Als der letzte Takt des Tanzes verklungen war, folgte sie ihm in die Bar. Wieder an ihren Tisch zurückzukehren, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. Und wieder tranken sie Sekt.
Eine Weile saßen sie sich stumm gegenüber. Dann sagte er:
„Weißt du, was ich mir jetzt wünsche, Katharina?“
„Nein, das weiß ich nicht!“
Sie dachte sich zwar allerlei, aber das mochte sie nicht aussprechen, aus Angst, sie könne nicht das Richtige getroffen haben.
„Dann muß ich es dir wohl sagen, nicht wahr? Also ich wünsche mir, daß es recht bald Mitternacht ist!“
„Wegen der Geisterstunde?“ fragte sie harmlos.
„Nein, aber dann ist Demaskierung, dann werde ich zum ersten Mal dein Gesicht sehen!“
„Wenn das nur keine Enttäuschung wird!“ sagte sie voller Skepsis. „Du machst dir sicher eine übertriebene Vorstellung von meiner Schönheit!“
„Wenn alles so schön ist wie deine Augen, Katharina, dann wäre ich glücklicher, als wenn ich das große Los gezogen hätte!“
„Und wenn es nun nicht der Fall ist?“ fragte sie schelmisch, aber dennoch stand die nackte Angst hinter ihren Worten. Wußte sie denn, was er zu sehen erwartete? Sicher hatte er einen recht verwöhnten Geschmack, und wenn er nun sah, wie sie wirklich aussah, würde er vielleicht enttäuscht sein.
Da griff er nach ihrer Hand und preßte sie so fest, daß seine Knöchel weiß wurden.
„Au, du tust mir ja weh!“ schrie sie leise auf.
„Entschuldige, Katharina, aber das ist bei uns in der Hölle nun mal so Brauch.“
„Auf solche Sitten und Gebräuche verzichte ich aber gern“, sagte sie halb im Scherz, halb im Ernst.
„Ich wil mich ja auch bessern, Katharina“, versprach er sofort. „Und außerdem, morgen ist das alles ganz anders!“
„Wie ist es dann?“ wollte sie wissen.
„Dann werde ich dir in aller Form einen offiziellen Besuch machen und mich für das entschuldigen, was ich heute, um meinen Ruf als Mephisto zu wahren, alles tun mußte.“
„Und dann?“ forschte sie weiter.
„Weißt du das wirklich nicht, Katharina?“ fragte er eindringlich und legte abermals seine Hand auf ihre Rechte.
„Nein, was soll ich denn wissen?“ fragte sie und zitterte vor Aufregung.
„Hast du denn noch nicht bemerkt, daß wir beide füreinander bestimmt sind?“
Sie sah auf, seine Stimme war ungewöhnlich ernst, und sein Blick ruhte forschend auf ihrem Gesicht. Das war kein Spaß mehr und kein Wortgeplänkel, das war Ernst!
Mit einem Male wurde ihr klar, in welcher Situation sie sich befand. Morgen? Hatte er nicht davon gesprochen, was morgen sein würde? Aber um Gottes willen, wohin verstieg sie sich! Morgen war ihr Urlaub beendet, morgen begann der Alltag und forderte sein Recht, morgen würde sie wieder die Krankenschwester Birgit Lindberg sein und nicht mehr die große Kurtisane Katharina.
Und im selben Augenblick wurde ihr klar, daß sie nicht verantworten konnte, was sie hier unternahm. Der Mann hatte sich ja in sie verliebt! Der war ja imstande und verlangte von ihr, daß sie am nächsten Tage fortsetzte, was sie heute aus einer Laune heraus begonnen.
Jawohl, aus einer Laune heraus!
Denn das konnte doch keine Liebe sein. Sie kannte ihn ja nicht einmal, wußte weiter nichts von ihm, als daß er ihre Sympathie im Fluge erobert hatte und daß ihm ihr Herz zuflog. Ja, so war es. Aber das durfte nicht sein! Immer war sie darauf bedacht gewesen, ihr Herz fest in der Hand zu behalten. Und das mußte auch so bleiben, wenn sie nicht im Leben und in ihrem Beruf Schiffbruch erleiden wollte!
Morgen! Dies eine kleine Wörtchen hatte es fertiggebracht, daß sie aus ihrem holdesten Traum herausgerissen und in die Wirklichkeit zurückgeschleudert wurde. Ihr Verstand, der sonst so zuverlässige, hatte sie im Stich gelassen, aber jetzt meldete er sich wieder, und sie mußte ihm Gehör schenken.
