Her also mit dem Schlüssel! Und mit dem Neusilber-Besteck! Ingalill versuchte zu scherzen. Das kam ganz und gar nicht an. In der Hierarchie des Hotels standen wir am weitesten unten, und es war üblich, bei allem uns die Schuld zu geben. Andere Kategorien des Personals waren schnell mit Kritik bei der Hand, wenn wir einen Papierkorb oder irgendwelchen Glibber am Geländer übersehen hatten, das Gegenteil aber erlebten wir nie – dass man uns für die gut ausgeführte Arbeit lobte. Das war einfach selbstverständlich. Manchmal, wenn ich ein ungewöhnlich verdrecktes Zimmer betrat, hatte ich gute Lust, das Empfangspersonal und die Kellner herzubestellen, um ihnen zu zeigen, wie es vor der Reinigung aussehen konnte. Nach dreiundzwanzig Minuten musste der vorgefundene Schweinestall in ein blitzblankes Königslogis verwandelt sein, mit militärisch gemachten Betten, glänzenden Ablagen und Tischen samt einer gut gereinigten Toilette. Wir waren eine Personalgruppe, auf der man leicht herumhacken konnte, unser Job war nur im negativen Fall sichtbar, also wenn nicht geputzt worden war.
Trotzdem kam ich gut klar. Zu behaupten, ich fühlte mich wohl, wäre wohl übertrieben, aber ich fand die Sache okay. Alles war besser als die öde Arbeitslosigkeit, was die Alternative gewesen wäre, nachdem ich meine Anstellung in der Gerberei aufgegeben hatte. Dafür gab es wahrhaftig gute Gründe, aber es war, wie die Sachbearbeiterin auf dem Arbeitsamt gesagt hatte: Du musst begreifen, wo du hingezogen bist. In diesen Gegenden gibt man eine relativ sichere Stelle nicht einfach auf.
Also hatte ich mir einen neuen Job gesucht und war ganz zufrieden damit, auch wenn es jeden Tag ein Stück hin- und herzufahren galt. Mit Ausnahme von Krisensituationen, da besorgte mir Ingalill eine Schlafgelegenheit, damit ich am Ort übernachten konnte.
Jetzt brach also ein weiterer Arbeitstag an. In der Rezeption lungerte das Rettungspersonal herum und bei uns inzwischen ein ganzer Haufen Reinigungskräfte: Somalier und Türken, Jugoslawen verschiedenster Herkunft, ein Palästinenser und ein Deutscher, der das Skilaufen liebte. Sie füllten den ganzen Gang aus. Schlüssel klapperten, wir nahmen unsere Reinigungspläne und Hauptschlüssel und setzten uns langsam in Bewegung. Take care of yourselves out there, rief Ingalill unseren schlaffen Rücken hinterher. Ja, ja, sie tat ihr Bestes. Aber wir waren nun mal keine coolen New Yorker Bullen. Sie konnte uns nicht besser bezahlen, aber sie versuchte uns ab und an mit Worten zu erwärmen. Sie war in Ordnung. Die Woche über allein mit dem Kind, sie stand genauso unter Druck wie wir. Sie sah müde aus.
Izzadin, der Palästinenser, startete die Poliermaschine, um den riesigen Fußboden aus Älvdalsporphyr in der Eingangshalle zum Glänzen zu bringen, und ich ging zum Empfangstisch, hinter dem ein großer Papierkorb geleert und außerdem gewischt werden sollte. Dadurch bekam ich automatisch die Gespräche der Rettungsmannschaft mit, aus denen hervorging, dass der Verunglückte sich den Schädel gespalten hatte, als er gegen das Liftfundament geprallt war. Weiß Gott kein schöner Anblick, den Pistenpfleger hatte es schließlich total umgehauen. Offensichtlich war der nächtliche Schussfahrer allein gewesen, was wirklich ein Glück gewesen war, solche Suffgeschichten passierten ja sonst meist in der Gruppe.
Ich war nicht direkt neugierig, aber aufmerksam. Ich bemerkte, dass der Nachtportier in seinem Computer nachschaute, er suchte wohl nach einem möglichen Kandidaten, weil er fragte, ob sie genau kontrolliert hätten, dass kein Hotelschlüssel in den Taschen steckte. Da war keiner, bestätigten die Männer, aber der Verunglückte konnte ihn ja verloren haben, so ein Schlüssel sah ja nicht viel anders aus als die Liftkarte, der Bursche konnte ihn sogar weggeworfen, ihn einfach mit einem Zettel verwechselt haben.
