Ich glaube auch nicht, mein Freund, dass irgendein Weib Sie fürchten würde, sagte Olga de Coude leise. Ich kenne Sie erst seit kurzer Zeit, und es mag närrisch sein, das zu sagen, aber Sie sind von allen Männern, die ich je gekannt habe, der einzige, den ich wohl nie fürchten würde. Das ist merkwürdig, zumal Sie sehr kräftig sind. Ich war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit Sie Nikolaus und Pawlowitsch in jener Nacht aus meiner Kabine hinausbefördert haben. Das war einfach großartig.
Als Tarzan sie eine Weile darauf verließ, wunderte er sich über den festen Handdruck, mit dem sie ihn verabschiedete, und über den nachdrücklichen Ton, mit dem sie ihm das Versprechen abnahm, morgen wiederzukommen.
Die Erinnerung an ihre halbverschleierten Augen und ihren reizenden Mund, als sie ihn bei seinem Fortgehen lächelnd ansah, verließ ihn den ganzen Rest des Tages nicht. Olga de Coude war wirklich eine schöne Frau, und Tarzan war ein einsamer junger Mann, dessen Herz sich nach Liebe sehnte.
Als die Gräfin nach dem Fortgang Tarzans sich im Zimmer umwandte, stand sie plötzlich Nikolaus Rokoff gegenüber.
Seit wann bist du hier? schrie sie, indem sie erschrocken zurückwich.
Schon länger als dein Geliebter, antwortete er, indem er einen boshaften Blick auf sie warf.
Halt ein! befahl sie. Wie konntest du es wagen, mir so etwas zu sagen, – deiner Schwester!
Gut, liebe Olga, wenn er nicht dein Geliebter ist, so will ich mich entschuldigen, aber es ist nicht dein Fehler, wenn er es nicht ist. Hätte er nur ein Zehntel meiner Weiberkenntnis, so lägst du jetzt in seinen Armen. Er ist ein dummer Narr, Olga. Jawohl, all deine Reden und Handlungen waren eine offene Einladung an ihn, und er schien das nicht einmal zu merken.
Die Gräfin hielt sich die Ohren zu.
Ich will dich nicht mehr anhören, sagte sie. Es ist unverschämt von dir, mir so etwas zu sagen! Du kannst mir drohen, so viel du willst – du weißt, dass ich eine anständige Frau bin. Von heute an sollst du es nicht mehr wagen, mich zu behelligen, denn ich werde Raoul alles erzählen. Er wird schon wissen, was er zu tun hat, und dann nimm dich in acht!
Du wirst ihm nichts sagen, erklärte Rokoff. Ich weiß jetzt Bescheid in dieser Sache, und mit Hilfe eines deiner Diener, dem ich vertrauen kann, wird nichts fehlen in dem Bericht für deinen Mann, sobald die Zeit gekommen sein wird, ihm die Sache zu unterbreiten. Die andere Affäre stimmt gut damit überein. Wir haben jetzt etwas Greifbares in Händen, Olga. Eine wirkliche Affäre – und du bist ein treues Weib. Schäme dich, Olga.
Dabei lachte der brutale Mensch.
So kam es, dass die Gräfin ihrem Gatten nichts erzählte und dass sich die Sache im Vergleich zu früher noch verschlimmerte. Während die Gräfin früher nur eine unbestimmte Furcht hatte, nahm diese jetzt fassbare Gestalt an. Es mag auch sein, dass ihr Gewissen sie noch mehr als nötig vergrößerte.
Die verfehlte Verschwörung
Seit einem Monat verkehrte Tarzan regelmäßig bei der schönen Gräfin de Coude, die er verehrte und die ihn immer gerne kommen sah. Oft fanden sich auch andere Mitglieder der kleinen Gesellschaft ein, die sie nachmittags zum Tee empfing, aber sie suchte es so einzurichten, dass sie mit Tarzan auch eine Stunde allein sein konnte.
