Er dachte auch an die Ermordung Kings durch den Matrosen Snipes mit dem Rattengesicht, an die Aussetzung des Professors Porter und dessen Gefährten durch die Meuterer der »Arrow«, an die Grausamkeit der schwarzen Krieger und Frauen Mbongas gegen ihre Gefangenen und an die kleinliche Mißgunst der bürgerlichen und militärischen Beamten der Westküsten-Kolonie, wo er zum erstenmal in die Kulturwelt eintrat.
Mein Gott, sagte er zu sich selbst, sie sind alle gleich. Betrügen, morden, lügen, sich zanken, und alles das für Dinge, die die Tiere der Dschungel nicht besitzen möchten: Geld, um sich die Annehmlichkeiten weibischer Schwächlinge zu verschaffen. Und bei alledem sind sie durch törichte Gewohnheiten eingeengt, die sie zu Sklaven ihres unglücklichen Loses machen, während sie fest glauben, daß sie, die Herren der Schöpfung, die einzig wahren Freuden des Lebens genießen. Es ist eine törichte Welt, eine irre Welt, und Tarzan war ein Narr gewesen, aus die Freiheit und das Glück in der Dschungel zu verzichten, um in jene Welt einzutreten.
Als er da saß, hatte er plötzlich das Gefühl, daß er hinter seinem Rücken beobachtet wurde, und der alte Instinkt des wilden Tieres brach durch die dünne Tünche der Kultur. Tarzan drehte sich so schnell herum, daß die Augen der jungen Dame, die ihn heimlich angesehen hatte, nicht einmal Zeit hatten, sich zu senken, ehe die grauen Augen des Affenmenschen einen fragenden Blick in sie hineingeworfen hatten. Dann, als sie sich senkten, sah Tarzan, daß sich eine schwache rote Welle über ihr jetzt halb abgekehrtes Gesicht breitete.
Er lächelte in sich hinein über das Ergebnis seiner kulturlosen, ungalanten Handlung, denn er hatte seine eigenen Augen nicht gesenkt, als er den Blicken der jungen Dame begegnete. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Sie kam ihm etwas bekannt vor, so daß er sich fragte, wo er sie wohl schon gesehen habe.
Er nahm seine vorige Stellung wieder ein und bemerkte nun, daß sie aufgestanden war und das Deck verließ.
Als sie vorbeiging, wandte er sich um, um ihr nachzusehen, weil er hoffte, einen Anhaltspunkt zur Feststellung ihrer Persönlichkeit zu entdecken.
Er wurde nicht ganz enttäuscht, denn beim Weitergehen erhob sie eine Hand gegen die schwarze Haarfülle ihres Nackens – die eigentümliche Bewegung, die die Frauen machen, wenn sie vermuten, daß sie von hinten beobachtet werden – und dabei erkannte Tarzan an einem Finger ihrer Hand den kunstvoll gearbeiteten Ring, den er kurz vorher an dem Finger der verschleierten Dame bemerkt hatte.
Es war also diese schöne junge Frau, die Rokoff verfolgte. Tarzan hätte gern gewußt, wer sie war und in welchem Verhältnis ein so liebliches Geschöpf zu dem rohen, bärtigen Russen stand.
Am Abend schlenderte er nach der Abendmahlzeit nach vorn und unterhielt sich bis nach Eintritt der Dunkelheit mit dem zweiten Offizier. Als dieser durch seine Pflicht anderweitig in Anspruch genommen wurde, lehnte Tarzan sich träge an die Reling und sah dem Spiel des Mondlichtes auf den sanft dahinrollenden Wellen zu. Er war halb durch einen Kran verdeckt, so daß die zwei Männer, die sich näherten, ihn nicht sahen. Während sie vorübergingen, fing Tarzan genug von ihrem Gespräch auf, um sich veranlaßt zu sehen, ihnen zu folgen. Er wollte erfahren, welche Teufelei sie ausspannen. Er hatte die Stimme Rokoffs erkannt und gesehen, daß Pawlowitsch sein Begleiter war.
Es waren nur wenig Worte, die Tarzan auffangen konnte: ... Und wenn sie schreit, so würge sie, bis – das Weitere hatte er nicht mehr verstanden, aber das Gehörte genügte, um den Abenteuergeist wieder in ihm zu beleben, und so behielt er die beiden Männer im Auge, als sie jetzt rasch weiterschritten. Er folgte ihnen bis zum Rauchzimmer, aber sie blieben am Eingang stehen, offenbar lang genug, um sich zu überzeugen, ob jemand, dessen Aufenthalt sie festzustellen wünschten, dort sei.
Dann gingen sie sofort aufs Promenadendeck zu den Kabinen erster Klasse. Hier mußte Tarzan besser aufpassen, um nicht entdeckt zu werden, und das gelang ihm auch. Als die beiden Männer vor einer der polierten Hartholztüren stehen blieben, schlich er sich in den Schatten eines Ganges, kaum zwölf Schritte von ihnen entfernt.
