Einen Augenblick spielte ein grimmiges Lächeln um Tarzans Lippen, aber dann dachte er nicht weiter daran und ging zu Bett.
In einer naheliegenden Kabine sprach die Gräfin de Coude mit ihrem Gatten.
Warum so ernst, mein lieber Raoul? Du bist den ganzen Abend so verdrießlich gewesen? Was macht dir Sorgen?
Olga, Nikolaus ist an Bord unseres Schiffes. Wußtest du es?
Nikolaus! rief sie aus. Das ist unmöglich, Raoul. Das kann nicht sein! Nikolaus ist in Deutschland verhaftet.
Das glaubte ich auch, bis ich ihn heute sah, ihn und den andern Erzgauner, Pawlowitsch. Olga, ich kann diese Verfolgung nicht länger ertragen. Nein, selbst nicht um deinetwillen. Früher oder später werde ich ihn den Behörden ausliefern. Ich habe mich in der Tat so halb und halb entschlossen, dem Kapitän alles zu erklären, ehe wir landen. Auf einem französischen Dampfer wäre es leicht, uns diesen Verfolger dauernd vom Halse zu schaffen.
O nein, Raoul! rief die Gräfin, indem sie vor ihm niederkniete, da er mit gesenktem Kopf auf einem Diwan saß. Tu das nicht! Denke an das Versprechen, das du mir gegeben hast. Sage mir, Raoul, daß du das nicht tun willst. Drohe ihm nicht einmal.
De Coude nahm die Hände seiner Frau in die seinen und betrachtete ihre bleichen, verwirrten Züge eine Weile, ehe er sprach, als ob er aus diesen schönen Augen den wirklichen Grund erraten wollte, der sie bestimmte, diesen Mann zu schützen.
Es soll geschehen, wie du wünschest, Olga, sagte er endlich. Ich kann es nicht verstehen. Er hat jeden Anspruch auf deine Liebe, Anhänglichkeit oder Achtung verwirkt. Er ist eine Gefahr für dein Leben und deine Ehre und für das Leben und die Ehre deines Mannes. Mögest du es nie bereuen, ihn verteidigt zu haben.
Ich verteidige ihn nicht, Raoul, unterbrach sie ihn heftig. Ich glaube, daß ich ihn ebensosehr hasse wie du, aber – o Raoul, Blut ist dicker als Wasser.
Ich hätte heute gern die Beschaffenheit des seinigen erprobt, sagte de Coude in grimmigem Ärger. Die beiden haben heute vorsätzlich meine Ehre zu beschmutzen versucht, Olga. Und dann erzählte er die Vorfälle im Rauchzimmer.
Ohne diesen Fremden, fuhr er hierauf fort, wäre es ihnen geglückt, denn wer hätte meinem einfachen Wort geglaubt, da ja die verwünschten Karten in meiner Tasche waren? Ich hätte beinahe selbst daran gezweifelt, bis dieser Herr Tarzan deinen feinen Nikolaus zu uns heranschleppte und den ganzen feigen Anschlag aufklärte.
Herr Tarzan? fragte die Gräfin sichtlich überrascht.
Ja, kennst du ihn, Olga?
Ich habe ihn gesehen. Ein Steward zeigte ihn mir.
Ich wußte nicht, daß er eine Berühmtheit ist, sagte der Graf. Olga de Coude ging auf ein anderes Thema über. Es fiel ihr nämlich ein, daß es ihr schwer sein würde, zu erklären, warum der Steward gerade ihr den hübschen Tarzan gezeigt habe. Vielleicht errötete sie ein wenig, denn ihr Gatte sah sie mit einem sonderbar spöttischen Blick an. Ach, dachte sie, ein schuldiges Gewissen ist ein sehr verdächtiges Ding.
Ein rätselhafter Überfall
Erst spät am folgenden Nachmittag sah Tarzan die Reisegefährten, in deren Angelegenheiten ihn sein Ehrlichkeitsgefühl verwickelt hatte. Und dann stieß er ganz unerwartet auf Rokoff und Pawlowitsch und zwar in einem Augenblick, wo es den beiden sicher am wenigsten erwünscht war.
Sie standen auf dem Deck an einer Stelle, wo sie gerade allein waren, und als Tarzan zufällig dorthin kam, befanden sie sich gerade in einem heftigen Streit mit einer Dame. Tarzan bemerkte, daß diese Dame vornehm gekleidet war. Ihre schlanke, frische Gestalt ließ auf ein jüngeres Alter schließen, ihre Züge konnte er nicht unterscheiden, da sie dicht verschleiert war.
Sie stand zwischen den beiden Männern. Da diese Tarzan den Rücken zugekehrt hatten, konnte er ganz nahe an sie herankommen, ohne daß sie ihn wahrnahmen. Er sah, daß Rokoff zu drohen und die Dame zu bitten schien, aber sie sprachen in einer fremden Sprache, so daß er nur aus dem Anschein erraten konnte, daß die junge Frau sich fürchtete.
