«Ich habe eigentlich kein besonderes Anliegen, nichts anderes, als nur mal ‹Hallo› zu sagen. Aber das kennst du ja sicher, Anne-Marie.»
Sie kicherte.
«Ich verspreche, den Staatsminister zu grüßen.»
«Danke. Vielleicht hören wir noch mal voneinander.»
Zwanzig Minuten später rief Jakob Ceder an. «Du mußt meiner Sekretärin sehr geschmeichelt haben, Jörgen. Sie legte deine Nachricht ganz oben auf den Stapel der Anrufer.»
«Sie hat auf mich einen sehr charmanten Eindruck gemacht. Ich weiß nicht, warum ich angerufen habe. Ich störe dich nur. Es ist sicher aufreibender, Staatsminister in Schweden zu sein als Chef bei der UNO. Und jetzt betreibst du ja auch noch unsere Außenpolitik.»
«In meiner Eigenschaft als schwedischer Staatsminister kann ich nicht bestätigen, daß du recht hast. Hast du ein Anliegen, das du mit mir besprechen willst?»
«Ich bin in Pension gegangen, Jakob.»
«Aha, ist das nicht ein wenig früh? Komm bald mal hier vorbei. Ich habe gerade ein neues geblümtes Sofa bekommen, das alte blaue haben die Bürgerlichen durchgesessen. Anne-Marie ruft dich an und verabredet einen Termin.»
So war das also mit Ceders Zusicherung, ihm einen Job in seiner Regierung zu verschaffen. Wenn er seine anderen Wahlversprechen ebensowenig hielt, gab es bei der nächsten Wahl sicher wieder einen Regierungswechsel.
Es machte Blom immer größere Schwierigkeiten, seine Tage sinnvoll zu gestalten. Er las Zeitungen, wartete auf Briefe, die selten kamen, hörte sich seine Platten an und unternahm täglich lange Spaziergänge.
Britt Winter rief ihn an. Er verstand eigentlich nicht warum. Sie erwähnte die Israelin nicht, daher brachte er die Sprache auf sie.
«Ich dachte, du seist mit Tamara befreundet.»
«Klar. Aber muß das heißen, daß ich mit dir nicht gut Freund sein kann?»
«Natürlich nicht. Aber eines möchte ich klarstellen: Ich glaube nicht, daß Tamara noch meine Freundin ist. Sie will mich wohl nicht mehr haben.»
Britt lachte zufrieden.
«Na prima. Ich glaube nämlich, du bist derjenige, den ich haben will. Darf ich dich heute abend zum Essen einladen?»
Blom sah sie vor sich, so wie er sie das erste Mal gesehen hatte, aber aus dem Bild, das er in Erinnerung hatte, retuschierte er Tamara weg.
«Danke, gern.»
«Fein. Gibt es irgendwas, das du nicht besonders magst?»
«Keine Leber. Keine braunen Bohnen mit Speck.»
«Kriegst du nicht. Heleneborgsgatan 3. Sollen wir fünf vor acht sagen, ehe die Haustür abgeschlossen wird.»
«Kann ich was mitbringen. Vielleicht Wein?»
«Auf keinen Fall. Übrigens, Jörgen . . .»
Sie lachte.
«Warum soll ich eigentlich bis acht auf dich warten. Komm um sechs. Oder noch lieber um fünf.»
Blom lachte jetzt auch.
«Sagen wir halb sechs, Britt.»
In der Mossad-Wohnung auf Birger Jarlsgatan in dem Stadtteil, der Sibirien genannt wurde, klingelte das Telefon. Kadar nahm den Hörer ab und reichte ihn dann an Tamara Amram weiter. Sie sprach kurz, war einsilbig, nicht in Stimmung.
«Ist alles in Ordnung?» fragte Kadar.
«Ja doch. Es läuft alles. Stell ab fünf Uhr heute abend zwei Mann vor Britt Winters Haus. Ich will wissen, ob Blom überwacht wird.»
«Ich habe das Dossier über ihn gelesen», grinste Kadar. «Er geht heute vielleicht gar nicht mehr nach Hause.»
«Gefällt es dir in Schweden nicht? Du bist nicht unersetzlich!»
Mossads Operationschef stellte sich ans Fenster und starrte über die Straße, auf die Gardinen, die den Einblick in das Büro des KGB verhinderten.
Britt Winters Wohnzimmer war kahl wie eine Wüste, lediglich am Fenster gab es eine Oase, bestehend aus einem weißen Sofa, drei Palmenlilien, Zyperngras, einer großen Monstera und zwei italienischen Stehlampen. Die Wände waren weiß, der Fußboden bestand aus Kiefernholzdielen. Britt hatte schwarze lange Hosen, eine schwarze rundausgeschnittene Seidenbluse und weiße Skisocken angezogen.
