1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 D’Arnot lachte und fragte neckend: Nicht wahr, es ist schwer, sich über die Verhältnisse des Dschungels hinwegzusetzen und die gesittete Lebensart bei Licht zu betrachten?
Das ist in der Tat eine gesittete Art, spottete Tarzan. Im Dschungel kommen keine mutwilligen Scheußlichkeiten vor. Dort töten wir, um Fleisch zu erbeuten, um uns zu verteidigen, um ein Weibchen zu erobern oder die Jungen zu beschützen. Wie sie sehen, immer in Übereinstimmung mit den Vorschriften irgendeines großen Naturgesetzes. Aber hier! Pfui, Ihr gesitteter Mensch ist brutaler als die Tiere. Er tötet nur mutwilligerweise und noch schlimmer als das, er nützt ein edles Gefühl aus – die Brüderlichkeit der Menschen – als ein Lockmittel, sein nichtsahnendes Opfer ins Verderben zu stürzen. Um einem menschlichen Hilferuf zu folgen, eilte ich in das Zimmer hinauf, wo die Mörder auf mich lauerten.
Ich dachte natürlich nicht, und konnte noch lange nachher nicht verstehen, dass irgendeine Frau moralisch so tief sinken könnte, wie jene, die einen Mann, der sie retten wollte, ins Verderben lockte. Aber es muss so gewesen sein, denn die Anwesenheit Rokoffs und die Beschuldigung, die das Weib gegen mich erhob, lassen sich nicht anders erklären. Rokoff musste gewusst haben, dass ich öfter durch die Maule-Straße ging. Er lauerte mir auf. Sein ganzer Plan war sorgfältig ausgearbeitet bis zur letzten Einzelheit, sogar bis zu der Aussage des Weibes für den Fall eines Hindernisses, wie es ja tatsächlich eintrat. Das ist mir alles ganz klar.
Jawohl, sagte d’Arnot, aber es zeigt Ihnen auch, wie sehr ich recht hatte, Ihnen zu sagen, man sollte die Maule-Straße abends meiden. Sie wollten es mir nicht glauben.
Und ich halte heute noch die Straße für die sehenswerteste in Paris. Ich werde nie verfehlen, durch sie zu gehen, denn sie hat mir die erste wirkliche Unterhaltung gewährt, seitdem ich Afrika verlassen habe.
Sie kann Ihnen noch eine andere Unterhaltung gewähren, die Ihnen weniger zusagen wird, sagte d’Arnot. Vergessen Sie nicht, dass die Polizei mit Ihnen noch nicht fertig ist. Ich kenne die Pariser Polizei genügend, um Ihnen zu versichern, dass sie nicht sobald vergessen wird, was Sie ihr zugefügt haben. Früher oder später wird sie Sie packen, mein lieber Tarzan, und dann wird sie den wilden Waldmenschen hinter eisernen Stäben einsperren. Wie wird Ihnen das gefallen?
Tarzan werden sie nie hinter eisernen Stäben einsperren, erwiderte er grimmig.
In dem Ton seiner Worte lag etwas, was d’Arnot veranlasste, seinen Freund scharf anzusehen. Der Ausdruck der kalten grauen Augen machte den jungen Franzosen sehr besorgt um dieses große Kind, das kein Gesetz über seiner eigenen physischen Stärke erkennen wollte. Es musste etwas geschehen, um Tarzan mit der Polizei auszusöhnen, bevor eine andere Begegnung erfolgen konnte.
Sie müssen noch viel lernen, Tarzan, sagte er ernst. Die menschlichen Gesetze müssen beachtet werden, ob sie Ihnen zusagen oder nicht. Ihnen und Ihren Freunden können nur Ungelegenheiten daraus erwachsen, wenn Sie der Polizei trotzen wollen. Ich kann in Ihrem Falle der Polizei den Sachverhalt erklären, und ich will das heute noch tun, aber hernach müssen Sie gehorchen. Wenn der Vertreter des Gesetzes zu ihnen sagt: Kommen Sie, so müssen Sie kommen, und wenn er sagt: Gehen Sie, so müssen Sie gehen. Jetzt wollen wir zu meinem großen Freund in der Polizeidirektion gehen und die Angelegenheit der Maule-Straße aufklären. Kommen Sie!