Rokoffs Haltung war so drohend, daß der Affenmensch einen Augenblick hinter dem Trio stehen blieb, da er unwillkürlich befürchtete, der rohe Mensch könnte handgreiflich gegen sie werden. Im selben Augenblick faßte dieser sie denn auch am Handgelenk, wie wenn er aus ihr ein Versprechen erpressen wollte. Er erreichte sein Ziel aber nicht, denn plötzlich wurde er mit stahlharten Fingern an den Schultern gefaßt und mit solchem Schwung auf die Seite geworfen, daß er anfänglich gar nicht wußte, was ihm geschah. Erst als er aufblickte, sah er in die kalten grauen Augen des Fremden, der ihm am Tage vorher in die Quere gekommen war.
Donnerwetter! schrie der wütende Rokoff. Was fällt Ihnen ein? Sind Sie verrückt, daß Sie Nikolaus Rokoff wieder beleidigen?
Dies ist meine Antwort auf Ihr Briefchen, mein Herr! flüsterte ihm Tarzan zu. Und dann schleuderte er den Kerl mit solcher Wucht von sich, daß er gegen die Reling hinstürzte.
Donnerwetter nochmal! schrie Rokoff. Sie gemeiner Mensch, das kostet Ihnen das Leben! Und indem er aufsprang, stürzte er auf Tarzan los, während er einen Revolver aus seiner Tasche zu ziehen suchte.
Die junge Dame fuhr entsetzt zurück.
Nikolaus! rief sie, halt ein, tu das nicht, o tu das nicht! Und dem Fremden schrie sie zu: Schnell, fliehen Sie, mein Herr, sonst wird er Sie töten!
Statt aber zu fliehen, trat Tarzan auf den Menschen zu. Machen Sie sich nicht selbst unglücklich! sagte er.
Rokoff war durch die erlittene Demütigung derartig in Raserei geraten, daß er den Revolver auf Tarzans Brust richtete. Der Hahn knackte, aber der erste Schuß versagte. Doch ehe der Wütende ein zweites Mal losdrücken konnte, hatte Tarzan mit raschem Griff den Revolver erfaßt und ihn über die Reling hinaus in die See geworfen.
Einen Augenblick standen die beiden da und sahen einander an. Rokoff hatte sein Selbstbewußtsein wieder erlangt. Er war der erste, der sprach.
Zweimal haben Sie sich nun berufen gefühlt, sich in Dinge zu mischen, die Sie nichts angehen. Zweimal haben Sie es aus eigenem Antrieb übernommen, mich zu demütigen. Die erste Beleidigung habe ich hingehen lassen, weil ich annahm, daß Sie in Unkenntnis handelten, aber diese Sache wird nicht übersehen werden. Wenn Sie nicht wissen, wer ich bin, so können Sie bei Ihrem jetzigen unverschämten Benehmen sicher sein, daß Sie später noch an mich erinnert werden.
Daß Sie ein Feigling und ein Schurke sind, mein Herr, erwiderte Tarzan, ist alles, was ich von Ihnen zu wissen brauche.
Er drehte sich um, um die Dame zu fragen, ob Rokoff ihr weh getan habe, aber sie war verschwunden.
Dann setzte er seinen Spaziergang auf dem Deck fort, ohne auch nur einen Blick auf Rokoff und seinen Gefährten zu werfen.
Tarzan hätte gerne gewußt, welche Verschwörung im Gange war oder welche Pläne die beiden Männer hatten. Die verschleierte Dame, der er soeben beigestanden hatte, kam ihm einigermaßen bekannt vor, aber da er ihr Gesicht nicht gesehen, war er nicht sicher, ob er ihr schon einmal begegnet war. Das einzige, was ihm an ihr aufgefallen, war ein Ring von besonderer Arbeit an der Hand, die Rokoff erfaßt hatte. Er beschloß deshalb, auf die Finger der weiblichen Passagiere, die ihm begegnen würden, zu achten, um die Dame zu entdecken, die Rokoff verfolgte, und zu erfahren, ob er sie noch weiter belästigt habe.
Als Tarzan seinen Stuhl auf dem Verdeck wieder aufgesucht hatte, mußte er über die zahlreichen Beispiele menschlicher Grausamkeit, Selbstsucht und Gehässigkeit nachdenken, deren Augenzeuge er gewesen war von dem Tage an, wo er vor vier Jahren zum erstenmal ein anderes menschliches Wesen in der Dschungel erblickt hatte: den glatten schwarzen Kulonga, dessen geschickter Pfeil an jenem Tage Kala, die große Äffin, getötet und den jungen Tarzan der einzigen Mutter, die er je gekannt, beraubt hatte.
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