Die Musik hatte kaum wieder begonnen, als gleich zwei Tänzer vor Birgit standen, um sie zum Tanz aufzufordern. Da sie keinen von beiden durch eine Bevorzugung des anderen beleidigen wollte, erklärte sie, diesmal sitzenbleiben zu wollen. Die Herren zogen sich zurück.
„Aber was denn, Fräulein Lindberg“, sagte die Marketenderin mit verständnislosem Kopfschütteln. „Darum brauchen Sie doch keinen Tanz auszulassen. Einen der Herren hätte ich schon auf meine Kappe genommen!“
Da lachte Birgit laut heraus.
„Richtig, die Bedingung hätte ich allerdings stellen können! Wenn wieder einmal zwei zu gleicher Zeit kommen sollten, will ich mich entsprechend verhalten!“
Doch die Marketenderin brauchte keine Angst zu haben, an diesem Abend sitzen zu bleiben. Der dicke Türke an ihrem Tisch rückte seinen Turban zurecht und erhob sich.
„Sie gestatten, gnädige Frau?“
„Aber selbstverständlich, Sie alter Haremswächter“, lachte die Marketenderin und ging ihm voraus. Der Türke wußte seine Chance wohl zu nutzen, denn eben erst hatten ihn Frau und Tochter verlassen, nachdem sie laut und dringend nach etwas Kleingeld gefragt hatten.
Birgit saß allein, denn auch der junge Räuber war inzwischen eigene Wege gegangen. Und die anderen hatten längst ihre Dame gefunden.
So saß sie also am Tisch und ließ ihre Blicke über das festliche Gewoge schweifen. Und da sah sie ihn plötzlich. Der Mephisto stand am Rande der Tanzfläche, leicht an eine Säule gelehnt, und schaute unentwegt zu ihr herüber.
„Ein fabelhafter Mann!“ sagte die Marketenderin, als sie zurückkehrte und meinte nicht etwa ihren Tänzer. Birgit, die sich in ihren geheimsten Gedanken entdeckt fühlte, errötete bis unter die Haarwurzeln. Erschreckt blickte sie auf.
„Wen meinen Sie denn?“ fragte sie in der vagen Hoffnung, Frau Steffen täuschen zu können und von dem Gegenstand ihrer Gedanken abzulenken.
„Nun, den Mephisto natürlich! Haben Sie denn noch nicht bemerkt, wie er dauernd zu Ihnen herüberschaut?“
„Ich habe ihm den nächsten Tanz versprochen“, sagte Birgit und hoffte, daß es Frau Steffen als Erklärung dienen möchte.
„Ich glaube, der weiß, was er will!“ fuhr Frau Steffen fort.
Und ob er das weiß, hätte Birgit beinahe geantwortet, aber sie verkniff sich dieses Geständnis, das ihrer Begleiterin nur allzu viel verraten hätte, noch im letzten Augenblick.
Plötzlich setzte die Musik ein.
Birgit schaute zur Bar hinüber und sah, daß der Herr langsam auf sie zukam.
Birgit blickte ihm entgegen und lächelte schwach. Noch bevor er ihren Platz erreicht hatte, erhob sie sich. Er bot ihr den Arm.
„Über Mangel an Tänzern brauchen Sie sich gewiß nicht zu beklagen“, sagte er, und es schien Birgit, als ob ein leichter Spott in seiner Stimme mitschwänge.
„Kunststück“, lachte, sie zurück, „bei dem Männerüberschuß hier im Saal!“
„Sie wissen selbst, daß das nicht der wahre Grund ist“, gab er ihr zur Antwort. Er sah ihr in die Augen, und seinen Mund umspielte ein seltsames Lächeln. Als er jetzt den Arm um sie legte, war es wie eine Liebkosung.
Eigentlich hatte sie ihn zur Rede stellen wollen wegen seines selbstherrlichen Auftretens, sie wollte ihm sagen, daß es durchaus keine Selbstverständlichkeit gewesen war, daß sie auf ihn gewartet hatte, denn kommandieren ließe sie sich nicht. Aber als sie nun in seinem Arm über das Parkett dahinglitt, war dieser Vorsatz in alle Winde zerflattert. Ergeben und voller Seligkeit vertraute sie sich seiner Führung an.
Auch diesmal war er schweigsam. Es schien ihr, als konzentriere er sich ausschließlich auf den Tanz. Doch dann spürte sie mit leisem Erschauern, wie er ihre Rechte mit festem Druck umschloß. Fast war es wie ein Besitzergreifen. Doch sie konnte sich nicht dagegen wehren, sie duldete es, ohne mit der Wimper zu zucken, ja, sie wagte nicht einmal, ihre Hand zu bewegen, um den Griff zu lockern.
