Ihr Stolz ist verletzt, sagte d’Arnot zum Schluss. Dieser Mann hat sie überwältigt, und das kränkt Sie am meisten. Aber Sie brauchen sich nicht zu schämen. Sie brauchten Ihre Niederlage nicht zu erklären, wenn Sie in einem engen Raum mit einem afrikanischen Löwen oder mit einem großen Gorilla aus dem Dschungel eingesperrt gewesen wären. Und doch haben Sie mit diesem Mann gekämpft, dessen eiserne Muskeln stets siegreich waren gegenüber diesen Schrecken des schwarzen Erdteils. Es ist keine Schmach, der übermenschlichen Kraft Tarzans zu erliegen.
Und dann, als die Polizisten dastanden und einmal Tarzan ansahen und das andere Mal ihren Vorgesetzten, tat der Affenmensch das einzige, was noch nötig war, um den letzten Rest des Ärgers zu beseitigen. Mit ausgestreckter Hand ging er ihnen entgegen.
Es tut mir leid, dass ich einen Missgriff begangen habe, sagte er, lassen Sie uns gute Freunde sein!
Das war das Ende der ganzen Geschichte, nur dass Tarzan noch lange der Gegenstand des Gesprächs in den Polizeistationen war und die Zahl seiner Freunde um vier wackere Polizisten sich vermehrte.
*
Bei der Rückkehr in seine Wohnung fand d’Arnot einen Brief von seinem englischen Freund William Cecil Clayton, Lord Greystoke. Die beiden waren in brieflichem Verkehr geblieben, seitdem sie auf der missglückten Expedition zur Befreiung der von dem Affen Terkop geraubten Jane Porter Freundschaft geschlossen hatten.
In etwa zwei Monaten sollen sie in London heiraten, sagte d’Arnot, als er den Brief sorgfältig durchgelesen hatte. Er brauchte Tarzan nicht zu sagen, wen er mit dem »sie« meinte. Tarzan antwortete nicht darauf, und auch den ganzen Rest des Tages war er schweigsam und nachdenklich.
Am Abend gingen sie in die Oper. Tarzan war aber während der Vorstellung ganz von seinen trüben Gedanken in Anspruch genommen. Er achtete fast gar nicht auf die Vorgänge auf der Bühne. Er sah nur die liebliche Vision eines schönen amerikanischen Mädchens und hörte nichts als die traurige süße Stimme, die ihm versicherte, dass seine Liebe erwidert werde. Und jetzt sollte sie einen anderen heiraten!
Er suchte sich selbst aus den unliebsamen Gedanken aufzurütteln. Im selben Augenblick fühlte er, dass Augen auf ihn gerichtet waren, und als er aufblickte, sah er das lächelnde Gesicht der Gräfin Olga de Coude. Als Tarzan ihren Gruß erwiderte, war er überzeugt, dass der freundliche Ausdruck ihres Gesichtes für ihn eine Einladung bedeutete.
In der nächsten Pause begab er sich in ihre Loge.
Ich habe so sehr gewünscht, Sie zu sehen, sagte sie. Es hat mich nicht wenig geärgert, dass wir Ihnen nach den Diensten, die Sie meinem Manne und mir geleistet haben, keine Erklärung dafür geben konnten, weshalb wir keine Schritte unternahmen, um eine Wiederholung der Angriffe seitens der beiden Männer zu verhindern. Das muss Ihnen gewiss als Undankbarkeit erschienen sein.
Sie beurteilen mich falsch, erwiderte Tarzan. Ich habe nur mit lebhaftem Vergnügen an Sie gedacht. Sie schulden mir keine Erklärung. Sie sind noch weiter belästigt worden?
Die Verfolgung hat nicht aufgehört, antwortete sie. Ich fühle, dass ich mit jemand darüber sprechen muss, und ich weiß keinen, bei dem ich mich so gut aussprechen könnte, wie bei Ihnen. Sie müssen mir das erlauben. Es mag auch von Nutzen für Sie sein, denn ich kenne Nikolaus Rokoff genug, um zu wissen, dass er Sie nicht das letzte Mal gesehen hat. Er wird schon Mittel finden, sich an Ihnen zu rächen.