Auf ihr Klopfen fragte eine weibliche Stimme auf französisch: Wer ist da?
Ich bin es, Olga – Nikolaus! war die Antwort in Rokoffs bekanntem Kehllaut. Darf ich hineinkommen?
Warum hörst du nicht auf, mich zu verfolgen, Nikolaus? kam die Stimme durch die dünne Türe. Ich habe dir nie etwas zuleid getan.
Komm, komm, Olga, drängte der Mann in versöhnlichem Tone. Ich will nur einige Worte mit dir sprechen. Ich tue dir nichts und will nicht in deine Kabine treten, aber ich kann meine Botschaft nicht durch die Tür rufen.
Tarzan hörte, wie die Sperrklinke drinnen knackte. Er trat etwas aus seinem Versteck heraus, um zu sehen, was geschähe, sobald die Türe geöffnet war, denn er konnte nur an die unheilvollen Worte denken, die er einige Minuten vorher auf dem Deck gehört hatte: ... Und wenn sie schreit, so würge sie.
Rokoff stand gerade der Tür gegenüber. Pawlowitsch hatte sich flach an die getäfelte Wand am Ende des Ganges gedrückt. Die Türe wurde geöffnet. Rokoff trat halb in den Raum und stand mit dem Rücken gegen die Tür, wobei er im Flüsterton mit der Frau sprach, die Tarzan nicht sehen konnte. Dann hörte er die Stimme der Dame, leise, doch laut genug, um ihre Worte zu unterscheiden. Nein, Nikolaus, sagte sie, es ist nutzlos. Drohe so viel du willst, ich werde niemals in deine Forderung einwilligen. Bitte, verlaß das Zimmer; du hast kein Recht hier. Du hast versprochen, nicht hereinzukommen.
Gut, Olga, ich werde nicht eintreten, aber ehe ich mit dir fertig bin, muß ich dir sagen, daß du noch tausendmal wünschen wirst, mir den Gefallen, um den ich dich bitte, sofort erwiesen zu haben. Am Ende werde ich doch gewinnen, und so könntest du mir Mühe und Zeit sparen und Schande dir und deinem –
Niemals, Nikolaus! unterbrach ihn die weibliche Stimme, und dann sah Tarzan Rokoff sich umdrehen und Pawlowitsch ein Zeichen geben. Dieser sprang schnell auf den Eingang der Kabine zu und rannte an Rokoff vorbei, der die Türe für ihn offen hielt. Dann trat letzterer schnell heraus. Die Türe fiel zu. Tarzan hörte das Knacken des Schlosses, als Pawlowitsch drinnen den Schlüssel umdrehte. Rokoff blieb vor der Tür stehen; er beugte den Kopf, wie wenn er die Worte erhaschen wollte, die drinnen gesprochen wurden. Ein häßliches Lächeln umspielte seine bärtigen Lippen.
Tarzan konnte hören, wie die Frau dem Eindringling befahl, ihre Kabine zu verlassen. Ich werde meinen Mann rufen lassen, schrie sie. Er wird kein Erbarmen mit Ihnen haben. Pawlowitschs höhnisches Lachen drang durch die Tür.
Der Proviantmeister wird Ihren Gatten holen, Madame, sagte der Mann. Dieser Offizier ist in der Tat schon benachrichtigt, daß Sie noch einen andern Mann als Ihren Gatten hinter der verschlossenen Türe Ihrer Kabine empfangen.
Pah! rief die Frau. Mein Mann wird schon wissen, was er davon zu halten hat.
Sicher weiß er es, nicht aber der Offizier und auch nicht die Journalisten, die auf irgendeine geheimnisvolle Weise bei der Landung davon hören werden. Aber sie werden finden, daß es eine feine Geschichte für die Zeitungen ist, und dies werden auch all Ihre Freunde denken, wenn sie sie am – heute ist Dienstag, also am nächsten Freitag, zu ihrem Frühstück in den Blättern lesen. Es wird dem Interesse an der Geschichte auch keinen Abbruch tun, wenn die Leser erfahren, daß der Mann, zu dem Madame Beziehungen unterhält, ein russischer Bedienter ist, der Kammerdiener ihres Bruders, um ganz genau zu sein.
Alexei Pawlowitsch, entgegnete die weibliche Stimme kühl und furchtlos, Sie sind ein Feigling, und wenn ich Ihnen einen gewissen Namen ins Ohr flüstere, so werden Sie Ihre Forderungen und Drohungen gegen mich besser überlegen. Dann werden Sie meine Kabine sofort verlassen, und ich will nicht hoffen, daß Sie mich jemals wieder belästigen werden.
Читать дальше