Eine halbe Stunde später betraten sie das Polizeibüro. Der Leiter war sehr freundlich. Er erinnerte sich noch sehr wohl des Besuches, den die beiden ihm einige Monate vorher in der Angelegenheit der Fingerabdrücke gemacht hatten.
D’Arnot erzählte die Ereignisse vom vorhergehenden Abend, und als er geendet, umflog ein grimmiges Lächeln den Mund des Polizeileiters. Er drückte auf einen Knopf, und während er auf den Beamten wartete, suchte er auf seinem Tisch nach einem Papier, das er schließlich fand.
Hier, Joubon, sagte er zu dem eintretenden Schreiber, lassen Sie diese Polizisten sofort zu mir kommen! Er übergab ihm das Blatt, und dann wandte er sich wieder zu Tarzan.
Sie haben einen schweren Fehltritt begangen, mein Herr, sagte er nicht unfreundlich, und ohne die Erklärung Ihres guten Freundes hier wäre ich geneigt, Ihre Handlungsweise streng zu verurteilen. Ich bin aber im Begriffe, etwas bisher Unerhörtes zu tun. Ich habe die Polizisten, die Sie vorige Nacht misshandelt haben, hierherbefohlen. Sie sollen Leutnant d’Arnots Erzählung hören, und dann überlasse ich es ihnen, zu bestimmen, ob Anklage gegen Sie erhoben werden soll oder nicht.
Sie müssen noch viel lernen, um sich in den Wegen der Kultur zurechtzufinden. Sie müssen sich daran gewöhnen, auch solche Dinge gelten zu lassen, die Ihnen sonderbar oder unnütz erscheinen, solange Sie nicht imstande sind, die Gründe dafür einzusehen. Die Polizisten, die Sie angegriffen haben, taten nur ihre Pflicht. Sie hatten in der Sache nicht zu entscheiden. Täglich setzen sie ihr Leben aufs Spiel, indem sie das Leben oder das Eigentum der anderen beschützen. Sie würden dasselbe auch für Sie tun. Es sind wirklich brave Leute, und sie sind tödlich gekränkt, dass ein einzelner unbewaffneter Mann sie schlecht behandelt oder gar geschlagen hat.
Machen Sie es ihnen leicht, zu verstehen, was Sie getan haben. Sonst würde ich mich sehr in Bezug auf Sie irren, denn ich halte Sie für einen wackeren Menschen, und ein solcher gilt ja auch mit Recht als großmütig.
Die weitere Unterredung wurde unterbrochen durch das Erscheinen der vier Polizisten. Als ihr Blick auf Tarzan fiel, sah man, dass sie höchst erstaunt waren.
Leute, sagte der Polizeidirektor, hier ist der Herr, mit dem Sie vorige Nacht in der Maule-Straße zusammengetroffen sind. Er ist freiwillig gekommen, um die Sache aufzuklären. Ich bitte Sie, aufmerksam die Erzählung des Leutnants d’Arnot anzuhören, der Ihnen einen Teil der Lebensgeschichte dieses Herrn erzählen wird. Er wird seine Haltung Ihnen gegenüber in der vergangenen Nacht erklären. Nun, reden Sie, mein lieber Leutnant.
D’Arnot sprach eine halbe Stunde lang zu den Polizisten. Er erzählte ihnen einiges aus dem wilden Dschungelleben Tarzans. Er erklärte, wie er sich trainierte, sodass er, wenn er sich selbst verteidigen musste, wie ein wildes Tier kämpfte. Es wurde den Polizisten dann auch klar, dass er bei seinen Angriffen auf sie eher vom Instinkt als vom Verstand geleitet worden war. Er hatte ihre Absichten nicht verstanden. Für ihn waren sie lediglich etwas anders aussehende Lebewesen, als er sie in seinem Dschungel traf, wo die meisten seine natürlichen Feinde waren.
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