LUNATA
Tarzans Rückkehr in den Urwald
Tarzans Rückkehr in den Urwald
Band 2
© 1924 Edgar Rice Burroughs
Originaltitel The Return of Tarzan
Aus dem Englischen von Tony Kellen
Umschlagbild James Allen St. John
© Lunata Berlin 2021
Der Streit auf dem Dampfer
Ein rätselhafter Überfall
Was in der Maule-Straße in Paris geschah
Die Erklärungen der Gräfin
Die verfehlte Verschwörung
Ein Zweikampf
Die Tänzerin von Sidi Aissa
Der Kampf in der Wüste
Numa »el adrea«
Durch das Tal des Schattens
John Caldwell aus London
Schiffe, die vorüberfahren
Der Schiffbruch der »Lady Alice«
Zurück in den Urwald
Vom Affenmenschen zum Wilden
Die Elfenbein-Räuber
Der weiße Häuptling der Waziri
Die Lotterie des Todes
Die Stadt des Goldes
La
Die Schiffbrüchigen
Die Schatzgewölbe von Opar
Die fünfzig Männer
Wie Tarzan wieder nach Opar kam
Durch den Urwald
Ein Wiedersehen
Der Streit auf dem Dampfer
Prachtvoll! sagte die Gräfin de Coude halblaut vor sich hin.
Was ist prachtvoll? fragte der Graf, indem er sich nach seiner jungen Frau umwandte. Er schaute dann umher, um den Gegenstand ihrer Bewunderung zu entdecken.
Oh, gar nichts, mein Lieber, erwiderte die Gräfin, aber ihre ohnehin rosigen Wangen färbten sich dabei noch tiefer. Ich dachte nur mit Bewunderung an die erstaunlichen Wolkenkratzer von New York zurück. Die schöne Gräfin lehnte sich behaglich in ihren Sessel zurück und nahm die Zeitschrift, die sie auf den Schoß hatte fallen lassen, wieder auf.
Auch ihr Mann vertiefte sich wieder in sein Buch, doch kam es ihm merkwürdig vor, daß seine Frau jetzt die Gebäude bewunderte, die sie noch vor drei Tagen als abscheulich hingestellt hatte.
Bald legte der Graf das Buch wieder aus der Hand. Es ist sehr langweilig, Olga, sagte er. Ich will sehen, ob ich nicht noch ein paar Herren auftreibe, die sich auch langweilen, so daß wir vielleicht miteinander Karten spielen können.
Du bist nicht sehr galant, rief die junge Frau lachend, aber da ich mich ebenso langweile, so kann ich es dir nicht verübeln. Geh nur und spiele mit deinen langweiligen alten Karten, wenn es dir Spaß macht.
Als er fort war, sah sie verstohlen nach einem großen jungen Mann, der sich unweit von ihr bequem auf einem Liegestuhl ausgestreckt hatte.
Prachtvoll! murmelte sie noch einmal vor sich hin.
Die Gräfin Olga de Coude war erst zwanzig Jahre alt, ihr Mann aber schon vierzig. Sie war ihm treu und ergeben, aber da sie bei ihrer Wahl gar nicht befragt worden war, so war sie begreiflicherweise nicht gerade leidenschaftlich in den Mann verliebt, den das Schicksal oder vielmehr ihr adliger russischer Vater ihr als Lebensgefährten bestimmt hatte. Aus ihrem Ausruf der Bewunderung beim Anblick eines stattlichen jungen Fremden darf aber nicht geschlossen werden, daß ihre Gedanken ihrem Gatten in irgendeiner Weise untreu gewesen wären. Sie bewunderte den Fremden nur ebenso, wie sie ein besonders schönes Exemplar irgend einer andern Art von Lebewesen bewundert hätte. Zudem war es zweifellos ein Vergnügen, ihn anzusehen.
Gerade als ihr verstohlener Blick über sein Profil huschte, stand er auf und verließ das Deck.
Die Gräfin winkte einen vorübergehenden Steward heran. Wer ist jener Herr? fragte sie.
Er ist als Herr Tarzan aus Afrika eingetragen, gnädige Frau! lautete die Antwort.
Eine ziemlich große Besitzung, dachte die junge Frau, aber jetzt war ihre Neugier noch gestiegen.
Als Tarzan langsam auf das Rauchzimmer zuschritt, kam er an zwei Männern vorbei, die aufgeregt vor der Türe flüsterten. Er hätte sie nicht einmal beachtet, wenn nicht der eine von ihnen einen sonderbaren Blick auf ihn geworfen hätte. Die beiden erinnerten Tarzan an die Schurkengestalten, die ihm aus rührseligen Dramen der Pariser Theater sattsam in Erinnerung geblieben waren. Beide waren dunkelfarbig, und dies, ebenso wie ihr Achselzucken und ihre verstohlenen Blicke, ließ die Ähnlichkeit noch größer erscheinen. Jedenfalls hatten sie nichts Gutes im Sinn.