Ein Schlauchboot. Ein Rafting den Berg hinunter. Der Gedanke gefiel mir, wie schrecklich das Geschehene auch sein mochte. Ich konnte die Verlockung begreifen.
Der Nachtportier steppte freundlich zur Seite, während ich den Rest fertigschwappte. Notgedrungen steuerte ich danach auf die vielen überquellenden Aschenbecher und Papierkörbe der Lobby zu und konnte damit dem interessanten Gespräch am erleuchteten Tresen nicht länger folgen.
Izzadin warf mir einen raschen Blick zu, so als missgönnte er mir den Zugang zu den Sensationen gleich am frühen Morgen. Es war natürlich typisch, dass die einzige Poliermaschine im Gelände von einem Mann bedient wurde. Bestimmt tat er so, als würde er einen Panzer fahren, dachte ich irritiert, vielleicht gekapert von der israelischen Armee?
Die Herrentoilette des Wintergartens bot einen prächtigen Anblick. Hier hatte ein Fest stattgefunden. Papierhandtücher türmten sich auf dem Boden, und der ganze Raum schwamm. Leere und halbvolle Biergläser bildeten eine modernistische Installation auf dem Waschbeckenrand, auch darunter standen ein paar Gläser, die ins Rollen gerieten, als ich dagegenstieß, mitten in all dem Nassen obendrein Scherben, ja hollahopp, hier komme ich!
Und dennoch verspürte ich gerade in einer solchen Situation Zufriedenheit. Ich hatte noch nicht in den Kabinen selbst nachgeschaut – dort warteten vielleicht weitere tolle Überraschungen –, aber ich wusste, dass dieser Dreck in ungefähr einer halben Stunde durch blitzblanke, einladende Sauberkeit ersetzt sein würde.
Jelena hatte die Damentoilette übernommen, also konnte sie Dunja später beim Staubsaugen des blauen Teppichbodenmeers im Wintergarten helfen, weil das Saubermachen bei den Frauen viel schneller ging. Jelena hasste Männerklos. Ich hasse Männerklos, mussten die ersten Worte gewesen sein, die sie auf Schwedisch gelernt hatte, und sie wiederholte sie oft.
Okay, Männerklos, davon konnte man ein Lied singen. Aber es gab sie nun mal. Und Männer waren schließlich auch Menschen. Denk an deinen eigenen Sohn, sagte ich immer. Das ist was ganz anderes, bekam ich zur Antwort, er ist kein solches Schwein wie all die anderen.
Gläser, Geschirr und den Inhalt der Papierkörbe raus zum Putzwagen, dann Lappen, Bürsten und Reinigungsmittel zu den Herren rein. Die Arbeit begann an den etwas saubereren Stellen, dann folgten die dreckigeren. Mit meinem ganz privaten Wunderlappen, den ich vom eigenen Geld gekauft hatte, lief das Putzen wie geschmiert – alles war im Nu blitzblank! Ich kam mir so clever vor, dass ich vor Stolz fast platzte. Es war nur ein schöner Traum, dass das Hotel seiner Putzkolonne Wunderlappen aus Mikrofasern besorgen würde, und übrigens wären sie dann sicher gleich wieder geklaut.
Jetzt aufgepasst ihr Becken dort unten, ich spritzte Umweltgifte in grünen Strängen. Schrubbte mit der Klobürste unter der Kante, spülte, wischte und sprang immer wieder zurück, um nichts von den Ekelspritzern abzukriegen, was trotzdem manchmal passierte. An der Lippe, oder es ging ins Auge, und zu dem Zeitpunkt hatte man nasse Gummihandschuhe an, also stand man dann da mit einem Tropfen Pisswasser oder was auch immer da auf der Haut kühlte, scheiß, man fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht und fluchte laut. Verließ sich einfach auf die eigenen Abwehrkräfte, von so ’nem bisschen Tollwut war noch keiner gestorben oder von Campylobactern oder wie die Dinger hießen. Du anonymer Kacker, du hast mich doch wohl nicht mit der Rinderseuche, AIDS oder TBC angesteckt?
Ganz zum Schluss widmete ich mich der Pinkelrinne, und dort hatte ich gründlich Duftkugeln ausgelegt, sodass der nur zu gut bekannte Geruch nicht weit kam. Dieses Klo sollte frisch riechen – ich hätte es nicht ertragen, wenn irgendein arroganter Oberkellner mit der Bemerkung angekommen wäre, die Toiletten seien nicht anständig gesäubert und Gäste hätten sich beschwert. Nein, nicht wenn ich Hand angelegt hatte; war ich mit einer Aufgabe fertig, sollte kein aufgeblasener Pinkel die Nase rümpfen und mich herunterputzen können.
Читать дальше