Das Frühstück zusammen mit Dunja und Jelena im Personalspeisesaal tat mir gut, ich musste mich ein wenig fassen und so tun, als sei nichts gewesen.
Eine gute Aussicht hatte sich ergeben, die Chance aufzusteigen. Interessantere Arbeitsaufgaben und bessere Bezahlung. Statt umgekehrt – beschissene Tätigkeit und als Krönung des Ganzen: miserabler Lohn. Es schmeichelte mir, und ich freute mich und musste mich gehörig zusammenreißen, um es mir nicht anmerken zu lassen.
Schließlich war es ja noch nicht so weit. Erst gab es da noch die Konferenz und all das, was ich dafür zu leisten hatte, und danach musste Ingalill erst kündigen und mich als ihre Nachfolgerin durchboxen. Die Besetzung des Postens wurde höheren Orts vorgenommen, und vielleicht hatte jemand einen Joker und konnte mir die Stelle direkt vor der Nase wegschnappen. Ich durfte mich nicht echauffieren, ich musste kühles Blut bewahren, die mögliche Enttäuschung hinnehmen können, ohne gleich zusammenzubrechen.
Obwohl Ingalill normalerweise Wort hielt. Ja, das tat sie eigentlich immer.
Ich verspürte ein Ziehen im Bauch.
Jelena und ich waren auf dem Weg in den fünften Stock, um uns die Hotelzimmer vorzunehmen. Als wir die Eingangshalle durchquerten, konnten wir feststellen, dass das nächtliche Matratzenunglück lediglich einen einsamen Lokalreporter angelockt hatte, der mit über der Schulter baumelnder Kamera als Einziger für Aufregung sorgte. Allerdings drehte es sich ja diesmal um einen Bootsunfall, um einen Schiffbruch, wie wir makaber witzelten. Dumm war die Sache jedenfalls gewesen. Wir fanden, dass es inzwischen so viele Unfälle gegeben hatte, dass die Leute begriffen haben mussten, wie gefährlich es war, auf Luftmatratzen, Planen und anderen glatten Gegenständen den Berg hinunterzurutschen, obendrein noch in stark angetrunkenem Zustand. Anscheinend war die Identität des Opfers auch noch immer nicht geklärt.
Shit happens, wie man sagt, meinte Jelena.
Das war brutal! Ihr gutes Schwedisch – und Englisch! – benutzte sie auf die verblüffendste Weise, ich verstummte.
Wir nahmen den Fahrstuhl, der, wie wir feststellten, ebenfalls gereinigt werden musste, – irgendwas war verkippt worden und dann eingetrocknet. Ich spähte durchs Glas, als wir am vierten Stock vorbeikamen, nirgendwo ein Björn.
Der uns ganz allein angehende Hotelkorridor erstreckte sich lang und gewaltig vor uns, mit seinem roten Teppichboden und den vielen geheimnisvoll geschlossenen Türen.
Die sollten nicht mehr lange geschlossen bleiben. Rasch studierten wir die Putzliste. Bei der Hälfte der Zimmer ging es um Durchsicht – das bedeutete, der Gast wohnte noch dort – und der Rest waren Abreisen, also Endreinigung. Obendrein würde es bei fünf Zimmern eine Anreise geben, dort sollte eine Lampe behaglich leuchten und den neuen Gast willkommen heißen.
Willst du dir die Betten vornehmen, fragte ich großzügig. Jelena schlug sofort ein. Die Bettwäsche abzuziehen bedeutete, von Endreinigungszimmer zu Endreinigungszimmer zu gehen, die Schmutzwäsche zusammenzuraffen und sie in den Wäscheschlucker zu werfen. Sie landete fünf Stockwerke tiefer in bequemer Nähe zu jenem LKW, der die Säcke später in die große Wäscherei schaffte.
Aber diese Arbeit war schnell erledigt. Also würde auch Jelena ihren gehörigen Anteil am Staubsaugen und Toilettenschrubben abbekommen. Sport und Bewegung während der bezahlten Arbeitszeit – nicht jeder hatte solche Privilegien. Man musste es von der positiven Seite sehen. Ja, es hing immer von der Einstellung ab, alles spielte sich im Kopf ab, fühlte man sich entmutigt, dann wurde man auch entmutigt und so weiter. Warum war ich nicht Berater geworden und verdiente Unsummen wie all jene, die solche Ratschläge erteilten?
Ich nahm mir als Erstes die Zimmer vor, bei denen nur eine Durchsicht anstand.