Mein Gott, dachte sie, wie komme ich da nur wieder heraus!
Plötzlich hörte sie wieder seine Stimme.
„Du hast mir noch keine Antwort gegeben, Katharina!“
Verstört sah sie ihn an. Ach ja, er wollte eine Antwort. Was hatte er denn nur gefragt? Ob sie nicht bemerkt habe, daß ...
„Auch Mephisto kann irren“, sagte sie mit rauher Stimme, denn das Herz drohte ihr bei diesen Worten zu zerbrechen. „Kein Mensch kann nach so kurzer Zeit eine Frage beantworten, die sein Schicksal bedeutet! Wir wissen doch nichts voneinander, gar nichts!“
„O nein, Katharina“, widersprach er heftig, „wir wissen alles! Du denkst genau so wie ich, willst es nur nicht zugeben!“
„Und wer sagt dir, daß ich so denke?“
„Mein Gefühl!“
„Gefühl!“ sagte sie und mühte sich um einen verächtlichen Ton. „Das Gefühl kann irren, der Verstand aber nicht! Und mein Verstand sagt mir, daß es ausgeschlossen ist, vollkommen ausgeschlossen ...“
„Bitte, Katharina, sprich nicht weiter!“ unterbrach er sie brüsk. „Du glaubst ja selbst nicht, was du jetzt sagen willst!“
Einen Augenblick lang war sie starr vor soviel Hartnäckigkeit. Er hatte sich also wirklich in diese Idee hineingesteigert. Sie hatten beide vollkommen vergessen, wo sie sich befanden. Aber einer von ihnen mußte doch den Kopf oben behalten! Wohin sollte es denn führen, wenn sie beide ihrem Gefühl freien Spielraum gaben? Das konnte doch nur in einer Katastrophe enden! Nein, das durfte nicht sein! Das konnte sie ihm und sich selbst nicht antun!
Es kostete sie übermenschliche Anstrengung, aber sie rang sich zu dem Entschluß durch, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Und wie konnte sie das? Sie mußte ihm ein Bild von sich selbst geben, das er abscheulich finden würde, damit er sich von ihr abkehrte.
„Ich glaube, Mephisto, mit deiner Klugheit ist es nicht weit her. Man hat sie bisher ohne Recht gerühmt und mehr in dich hineingeheimnist, als in Wirklichkeit darin steckt!“
„Wie meinst du das, Katharina?“ fragte er verblüfft, denn er konnte sich keinen Vers darauf machen, was sie wohl hatte sagen wollen.
„Du bist doch heute abend zu einem Maskenfest gegangen, nicht wahr?“
„Ja, natürlich doch!“
„Und du hast erwartet, hier Menschen anzutreffen, die eine Maske tragen?“
„Das ist ja auf einem Maskenfest so üblich!“
„Gut, also die Menschen, die du hier triffst, sind nicht das, was sie zu sein vorgeben. Du selbst bist als Mephisto gegangen, und ich bin davon überzeugt, daß nichts Teuflisches in dir steckt.“
„Und was willst du mir damit sagen?“
„Auch ich bin nicht das, was du in mir vermutest, ich habe nicht nur mein Gesicht, sondern auch meinen Charakter maskiert. Anders hätte mein Kostüm einer Königin ja nicht echt gewirkt!“
„Und wie bist du in Wirklichkeit, Katharina?“
„So, wie du mich nun absolut nicht sehen willst! Aber ich muß dir endlich die Augen öffnen, und sei es auch nur aus Dank für den Sekt, zu dem du mich eingeladen hast!“
„Katharina!“
„Still, ich muß jetzt sprechen! Ich bin nicht das kleine, unschuldige Hascherl, das du in mir sehen möchtest!“
„Katharina, du spinnst!“ sagte er, immer noch nicht von ihren Worten überzeugt.
„So, ich spinne? Dann will ich dir den Beweis liefern, du Höllensohn! Komm, laß uns tanzen!“
Die Musik spielte gerade einen wilden Foxtrott. Sie griff seine Hand und riß ihn förmlich mit sich. Und dann tanzten sie. Er kannte sie nicht wieder, so wild und ausgelassen wirbelte sie mit ihm über das Parkett. Und allen Männern, die sich nach ihr umschauten, machte sie schöne Augen.
Man wurde aufmerksam auf sie, klatschte Beifall, und alsbald traten die Paare zurück und gaben den Raum frei für ihren wilden Tanz. Der Mephisto im Frack hatte Mühe, diesen Temperamentsausbruch zu zügeln und mit seiner Partnerin Schritt zu halten.
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