Was ich Ihnen sagen werde, kann Ihnen vielleicht gute Dienste leisten, um seinen Racheplänen zu entgehen. Mehr kann ich Ihnen hier nicht verraten, aber morgen um fünf Uhr werde ich für Sie zu Hause sein.
Das wird mir wie eine Ewigkeit vorkommen – bis morgen um fünf, sagte er und wünschte ihr gute Nacht.
Aus einer Ecke des Theaters hatten Rokoff und Pawlowitsch ihn in der Loge der Gräfin gesehen, und beide hatten gelächelt.
Am folgenden Nachmittag um halb fünf klingelte ein dunkelfarbiger bärtiger Mann am Dienstboteneingang des Palastes des Grafen de Coude. Der Diener, der zum Öffnen kam, zog die Augenbrauen hoch, als er sah, wer dort stand. Beide sprachen leise.
Zuerst zögerte der Lakai bei einem Vorschlag, den der Mann ihm machte, aber bald darauf nahm er aus der Hand des Fremden etwas entgegen. Dann wandte er sich um und führte den Besucher auf einem weitläufigen Umweg in einen kleinen, von Vorhängen verhängten Alkoven neben dem Zimmer, in dem die Gräfin den Nachmittagstee zu geben pflegte.
Eine halbe Stunde später wurde Tarzan in das Zimmer eingeführt, und im selben Augenblick erschien die Gräfin lächelnd und mit ausgestreckten Händen ihm entgegengehend.
Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, sagte sie. Nichts hätte mich zurückhalten können, antwortete er.
Einige Augenblicke sprachen sie über die Oper, über einige Gegenstände, die die Aufmerksamkeit von Paris erregten, über das Vergnügen, ihre kurze Bekanntschaft, die unter so seltsamen Verhältnissen eingeleitet worden war, zu erneuern, und das brachte sie dann auf das Thema, das ihnen beiden am meisten am Herzen lag.
Sie werden sich gefragt haben, sagte die Gräfin, weshalb uns Rokoff eigentlich verfolgt. Die Sache ist ganz einfach. Der Graf ist vertraut mit manchen wichtigen Geheimnissen des Kriegsministeriums. Er hat oft Papiere im Besitz, für die ausländische Mächte gerne ein Vermögen ausgeben würden, Staatsgeheimnisse, für deren Kenntnis die Agenten jeder Mächte Mörder oder noch schlimmere Subjekte dingen würden.
So hat er jetzt wieder eine solche Sache in seinen Händen, die einem Russen, der ihrer habhaft werden könnte, Ruhm und Reichtum eintragen würde. Rokoff und Pawlowitsch sind russische Spione. Sie schrecken vor nichts zurück, um sich das Dokument zu verschaffen. Der Vorfall auf dem Dampfer – ich meine die Geschichte mit dem Kartenspiel – hatte den Zweck, eine Erpressung an meinem Gatten auszuüben. Wäre er des Falschspiels überführt worden, so wäre seine Laufbahn vernichtet gewesen. Er hätte dann aus dem Kriegsministerium ausscheiden müssen. Er wäre auch in der Gesellschaft völlig unmöglich gewesen. Sie hielten die Keule also über ihn. Nur dann wären sie bereit gewesen, einzugestehen, dass der Graf lediglich das Opfer eines Komplottes seiner Feinde geworden, wenn er sich jene Geheimpapiere hätte abpressen lassen.
Als Sie, Herr Tarzan, ihren Plan durchkreuzten, versuchten die Menschen, meinen Namen statt den des Grafen zu beschmutzen. Als Pawlowitsch in meine Kabine eindrang, erklärte er mir ihr Vorhaben. Wenn ich ihnen die gewünschte Auskunft verschaffen wollte, versprachen sie, nichts weiter zu tun; andernfalls sollte Rokoff, der draußen stand, einen Steward benachrichtigen, dass ich mich mit einem anderen Mann hinter der verschlossenen Türe meiner Kabine abgäbe. Er drohte, es jedem zu sagen, dem er auf dem Schiffe begegnete, und bei unserer Landung wollte er die ganze Geschichte den Journalisten erzählen.
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