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Raoul de Coude entschuldigte sich eilig bei seinem Gastgeber, nachdem er das Billett gelesen hatte. Er gab irgendeinen Grund für sein Fortgehen an. Es war ihm alles wie verschleiert vor den Augen bis zum Augenblick, wo er auf der Schwelle seines Hauses stand. Dann aber wurde er kaltblütig und ging ruhig und vorsichtig voran. Aus einem ihm unerklärlichen Grunde hatte Jaques die Türe schon geöffnet, ehe er noch die Treppe halbwegs erstiegen hatte. In dem Augenblick fiel es ihm allerdings nicht weiter auf, doch erinnerte er sich dessen später.
Leise ging er die Treppe hinauf bis zum Boudoir. In der Hand hatte er einen schweren Spazierstock. Er war entschlossen, den Räuber seiner Ehre niederzuschlagen.
Olga sah ihn zuerst. Mit einem Schrei des Entsetzens riss sie sich aus Tarzans Armen, und der Affenmensch drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um einen schrecklichen Hieb, den de Coude nach seinem Kopfe ausführte, abzuwehren. Einmal, zweimal, dreimal sauste der Stock mit Blitzesschnelle auf ihn nieder, aber jeder Schlag trug dazu bei, den Affenmenschen mehr in das Leben seines Dschungels zurückzuversetzen.
Mit dem Knurren eines Riesenaffen sprang er auf den Mann. Den Stock riss er ihm aus der Hand und zerbrach ihn, als ob es ein Streichholz wäre, und dann sprang er ihn wie ein rasendes Tier an.
Olga de Coude schaute entsetzt der schrecklichen Szene zu; dann aber sprang sie auf Tarzan zu, der im Begriff stand, ihren Gatten zu erwürgen und ihn schüttelte wie ein Terrier eine Ratte schütteln würde.
Sie riss wie wahnsinnig an seinen großen Händen. Heilige Mutter Gottes! schrie sie, Sie töten ihn, Sie töten ihn! O Jean, Sie töten meinen Mann!
Tarzan war taub vor Wut. Plötzlich schleuderte er den Körper auf den Boden, und dann erhob er das brüllende Siegesgeschrei, das er im Urwald stets angestimmt hatte, wenn er ein wildes Tier erlegt hatte. Als diese schrecklichen Töne im Palast des Grafen de Coude erklangen, wo sie bis in den Keller und unters Dach drangen, erblassten und zitterten die Bedienten. Die Gräfin aber sank bebend neben dem Körper ihres Gatten auf die Knie.
Langsam schwand die rote Vision vor Tarzans Augen. Die Dinge nahmen wieder Gestalt an, und er selbst fing wieder an, wie ein zivilisierter Mensch auszusehen. Sein Blick fiel auf die Gestalt der knienden Frau.
Olga! flüsterte er.
Sie schaute auf; aber während sie geglaubt hatte, in die wahnsinnigen Augen eines Mörders zu sehen, erblickte sie Tarzan traurig und zerknirscht.
O Jean! rief sie. Sehen Sie, was Sie getan haben! Er war mein Mann. Ich liebte ihn, und Sie haben ihn getötet!
Tarzan hob den schlaffen Körper des Grafen de Coude behutsam auf und trug ihn auf ein Ruhebett. Dann legte er sein Ohr an des Mannes Brust.
Etwas Kognak, Olga! sagte er.
Sie brachte ihn und flößte dem Grafen etwas davon zwischen die Lippen ein. Jetzt kam ein schwacher Hauch aus seinem Munde. Der Kopf drehte sich, und de Coude stöhnte.
Er wird nicht sterben, sagte Tarzan. Gott sei Dank! Warum taten Sie das, Jean? fragte sie.
Ich weiß es nicht. Er schlug mich und da ergriff mich die Wut. Ich habe es so bei den Affen meines Stammes gesehen. Ich habe Ihnen meine Geschichte niemals erzählt, Olga. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sie gekannt. Dann wäre dies nicht so gekommen. Ich habe meinen Vater nie gesehen. Die einzige Mutter, die ich je gekannt habe, war eine wilde Menschenäffin. Bis zu meinem fünfzehnten Jahre habe ich nie ein menschliches Wesen gesehen. Ich war zwanzig Jahre alt, als ich den ersten weißen Menschen sah. Es ist noch nicht viel mehr als zwei Jahre, da war ich noch ein nacktes Raubtier in einem afrikanischen Dschungel.