«Findest du es öde hier? Komm und sieh dir den Rest der Wohnung an.»
Der Rest war eine Küche mit Eßplatz für zwei Personen an einem runden, abgebeizten Tisch und ein Schlafzimmer mit zitronengelben Wänden, einem englischen Messingbett mit der Fahne des Vatikans als Überdecke, einem Toilettentisch und zwei Empirestühlen. Im Schlafzimmer gab es keine Topfpflanzen, dagegen einen Kupferstich an der Wand, der einen Mann darstellte mit schulterlangem Haar, ungepflegtem Schnurrbart, in Spitzenkrause, Weste, Kniehosen und spitzen Schnabelschuhen.
«Mein Idol», erklärte Britt. «Erkennst du ihn?»
«Nein.»
«Der größte Dramatiker der Welt», half sie nach.
«Das ist nicht Shakespeare. Der hatte eine Glatze und war kein Kleidersnob wie dieser hier . . .»
«Das ist natürlich Molière, Tartuffe, Der eingebildete Kranke, Amphitryon, Die Schule der Frauen . . .»
«Vom Theater verstehe ich nicht sehr viel. Manchmal gehe ich in die Oper. Jetzt fällt es mir ein, Tamara hat gesagt, du seist Schauspielerin. Bei Dramaten?»
«Dramaten, das wäre noch was! Schauspielerin! Ist ja noch schöner. Ich versuche, eine zu werden.»
Er blickte sie an und betrachtete sie zum erstenmal aufmerksam. Das herrliche Haar war zu einem Zopf geflochten, um die klaren Linien des Gesichts zur Geltung kommen zu lassen. Ungewöhnlich runde, blaue oder graugrüne Augen. Lang, schlank – die Vorzüge ihrer Figur hatte sie schon damals in Arlanda erkennen lassen.
«Du könntest eine werden», bestätigte Blom.
Wurde sie rot?
«Wenn du damit meinst, daß ich gut aussehe, so muß ich dir sagen, daß das kein Vorteil in diesem Beruf ist. Eigentlich in keinem Beruf, würde ich sagen. Eine Schauspielerin sollte möglichst alltäglich aussehen, damit sie viele verschiedene Typen spielen kann. Ach was, jetzt reden wir nicht mehr davon. Szenenwechsel! Der nächste Akt: die Küche. Britt macht das Essen, während Jörgen dabeisitzt, einen Whisky trinkt und zuguckt. Oder willst du was anderes haben? Ich habe Gin, Wermut, Sherry, Pernod und Wein. Zum Essen bekommst du einen Magenbitter.»
«Was hältst du von einem Drink? Misch doch mal Whisky mit Pernod und Sherry.»
«Ja, also . . .» dann merkte sie, daß er lachte.
«Mach dich nicht über mich lustig, Jörgen. Ich kenne dich ja kaum.»
Sie tat Rentierhackfleisch in die Pfanne und gab eine große Portion Pfifferlinge hinzu. Während das Hackfleisch in der Sahne brutzelte, mühte sich Britt mit der Kartoffelpresse ab. Blom bot seine Hilfe an.
«Bleib du mal sitzen. Man bekommt hübsche Brüste vom Kartoffelpressen.»
Sie saßen lange am Eßtisch. Britt wollte über Jörgen Blom sprechen und Jörgen über Britt Winter. Sie war Pfarrerstochter aus Njurunda und 28 Jahre alt.
Blom fühlte sich wohl.
Britt war Fotomodell gewesen. Kary Lasch hatte ihr, wie so vielen anderen, zu diesem Job verholfen. Er hatte sie lanciert, erst in New York in die Ford-Agentur, dann in Paris zu Vogue. Britts Auge, eingerahmt von einer Reihe von Lederhandschuhen, war Titelbild von Bazaar gewesen. Ihre Zehen und Beine bis hinauf zum Knie auf Nova, die ganze Britt Winter auf Vogue, Stern, Apparel, LIFE, Match und den schwedischen Frauenzeitungen. Bengt Lindström hatte ihr Gesicht gemalt, und Salvador Dalí hatte ihren Körper gezeichnet – nackt auf einem Kreuz wie Jesus.
Blom mußte die Geschichte ihrer Karriere Stück für Stück aus ihr herausziehen.
«Was hast du gegen die Arbeit eines Modells?» wunderte er sich.
«Eigentlich nichts. Man darf reisen und verdient eine Menge Geld. Dafür habe ich mir ein Feriengrundstück an der Backvattnet in Jämtland gekauft. Man lernt Leute kennen. Sicher sind viele davon oberflächlich, aber man trifft auch auf viele interessante Menschen.»
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