Tarzan trat in das Rauchzimmer und setzte sich etwas abseits von den Anwesenden. Er war nicht in der Stimmung, sich mit andern zu unterhalten. Während er seinen Absinth schlürfte, ließ er die vergangenen Wochen seines Lebens sorgenvoll an sich vorüberziehen. Immer wieder fragte er sich, ob er weise gehandelt habe, als er zugunsten eines Mannes auf sein Geburtsrecht verzichtete, dem er in keiner Weise zu Dank verpflichtet war. Allerdings betrachtete er Clayton als einen Freund, aber das war es nicht. Nicht William Cecil Clayton, Lord Greystoke, zuliebe hatte er seine Geburt verleugnet. Es war nur der Frau zuliebe, die er und Clayton liebten, und die eine seltsame Laune des Schicksals diesem, statt ihm, bestimmt hatte.
Daß sie ihn liebte, machte ihm den Gedanken doppelt schwer, aber er sagte sich, er hätte nicht mehr tun können, als was er in jener Nacht auf der kleinen Eisenbahnstation in den fernen Wäldern von Wisconsin getan hatte. Für ihn war vor allem ihr Glück der erste Beweggrund, und seine kurze Erfahrung mit der Kultur und den Kulturmenschen hatte ihn gelehrt, daß das Leben ohne Geld und ohne Stellung den meisten von ihnen unerträglich war.
Jane Porter war nun einmal für die Güter der Kultur geboren; hätte Tarzan sie diesem Manne weggenommen, so hätte er sie zweifellos in ein Leben gestürzt, das ihr elend und qualvoll erscheinen mußte.
Tarzans Gedanken schweiften aus der Vergangenheit in die Zukunft. Er versuchte, sich auf die Rückkehr in die Dschungel zu freuen, in die grausame wilde Dschungel, in der er geboren worden und wo er von seinen 22 Jahren 20 verlebt hatte. Aber welches von der Myriade Lebewesen der Dschungel würde ihn bei seiner Rückkehr willkommen heißen? Kaum eines! Nur Tantor, den Elefanten, konnte er seinen Freund nennen. Die andern würden ihn verfolgen oder ihn fliehen, wie sie es früher getan hatten.
Nicht einmal die Affen seines früheren Stammes würden ihm ihre kameradschaftliche Hand entgegenstrecken.
Wenn die Kultur auch sonst nichts für Tarzan getan hatte, so hatte sie ihn doch bis zu einem gewissen Grade gelehrt, sich nach der Gesellschaft gleicher Wesen umzusehen und das Wohltuende der Kameradschaft zu schätzen. Es war ihm jetzt schwer, sich eine Welt ohne einen Freund zu denken, ohne ein lebendes Wesen, mit dem er sich jetzt doch durch die gelernten Sprachen so gut verständigen konnte. Und so kam es, daß Tarzan recht trübselig in die Zukunft schaute, die er selbst sich vorgezeichnet hatte.
Als er so, eine Zigarette rauchend, in Gedanken versunken da saß, fiel sein Blick auf einen Spiegel vor ihm, und darin sah er einen Tisch, an dem vier kartenspielende Männer saßen. Eben stand einer auf, um fortzugehen, und dann näherte sich ein anderer, der sich höflich erbot, den leeren Platz auszufüllen, damit das Spiel nicht unterbrochen würde. Es war der Kleinere von den beiden, die Tarzan miteinander flüsternd vor dem Rauchzimmer angetroffen hatte.
Das hatte die Neugier Tarzans einigermaßen geweckt und er konnte nicht umhin, im Spiegel das Bild der Spieler am Tische zu beobachten. Tarzan kannte nur den Namen eines der Spieler, nämlich desjenigen, der gegenüber dem neu hinzugekommenen saß. Es war der Graf Raoul de Coude, den ein zuvorkommender Steward ihm letzthin als eine der Berühmtheiten auf dem Schiffe bezeichnet hatte und der eine hohe Stellung im französischen Kriegsministerium einnehmen sollte.
Plötzlich wurde Tarzans ganze Aufmerksamkeit auf das Bild im Spiegel gelenkt. Der andere Dunkelfarbige, der wie ein Bösewicht aussah, war hereingekommen und stand hinter dem Stuhle des Grafen. Tarzan sah, daß er sich umdrehte und verstohlen umherschaute; sein huschender Blick ruhte aber nicht lange genug auf dem Spiegel, um Tarzans wachsame Augen zu entdecken. Heimlich zog der Mann etwas aus seiner Tasche, aber da er es mit der Hand bedeckte, konnte Tarzan nicht sehen, was es war.
Читать дальше