„Das weiß ich noch nicht!“ antwortete sie, denn sie wollte sich nicht völlig bevormunden lassen.
„Was wissen Sie noch nicht, kleines Fräulein?“ fragte er, als habe er nicht recht verstanden.
„Ob ich überhaupt mit Ihnen anstoße! Ich wüßte ja nicht einmal, worauf wir anstoßen sollten!“
„Nun, auf unsere Bekanntschaft! Ich denke schon, daß das ein triftiger Grund sein wird!“ Er hielt inne und schaute sie an, dann näherte er sich ihrem Ohr und flüsterte: „Wenigstens für mich!“
Wieder kam diese vermaledeite Verlegenheit über sie, Birgit fühlte, wie sie rot wurde. Auch er mußte das bemerkt haben, doch diskret schaute er zur Seite und winkte dem Kellner.
Wenige Augenblicke später standen die Gläser vor ihnen.
Er hob sein Glas und fragte:
„Wie heißen Sie eigentlich, schönes Fräulein?“
„Warum wollen Sie das wissen?“ fragte sie zurück.
„Weil ich uns beiden die Möglichkeit verschaffen will, so miteinander zu sprechen, wie es bei einem Maskenball üblich ist.“
„Und was ist hier üblich?“ fragte sie naiv, fuhr aber gleich darauf fort: „Sie müssen meine Unkenntnis verzeihen, es ist der erste Maskenball in meinem Leben, den ich mitmache!“
Voll ungläubigen Staunens sah er sie an. Dann meinte er sachlich: „Bei einem Maskenball ist es üblich, daß sich die Besucher bei ihren Vornamen nennen, ganz besonders aber diejenigen, die beschlossen haben, den Abend gemeinsam zu verbringen!“
„Ja, haben wir denn das beschlossen?“ fragte Birgit. „Ich erinnere mich nicht, dazu meine Zustimmung gegeben zu haben!“
„Nein? Und ich hatte schon geglaubt, das hätte keiner besonderen Frage mehr bedurft!“
„Dann haben Sie sich eben geirrt, mein Herr!“ sagte Birgit hoheitsvoll, lenkte aber sofort wieder ein und sagte: „Da wir nun doch schon einmal hier sitzen, wollen wir auch das Trinken nicht vergessen. Also auf unsere Bekanntschaft, von der Sie sich Wunderdinge versprechen!“
„Wunderdinge?“ fragte er gedehnt. „Nein, schönes Fräulein, Wunderdinge erwarte ich von unserer Bekanntschaft nicht, sondern ganz schlicht und einfach das Wunder!“
Er hob sein Glas und schaute ihr in die Augen. Und sie erwiderte seinen Blick, ohne die Augen niederzuschlagen. Wenige Sekunden lang war beiden feierlich zumute, und die lärmende Umwelt schien für sie versunken zu sein.
Die Marketenderin auf dem Barhocker sah sich in diesem Augenblick um und blinzelte Birgit zu, als stünde sie mit ihr im geheimen Einverständnis. Irgendwie war dies Birgit unangenehm, es schien ihr fast wie eine Entweihung des Augenblicks, denn hätte ihr Begleiter den Blick ebenfalls bemerkt, hätte er daraus schließen können, sie beide gingen an diesem Abend auf Abenteuer aus.
Um dem Blickwechsel eine unverfängliche Note zu geben, hob Birgit ihr Glas und trank der Marketenderin zu. Als sie es leer auf den Tisch zurückstellte, rief ihr Mephisto abermals nach dem Kellner.
„Sie wollen mir also Ihren Namen nicht nennen?“ fragte er noch einmal. „Gut, ich respektiere Ihren Wunsch. Dann müssen wir eben einen Namen für Sie suchen!“
„Und welcher würde zu mir passen?“ fragte sie, auf den Scherz eingehend.
„Nun, ein königlicher müßte es zumindest schon sein, ein Name, der auch Ihrem Äußeren gerecht wird.“
„Ach, Sie meinen, ich wollte eine Königin darstellen?“
„Das dachte ich. Oder habe ich mich etwa geirrt?“
„Natürlich haben Sie sich geirrt!“ lachte Birgit amüsiert, und der Schalk gab ihr ein, ihn nun vollends zu verwirren. „Ich stelle nämlich eine Kurtisane dar, die größte, die es jemals gegeben hat!“
„Also eine königliche Kurtisane!“ ging er sofort auf den Scherz ein.