Nun schien es ihr, als ob auch der Griff seiner Rechten fester geworden sei, wenn er es auch nicht wagte, sie an sich zu drücken. Aber er versuchte so zu tanzen, daß sie ihm in die Augen schauen konnte. Da wandte sie sich ab, denn sie wand sich in tödlicher Verlegenheit.
So etwas war ihr noch nie passiert! Gerade Männern gegenüber hatte sie stets ein selbstsicheres Auftreten gehabt, das ihr aus der Tatkraft erwuchs, mit der sie ihren Beruf ausübte. Und nun trat ihr ein Mann entgegen und alle Sicherheit, alle Überlegenheit waren dahin. Und was das Schlimmste war, sie empfand darüber nicht einmal Bedauern.
Wer war denn dieser Mann überhaupt? Sie kannte ja nicht einmal sein Gesicht! Nur seine Augen konnte sie hinter der Maske erkennen, gütige, hellbraune Augen, in denen zuweilen ein wenig Spott aufblitzte. Ja, und dann kannte sie seinen Mund und sein männlich-festes Kinn. Aber sie kannte diesen Mund nur flüchtig, denn sie hatte noch nicht gewagt, ihn genauer zu betrachten, aus Angst davor, ein spöttischer Blick aus seinen Augen könne sie treffen.
Und dann kannte sie seine Figur und seine Haltung. Er sah wunderbar aus, und sein Gang war der eines Mannes mit Stolz und Selbstvertrauen, der fest und unerschütterlich im Leben stand und auch anderen Vertrauen einflößte. Das war es ja, was sie so stark beeindruckt hatte, es ging Vertrauen von ihm aus, man mußte sich in seiner Nähe geborgen fühlen.
Was aber am stärksten auf sie einwirkte, war seine Stimme. Schon die ersten Worte, die er an sie richtete, hatten verborgene Saiten in ihrer Seele zum Klingen gebracht und sie sehnte sich direkt danach, sie wieder zu hören, und wenn es auch nur Worte ohne Inhalt und ohne besondere Bedeutung gewesen wären.
Aber es verlangte ihn offenbar nicht danach, landläufige Konversation zu machen. Sonst hätte er sie doch sicher gefragt, wielange sie schon hier sei, ob sie sich gut erholt hätte und was dergleichen Fragen mehr waren, mit denen die Badegäste ihre Gespräche einzuleiten pflegten.
Doch nichts dergleichen. Ihr Mephisto blieb stumm.
Und dann ging der Tanz zu Ende. Er reichte ihr den Arm, führte sie aber nicht zu ihrem Tisch zurück, sondern drängte nach der anderen Seite des Saales.
„Aber wohin führen Sie mich denn?“ fragte sie und bemühte sich, Unwillen und Abwehr in ihre Stimme zu legen.
„Bitte, wir gehen zur Bar und trinken ein Glas Sekt zusammen!“ sagte er, als sei dies das Selbstverständlichste von der Welt.
Da war sie wieder, diese Selbstsicherheit, diese Überlegenheit, die ihr jeden eigenen Willen nahm. Sie empfand es zwar nur undeutlich, aber dennoch begehrte sie auf:
„Aber ich kann doch meine Begleiterin nicht allein lassen!“
„Sie meinen die Dame mit der großen Markttasche?“
„Ja, die Marketenderin, mit der ich gekommen bin. Sie ist meine Quartierswirtin und ich bin ihr verpflichtet, da ich sie eingeladen habe!“
„Dann schauen Sie mal dorthin!“ sagte der Herr im Frack und deutete diskret mit den Augen nach rechts.
Da ging Frau Steffen am Arm eines bärtigen Ritters, und der Weg, den sie eingeschlagen hatten, führte ebenfalls zur Bar.
Birgit sah es, aber dennoch zögerte sie, mit ihm zu gehen.
„Nun müssen Sie Ihrem Vorsatz aber auch treu bleiben!“ sagte ihr Begleiter. „Jetzt sind Sie sogar verpflichtet, Ihrer Begleiterin in die Bar zu folgen. Also bitte!“
Mit betont chevaleresker Geste bot er ihr abermals den Arm. Da zierte sie sich nicht länger und folgte ihm.
In der Bar war Hochbetrieb. Auf den Hockern war kein Platz mehr frei. Aber in kleinen Nischen standen einzelne Tische, die zum Niedersitzen einluden. Dorthin führte er sie.
„Und was trinken Sie?“ fragte er höflich. Aber das war wohl nur der Form wegen, denn als sie ihre Antwort ein wenig hinauszögerte, fuhr er sogleich fort: „Selbstverständlich Sekt, denn Sie wollen doch sicher mit mir anstoßen.“
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