Eine Zeit lang war sie erschrocken über die Andeutungen, die Rokoff gemacht hatte. Bis dahin hatte sie den starken jungen Mann lediglich als einen Freund betrachtet, aber infolge der Anspielungen ihres Bruders grübelte sie nun über die seltsame Anziehungskraft nach, die der grauäugige Fremde auf sie ausübte. Sie hatte aber nicht die Absicht, ihn zu lieben, und sie wünschte auch nicht, dass er sie lieben sollte. Sie war viel jünger als ihr Gatte und sehnte sich unbewusst nach der Freundschaft eines Mannes, der ihrem Alter näher stand. Mit zwanzig Jahren ist man zu schüchtern, um mit einem Vierzigjährigen Gedanken auszutauschen.
Die Gräfin fühlte, dass Tarzan sie verstehen konnte, denn er war nur zwei Jahre älter als sie, und er war ein ehrenhafter, ritterlicher Mensch. Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Dass sie ihm trauen durfte, hatte sie von Anfang an instinktiv gefühlt.
Rokoff hatte diese wachsende Vertraulichkeit aus der Ferne mit boshafter Freude beobachtet. Seitdem er erfahren hatte, dass Tarzan wusste, dass er ein russischer Spion sei, hatte sich zu seinem Hass gegen den Affenmenschen eine große Furcht gesellt, von ihm bloßgestellt zu werden. Er wartete jetzt nur noch auf eine günstige Gelegenheit zu einem großen Schlag. Er wollte sich für immer von Tarzan befreien und sich gleichzeitig für die durch ihn erlittenen Demütigungen und die Durchkreuzung seiner Pläne rächen. Tarzan war jetzt noch zufriedener als vor der Zeit, da er durch die Ankunft der Porter-Gesellschaft in seinem friedlichen Dschungel gestört worden war.
Er freute sich über den gesellschaftlichen Umgang mit Olgas Bekannten, während seine Freundschaft mit ihr eine Quelle endlosen Glückes für ihn war. Sie verscheuchte seine trüben Gedanken und war ein Balsam für sein gequältes Herz.
Manchmal begleitete d’Arnot ihn bei seinen Besuchen im Hause de Coudes, denn er kannte Olga und den Grafen schon seit langem. Gelegentlich erschien auch der Graf in der Gesellschaft, aber die mannigfachen Geschäfte seiner amtlichen Stellung und die nie endenden Fragen der Politik hielten ihn gewöhnlich bis spät in die Nacht von seinem Hause fern.
Rokoff spionierte Tarzan fast beständig aus. Namentlich suchte er festzustellen, ob der Affenmensch nicht auch nachts in de Coudes Palast ging, aber das gelang ihm nie. Allerdings kam es vor, dass Tarzan die Gräfin von der Oper nach Hause begleitete; aber er verließ sie stets am Eingang, und das ärgerte ihren lieben Bruder sehr.
Da es unmöglich erschien, Tarzan so zu ertappen, wie sie es wünschten, steckten Rokoff und Pawlowitsch die Köpfe zusammen, um einen neuen Plan auszusinnen. Dieser sollte Tarzan in eine solche Lage bringen, dass er unbedingt bloßgestellt würde.
Tagelang verfolgten sie aufmerksam die Zeitungen und beobachteten alle Gänge de Coudes und Tarzans. Schließlich fanden sie eine passende Gelegenheit, ihren Plan auszuführen. In einem Morgenblatt stand eine kurze Notiz über einen Herrenabend, der am folgenden Tage beim deutschen Botschafter stattfinden sollte. Unter den eingeladenen Gästen war auch de Coude erwähnt. Wenn er der Einladung folgte, so war er jedenfalls bis nach Mitternacht von seinem Heim abwesend. Am Abend des Festtages wartete Pawlowitsch auf dem Bürgersteig vor dem deutschen Botschaftsgebäude, um das Gesicht jedes ankommenden Gastes zu prüfen. Er brauchte auch nicht lange zu warten, bis de Coude aus seinem Wagen stieg und an ihm vorbeischritt. Das genügte ihm. Pawlowitsch eilte nach Hause, wo Rokoff ihn erwartete.
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