Beurteilen Sie mich nicht zu streng. In einer so kurzen Zeit kann ein einzelner Mensch sich nicht so umwandeln, wie es die weiße Rasse in zahllosen Zeitaltern getan hat.
Ich spreche gar kein Urteil über Sie aus, Jean. Mein ist die Schuld. Gehen Sie jetzt, – er darf Sie nicht sehen, wenn er das Bewusstsein wiedererlangt. Adieu! Kummervoll und mit gesenktem Kopf schritt Tarzan aus dem Palast des Grafen de Coude.
Sobald er draußen war, nahmen seine Gedanken eine bestimmte Form an, und bald wusste er, was er jetzt in erster Linie tun wollte. Zwanzig Minuten später trat er in ein Polizeibüro unweit der Maulestraße. Hier fand er einen der Polizisten, mit denen er vor mehreren Wochen zusammengestoßen war.
Der Polizist freute sich, den Mann wiederzusehen, der ihn damals so rau behandelt hatte. Nach einem kurzen Gespräch fragte Tarzan ihn, ob er schon einmal etwas von Nikolaus Rokoff und Alexei Pawlowitsch gehört habe.
Schon oft genug, mein Herr! Beide stehen auf unseren Listen, aber da jetzt nichts gegen sie vorliegt, so begnügen wir uns, sie zu überwachen, um sie, sobald es nötig ist, fassen zu können. Weshalb fragen Sie?
Ich kenne sie, sagte Tarzan. Ich möchte Herrn Rokoff in einer kleinen geschäftlichen Angelegenheit sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir seine Wohnung angeben wollten.
Einige Minuten später verabschiedete er sich von dem Polizisten und ging mit einem Streifen Papier in der Tasche, auf dem die Adresse verzeichnet war – die Gauner wohnten in einem ziemlich anständigen Viertel – schnell zu der nächsten Haltestelle von Autodroschken.
Rokoff und Pawlowitsch waren in ihre Zimmer zurückgekehrt und unterhielten sich über den wahrscheinlichen Ausgang der Ereignisse des heutigen Abends. Sie hatten an zwei Morgenzeitungen telefoniert, von denen sie jeden Augenblick einen Vertreter erwarteten, um sie über den Skandal zu unterrichten, der morgen in ganz Paris Aufsehen erregen sollte.
Auf der Treppe wurden schwere Schritte hörbar.
Ach, diese Zeitungsmenschen sind doch pünktlich! sagte Rokoff, und als es an ihre Tür klopfte, rief er: Herein!
Das Lächeln des Willkommens erstarrte auf des Russen Gesicht, als er in die harten grauen Augen des Besuchers blickte.
Donnerwetter, rief er, indem er aufsprang. Was führt Sie hierher?
Setzen Sie sich, sagte Tarzan so leise, dass man kaum die Worte hören konnte, aber in einem solchen Tone, dass Rokoff sich wieder niederließ und Pawlowitsch es nicht wagte, aufzustehen.
Sie wissen, was mich hierherführt, fuhr er in demselben leisen Tone fort. Eigentlich sollte ich Sie vernichten, aber da Sie Olgas Bruder sind, so will ich das jetzt nicht tun. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Ihr Leben noch einmal zu retten. Pawlowitsch kommt eigentlich kaum in Betracht, denn er ist nur ein kleines Werkzeug in Ihren Händen, und so werde ich ihn nicht töten, solange ich Sie am Leben lasse. Wenn ich Sie beide lebend in diesem Zimmer belassen soll, so müssen Sie zweierlei tun. Erstens müssen Sie ein vollständiges Geständnis von Ihrer Beteiligung an dem Komplott von heute Abend niederschreiben und es unterzeichnen. Zweitens müssen Sie mir unter Todesstrafe versprechen, kein Wort von dieser Angelegenheit in die Zeitungen zu bringen. Wenn Sie nicht beides tun, so wird keiner von Ihnen mehr am Leben sein, wenn ich wieder zu dieser Türe hinausgehe. Haben Sie verstanden?
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