lindberg, wenn Sie überall so zurückhaltend sind, wie Sie es seit Ihrer Ankunft waren, dann fürchte ich, Sie merken nicht einmal, daß das Maskenfest heute abend ein Fest des Übermuts und der frohen Laune ist!“
„Nun, frohe Laune muß ja nicht unbedingt in Übermut ausarten!“ wies sie Birgit mit feinem Spott zurecht. Damit kam sie aber bei Frau Steffen an die falsche Adresse, denn diese sagte erregt:
„Gerade ein bißchen Übermut könnte Ihnen nicht schaden, Fräulein Lindberg! Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das sage, aber als ich so jung war wie Sie, habe ich mich nicht so zurückgehalten, ich bin keinem Vergnügen aus dem Wege gegangen. Und ich habe es nicht zu bereuen gehabt!“
„Aber ich kann doch nicht aus meiner Haut!“ antwortete Birgit mit einem tiefen Seufzer. „Ich will es ja versuchen, Frau Steffen, aber ob es mir gelingt, weiß ich wahrhaftig nicht!“
„Wenn Sie erst dieses Kostüm anhaben, sind Sie auch ein anderer Mensch! Sie müssen nur darauf achten, daß Sie sich recht natürlich und ungezwungen darin bewegen.“
„Ich will es versuchen, Frau Steffen, Ihnen zuliebe!“ versprach Birgit, nahm das Kleid in die Hand und trat zum Spiegel, um die Wirkung abzuschätzen. Da sie aber noch ihren Pullover trug, gewann sie keine rechte Vorstellung davon, wie ihr der tiefe Ausschnitt stehen würde.
„Ziehen Sie es ruhig einmal an!“ sagte Frau Steffen aufmunternd. „Ich schaue dann gleich noch einmal herein, um es zu begutachten!“
Sie nickte dem jungen Mädchen aufmunternd zu und verließ das Zimmer. Birgit blieb mit ihren Gedanken allein.
Sie hatte in der Pension der Frau Steffen drei herrliche Urlaubswochen verlebt, und ihre Wirtin hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Und da Birgit von Natur aus zur Dankbarkeit neigte und es stets anerkannte, wenn ihr jemand Gutes getan hatte, war es für sie selbstverständlich gewesen, sich für diese Betreuung, die in einem Badeort durchaus nicht immer zu den Pflichten der Quartiergeber gehörte, zu revanchieren. Und da sie wußte, daß Frau Steffen trotz iher fünfzig Jahre sehr lebenslustig war, schien ihr eine Einladung zum Sommernachtsball das Gegebene zu sein. Sie hätte ihre Wirtin auch zu jeder anderen Veranstaltung eingeladen, aber es traf sich nun einmal so, daß ihre Urlaubszeit gerade mit diesem Kostümfest abschloß.
Birgit Lindberg war eigentlich nicht für laute Fröhlichkeit, denn diese paßte nicht zu ihrem Wesen. Sie war ein ernst veranlagter Mensch mit besonders stark ausgeprägter Pflichtauffassung, was sowohl ihr bisheriges Leben, als auch ihre Berufswahl bestimmt hatte. Sie hatte sich als Krankenschwester ausbilden lassen und besaß den Ehrgeiz, es in ihrem Beruf zu etwas zu bringen. Als höchstes Ziel schwebte ihr vor, Operationsschwester bei einem bekannten Chirurgen zu werden. Gerade in den letzten Monaten hatte sie den ersten Schritt auf diesem Wege getan.
Und nun saß sie hier in den Bergen, hatte zwischen ihren Arbeitsabschluß auf ihrer alten Stelle und ihren Neuantritt im St. Kunibert-Hospital ein paar unbeschwerte Ferienwochen eingeschoben und freute sich bereits mit brennender Ungeduld darauf, sich bald wieder mit frischen Kräften in die Arbeit stürzen zu können.
Aber heute sollte sie feiern. Sie hatte es nicht nur ihrer Wirtin versprochen, sie war auch ein ganz klein wenig neugierig auf sich selbst. Ob sie wirklich noch die Unbeschwertheit ihrer ersten Mädchenjahre aufbrachte und fähig war, sich in den Trubel zu stürzen, ohne ihr Herz und ihre Gedanken andere Wege gehen zu lassen? Sie konnte es sich kaum vorstellen, daß sie sich völlig loslöste von dem, was die anderen den Ballast des Alltags nannten.
Mit einem skeptischen Lächeln ging sie daran, ihren Pullover über den Kopf zu ziehen und sich ihrer Wäsche zu entledigen. Dann griff sie mit spitzen Fingern nach dem Brokatkleid, dessen fremde Pracht sie ein wenig verwirrte.
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