„Wie wäre es dann mit Katharina?“ fuhr sie fort. „Würde Ihnen der Name zusagen?“
„Zarin von Rußland, Herrscherin aller Reußen! Nicht schlecht“, sagte er und nickte beifällig, „jedenfalls war sie als Kurtisane ebenso groß wie als Kaiserin. Gut, ich nenne Sie Katharina!“
„Und wie geruhen der hohe Herr von mir angesprochen zu werden?“ fragte Birgit. „Hat Ihr Name auch eine Beziehung zu Ihrem Kostüm?“
„Ich hoffe es, Katharina!“ sagte er lachend.
„Beelzebub finde ich aber gar nicht schön als Rufnamen!“
„Vielleicht finden Sie eine liebenswürdige Umschreibung“, schlug er vor.
„Mephistopheles ist mir zu lang, da zerbricht man sich ja die Zunge! Und ein Faun sind Sie auch nicht, denn Ihren Pferdefuß habe ich noch nicht entdecken können.“
„Wir können es ja mit Mephisto versuchen, ich finde, die Abkürzung klingt doch ganz nett!“
„Na, meinetwegen!“ sagt sie gönnerhaft.
„Also trinken wir auf unsere neuen Namen!“ Er stand auf und hob sein Glas. Um ihm Bescheid zu tun, mußte auch sie sich erheben. Er schob seinen Arm unter den ihren und setzte das Glas an die Lippen. Birgit folgte seinem Beispiel. So tranken sie Brüderschaft.
„Und zur Besiegelung einen Kuß!“ forderte er und legte seinen Arm um ihre Schulter.
Ihr wurde heiß und kalt, aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Es war unmöglich, sich gegen die Bräuche eines Maskenfestes aufzulehnen, und gerade vor ihm wollte sie sich nicht lächerlich machen oder gar sich allzu kleinlich zeigen.
Langsam hob sie ihm ihr Gesicht entgegen und bot ihm die Lippen zum Kuß.
Er beugte sich darüber und berührte sie mit leichtem Druck.
Es war keine Forderung und kein Begehren in dieser Berührung, es war ein ganz korrekter Freundsdchaftskuß. Und dennoch war es Birgit, als öffne sich über ihr der Himmel und strahlte tausendfältigen Glanz und höchste Seligkeit auf sie hernieder.
Schamhaft senkte sie den Blick, als er sie freigab und sein Glas auf den Tisch zurückstellte.
„Und jetzt wollen wir tanzen, Mephisto!“ sagte sie, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich.
„Aber mit Freuden, Katharina!“ antwortete er und drängte mit ihr durch das Gewoge.
Diesmal schienen ihre Rollen vertauscht zu sein. Während er wiederholt den Versuch machte, ein Gespräch anzuknüpfen, versank sie in abgrundtiefe Schweigsamkeit. Es war schon viel, wenn er hin und wieder ein Kopfnicken als Antwort erhielt.
„Böse, Katharina?“ fragte er, und ehrliche Besorgnis klang aus seiner Stimme.
Wild schüttelte sie den Kopf.
„Habe ich dich denn irgendwie gekränkt?“
Wieder ein Kopfschütteln.
Dann schwieg auch er. Und zum zweiten Mal versuchte er, sie ein wenig fester an sich zu ziehen. Sie gab dem Druck nach und schmiegte sich in seinen Arm.
Und Birgit fühlte, wie sie den Boden unter den Füßen zu verlieren begann.
Wohin war ihre stolze Sicherheit? Wohin ihre Selbstbehauptung? Es war ihr plötzlich vollkommen gleichgültig, was mit ihr geschah. Wenn er sie jetzt auf seine starken Arme genommen und davongetragen hätte, sie würde ihm nicht gewehrt haben.
Ob das die Liebe war?
Aber sie kannte diesen Mann doch gar nicht! Hatte ihn nie gesehen! Sie wußte nicht, woher er kam und welche Stellung er im Leben einnahm. Er konnte ein Hochstapler sein oder ein richtiger Verbrecher, und es war auch möglich, daß er verheiratet war und daß Frau und Kinder daheim auf ihn warteten.
Doch seltsam, das kümmerte sie in diesem Augenblick nicht. Wenn er nur da war! Sie hatte die völlige Gewißheit, daß keine von allen Befürchtungen, die sie mit seiner Person verknüpfen könnte, zutreffen würde. Und sie stellte fest, daß sie diesem Mann verfallen war. Mit Haut und Haaren, mit ihrem jungfräulichen Herzen und mit ihrer ganzen Seele.
Obwohl die Erkenntnis wie eine Lawine über sie hereinbrach, hatte der Gedanke für sie nichts Erschreckendes an sich. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr sie, wie herrlich und berauschend das Glück sein konnte.
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