In einem davon wohnte eine Familie mit Kindern, durch die Aufbettungen war es sehr eng. Ich öffnete das Fenster und zog die Laken glatt. Die Kinder hatten jedes ein Kuscheltier, einen Affen und eine Giraffe. Ich legte sie zurück unter die Decke, nachdem alles fertig war, und zärtliche Gedanken kamen mir in den Kopf.
Die nächste Tür, die ich mit meinem Hauptschlüssel öffnete, führte zu der Suite, die zum Hang hinaus lag. Hier machte das Saubermachen Spaß, es war hell und geräumig. Gediegene, pietätvoll bewahrte Etagenbetten aus der Anfangszeit des Hotels im kleinen Zimmer, im Schlafzimmer ein Doppelbett und eine als Bett verwendbare Couch zusammen mit ausladenden Sesseln im großen Zimmer, dessen Fenster direkt zum Storfjället und auf die Slalompiste hinausging. Die Suite war bereits vergeben an irgendeinen Vortrupp der Konferenz, also ging es auch hier nur um Durchsicht. Ich betrat den Flur und entdeckte zu spät, dass der Gast noch anwesend war. Ein Mann sprang aus dem Sessel hoch, als ich schon fast im Zimmer war. Oh Entschuldigung, stieß ich hervor, ich kann später wiederkommen.
Nein, nein, machen Sie es nur jetzt, bat er und sah sichtlich betreten aus. Hier muss wirklich sauber gemacht werden, und ich bin nicht im Weg. Ich folgte seinem Blick auf den Boden. Ja, hier musste sauber gemacht werden. Ein Schälchen Erdnüsse war verschüttet und darauf herumgetrampelt worden, und die Luft war stickig und irgendwie verräuchert, trotz des Rauchverbots.
Der Mann war leicht übergewichtig und sah aus, als hätte er die fünfzig schon hinter sich, sein Haar war schütter, und die Augen waren groß und blau, er wirkte nett. Eine kaum spürbare Fahne wehte mir entgegen, aber ich war mir nicht ganz sicher.
Ich zögerte. Es widersprach den Prinzipien, sich an die Arbeit zu machen, solange der Gast noch im Zimmer war. Hauptsächlich geschah das aus Sorge um die jüngeren Mädels, denen diverse nicht sehr schmeichelhafte Dinge zustoßen konnten, angefangen von Blicken, die sie auszogen, bis zu klar ausgesprochenen unanständigen Angeboten. Das betraf zwar nur eine Minderheit der männlichen Gäste, aber alle Neueinstellungen erhielten trotzdem die Instruktion, die Zimmer nicht zu reinigen, solange der Gast anwesend war.
Dieser hier wirkte jedoch völlig ungefährlich, möglicherweise hatte er einen leichten Kater. Ich selbst war auch noch nie durch den geringsten sexistischen Blick belästigt worden, zumindest soweit mir bewusst war. Möglicherweise hatte mal jemand meinen Hintern studiert, wenn ich vorgebeugt arbeitete – Müll aufsammelte oder Verkleckertes wegwischte –, aber dieser Anblick ließ keinen tot umfallen, jedenfalls nicht vor Begierde. Außerdem sah ich, dass er arbeitete, ein Laptop stand aufgeklappt auf dem Tisch, und rundum lagen Stapel von Papieren.
Und ich hatte ja bereits den Eimer mit Lappen und Bürsten abgestellt, also nickte ich und sagte, okay, wenn es dir also recht ist.
Ich sagte du, das taten die jungen Kräfte nicht. Er schien es nicht übel zu nehmen.
Er gab sich den Anschein, irgendein Dokument zu studieren, während ich meine Arbeit machte. Doch war zu spüren, dass er reden wollte, dass er sich meiner Anwesenheit bewusst war und ich für ihn nicht nur eine Putzfunktion innehatte. Der Staubsauger mit seinem undichten Schlauch vereitelte jedoch jede Möglichkeit zum Gespräch. Aber als ich mit dem Boden fertig war, räusperte er sich und fing an zu erzählen, dass er bald umziehen würde, weil der Oberkommandierende diese Suite bekommen sollte. Aha. Dann fragte er zögernd, ob ich etwas über den Zwischenfall der vergangenen Nacht wusste, ein hiesiger Polizist hatte bei ihm angeklopft und sich erkundigt, ob er etwas gesehen hatte.
Oh, das Matratzenunglück, sagte ich aufgeregt. Ja, allerdings war es diesmal ja keine Luftmatratze, sondern ein Schlauchboot, ein tragischer Unfall. Ein junger Mann kam heute Nacht ums Leben, als er den Berg runterrutschte, man kann dabei ungeheure Geschwindigkeiten erreichen, und es gibt keine Chance zu lenken oder zu bremsen.
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